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# taz.de -- Kleinunternehmer aus Athen: Von Haar- und Schuldenschnitten
> Giorgos Sarantopoulos schneidet nicht nur Haare. Er versorgt seine
> Stammkunden auch mit Nachrichten über die Krise – vorausgesetzt, sie
> kommen noch.
Bild: Früher wurde beim Friseur Klatsch und Tratsch verhandelt, jetzt sind es …
ATHEN taz | Giorgos Sarantopoulos ist Nachrichtenjunkie. In seinem
Friseursalon laufen am Bildschirm griechische Nachrichten rund um die Uhr,
damit die Kunden wissen, wann die Steuern erhöht und die Renten gekürzt
werden.
Und gekürzt wird bald wieder, da die griechische Regierung wieder mit den
Gläubigerbanken über einen Schuldenschnitt verhandelt und die
EU-Finanzminister gleichzeitig in Brüssel tagen, Druck machen und weitere
Kürzungen fordern. Der Bildschirm wird die nächste Hiobsbotschaft bald
verkünden.
Der Austausch über die Wirtschaftslage liegt dem jungen Friseur am Herzen,
viele Kunden wollen sich aussprechen. Vor Ausbruch der Schuldenkrise hätte
man sich über Fußball unterhalten, heute reden die Stammkunden fast nur
noch über die Krise, wenn sie überhaupt noch kommen.
"Viele zögern, sie kommen nicht mehr so oft zum Haareschneiden", sagt
Sarantopoulos. "Und wenn sie da sind, dann sprechen sie nur noch über
wirtschaftliche Probleme."
## Verzicht
Auf Kundschaft sind Giorgos Sarantopoulos und sein Geschäftspartner
Fragiskos Filippousis dringend angewiesen. Kurz vor Ausbruch der Krise
haben sie ihren kleinen Salon im Athener Stadtviertel Neo Psychiko
gründlich renoviert. Sie haben ein Bankdarlehen aufgenommen, das
zurückgezahlt werden muss.
Dafür arbeitet Sarantopoulos sechs Tage die Woche, lebt sparsam, fährt
Motorroller statt Auto und verzichtet auf Urlaub. Nur an Wochenenden
leistet sich der 35-jährige Familienvater eine dreistündige Reise zu seinen
Verwandten in die Bergregion Arkadien auf der Peloponnes, eine schöne
Gegend.
Auch der stolze Kioskbesitzer Dimitris hat seine Arbeitszeit erheblich
ausgeweitet. Sein Kiosk im einst blühenden Einkaufsviertel Halandri zieht
viel Laufkundschaft an. Das Geschäft lohnt sich aber nur, weil Dimitris für
die Kunden fast rund um die Uhr geöffnet hat. Die Früh- und Mittagsschicht
macht der 50-Jährige selbst, am frühen Abend übernimmt seine Frau den
Stand, und danach muss der Sohn für ein paar Stunden jobben. Erst kurz vor
Mitternacht ist Feierabend.
## Zeit für Selbstgedrehte
Noch vor fünf Jahren galt ein Kiosk als Goldgrube. Doch seit 2009 mussten
über 2.000 Kioskbesitzer in Griechenland aufgeben oder vorzeitig in Rente
gehen. Es gibt immer weniger Kunden, und es fallen immer höhere Steuern an.
Selbst bei vielen lebenswichtigen Gütern wird mittlerweile eine
Mehrwertsteuer von 23 Prozent fällig, sodass Lebensmittel oft teurer sind
als in Deutschland.
Um die Staatskasse zu füllen, hat die Regierung zudem die Tabaksteuer
mehrfach erhöht, was für Kioskbesitzer erhebliche Verluste bedeutet, denn
sie machen traditionell fast zwei Drittel ihres Umsatzes mit Tabakwaren.
Schließlich sind die Griechen – Rauchverbot hin oder her – immer noch
Europameister im Rauchen.
"Früher haben die Leute gleich zwei oder drei Schachteln Zigaretten hier am
Kiosk geholt, wahrscheinlich reichte eine Packung gerade für die nächsten
24 Stunden", erinnert sich Dimitris. "Heute wird in der Regel nur noch eine
Schachtel gekauft, oder man steigt gleich auf Selbstgedrehte um. Das lohnt
sich natürlich für einen Kettenraucher, da bist du nämlich gut versorgt
drei Tage lang für nur 4 Euro."
Aus Protest gegen die nie enden wollenden Steuererhöhungen sind die
griechischen Kioskbesitzer 2010 erstmals in den Streik getreten. Es hat
nichts gebracht. Dimitris denkt ernsthaft daran, den Kiosk zu schließen. Er
fühlt sich zu alt für diesen Job, aber irgendwie auch zu jung für die
Rente.
## Auswandern
Vielleicht ins Ausland gehen? Das wäre etwas für Giorgos, der im Café Rampa
kellnert. Der Laden mit abgenutzten roten Plüschmöbeln ist ein Klassiker
unter den Athener Cafés, allerdings hat er seine beste Zeit hinter sich.
Und auch Giorgos ist es früher besser ergangen, denn er hat im Winter immer
wieder in Österreich oder in der Schweiz als Aushilfe gearbeitet. Mit
Gelegenheitsjobs in Hotels oder Skigebieten hat er auch ganz gut verdient
für griechische Verhältnisse.
Doch in den letzten Jahren hätten seine Bewerbungen seltsamerweise keine
Chance mehr, sagt Giorgos. Das liege wohl daran, dass immer mehr
Osteuropäer auf den Arbeitsmarkt drängen, glaubt er. "Oder würden die
Griechen mittlerweile nicht so gern gesehen in Mitteleuropa, weil man ihnen
pauschal Faulheit vorwirft?"
Der Friseur Giorgos Sarantopoulos versucht der Krise mit Humor zu begegnen.
Das ist bei ihm allein schon deswegen nicht schwer, weil das griechische
Wort "koúrema" in der Umgangssprache sowohl Haar- als auch Schuldenschnitt
bedeutet. Das gibt Anlass zu Wortspielen und doppeldeutigen Bemerkungen,
etwa wenn ein Kunde vorbeischaut und sagt, er bräuchte unbedingt ein
"koúrema", worauf Giorgos erwidert, es werde wohl auch Zeit bei seiner
Lebensführung.
Doch schnell wird er wieder ernst. Über 30 Prozent der Athener Geschäfte
und Kleinunternehmen haben seit 2009 Konkurs angemeldet. Was soll der junge
Friseur tun, um der Krise zu trotzen? Zunächst einmal müsse er preiswert
bleiben, glaubt Sarantopoulos. Seit drei Jahren kostet ein Schnitt bei ihm
nur 14 Euro. Er will den Preis nicht erhöhen. Auf den kleinen Aufpreis zu
Weihnachten, den viele Friseure als Feiertagszuschlag nehmen, hat er schon
verzichtet.
Am besten wäre es natürlich, wenn er auch ausländische Kunden hätte, die
von der Krise nicht betroffen sind, findet Sarantopoulos. Einen solchen
Kunden habe er schon - einen Türken, der in der türkischen Botschaft
arbeitet. Und das können nicht viele griechischen Friseure von sich
behaupten.
25 Jan 2012
## AUTOREN
Jannis Papadimitriou
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