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# taz.de -- Streit um ESM-Aufstockung: Berliner Frieden statt Euro-Streit
> Über Wachstum will Deutschland gern reden, über mehr Geld zur Eurorettung
> "derzeit" nicht. Das sichert den Koalitionsfrieden - und lässt alle
> Hintertüren offen.
Bild: Braucht der Rettungsfonds noch mehr Geld? Nein, findet die Regierung.
BERLIN taz | So einfach lässt sich Streit in Europa vermeiden: Die zuletzt
von vielen EU-Staaten und dem Internationalen Währungsfonds (IWF)
geforderte Aufstockung des neuen Rettungsschirms ESM steht beim nächsten
EU-Gipfel am Montag gar nicht erst auf der Tagesordnung. Stattdessen solle
vor allem über Wachstumsstrategien gesprochen werden, hieß es am Donnerstag
aus Kreisen der Bundesregierung.
Damit bleibt Deutschland neuer Streit in der Koalition vorerst erspart.
Denn während der bisherige Rettungsschirm EFSF durch Bürgschaften der
Staaten getragen wird, zahlen sie beim neuen ESM, dessen Start auf Juli
vorgezogen wurde, teilweise bar ein. Eine Aufstockung wäre also mit mehr
deutschem Steuergeld verbunden - eine weitere Investition in europäische
Hilfen gilt innerhalb der Koalitionsfraktionen jedoch als nicht
mehrheitsfähig.
Die Taktik der Regierungsparteien war deshalb die ganze Woche über, die
Aufstockungsdebatte wegzudrücken und als unangebracht abzutun.
Unions-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier hatte am Dienstag erklärt,
er sehe "dazu derzeit keinen Handlungsbedarf". Fast wortgleich äußerte sich
CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Dass die Sprachregelung in der
Koalition das "derzeit" so betont, ist gleichzeitig eine Hintertür, die
alles offen lässt: Wer weiß schon, was in Kürze notwendig werden könnte.
Dazu passt auch die Äußerung von FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle: Er
halte das derzeit geplante Kreditvolumen des ESM von 500 Milliarden Euro
für ausreichend, sagte er am Mittwoch, aber er wisse nicht, "was in der
Zukunft passiert". Angesichts der Erfahrungen der vergangenen Jahre ist
rhetorische Vorsicht angebracht - die Koalition musste bereits mehrmals
ausgegebene Tabus wieder einkassieren. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas
Oppermann bot der Koalition bereits eine Wette an, dass sie ihre Position
auch diesmal revidieren werde.
## ESM als "Brandmauer"
Der jüngste Vorstoß für mehr Geld war von IWF-Chefin Christina Lagarde
gekommen. Anfang der Woche warb sie in Berlin dafür, den bisher 500
Milliarden Euro schweren ESM mit einem Volumen von 750 Milliarden
auszustatten. Eine Billion Euro hatte Italien beim letzten
Euro-Finanzministertreffen ins Spiel gebracht. Eine Aufstockung sei nötig,
argumentieren Lagarde und andere EU-Länder, damit der ESM als "Brandmauer"
wirken könne und Finanzmarktspekulationen gegen andere Euro-Staaten
verhindere.
Trotz der offiziellen Schwüre, die Aufstockung stehe nicht an, flammte in
der Koalition die Europadebatte wieder auf. Die Rettungsschirmkritiker von
Union und FDP forderten Merkel dazu auf, die Forderungen abzublocken. "Die
Devise für die Kanzlerin lautet ,Hart bleiben, nicht nachgeben'", sagte
etwa der CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach der Agentur Reuters. "Die Folge
einer Aufstockung wäre nur, dass eine weitere Forderung nach der nächsten
Aufstockung kommen wird."
Auch der FDP-Finanzpolitiker Frank Schäffler warnte erneut vor immer neuen
Kriseninvestitionen. "Es hilft jetzt nicht, schlechtem Geld gutes Geld
hinterherzuwerfen", sagte er. Beide Abgeordnete sind als grundsätzliche
Kritiker der Rettungspolitik bekannt, vertreten aber nicht die
Mehrheitsmeinung in ihren Fraktionen. Doch klar ist: Der Widerstand
innerhalb der Koalitionsfraktionen gegen neue Finanzierungen durch
Deutschland wäre erheblich.
Zumal neben der ESM-Entscheidung, die im Frühjahr vom Bundestag beschlossen
werden muss, demnächst auch die über ein neues Griechenlandpaket ansteht.
Auch mit dieser, so die Einschätzung Altmaiers, muss sich das Parlament
befassen - ob ein Gesetz nötig sei, sei aber noch nicht klar. Der Koalition
stehen in jedem Fall neue Debatten über Merkels Europakurs bevor.
Vor dem EU-Gipfel am Montag stellt Deutschland darum andere Themen in den
Mittelpunkt. So werde dort eine Einigung auf den Fiskalpakt erwartet, hieß
es aus der Regierung. Beim Regelwerk, mit dem sich die meisten EU-Staaten
zum Sparen verpflichten wollen, konnte Deutschland zwar nicht alle
Forderungen durchsetzen, gibt sich jetzt aber trotzdem zufrieden. Und dann
natürlich das beliebte Thema Wachstum, das über europaweite
Strukturreformen gefördert werden soll. Zusätzliches Geld, etwa für
Konjunkturprogramme, soll auch dafür allerdings keinesfalls ausgegeben
werden. Für alle weiteren Themen gibt es ja, wie gesagt, keinen Anlass.
26 Jan 2012
## AUTOREN
M. Kreutzfeldt
U. Schulte
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