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# taz.de -- Marina Weisband verlässt Piratenspitze: Ich bin dann mal knuddeln
> Marina Weisband wollte kein Profi werden. Sie tat sich schwer mit dem
> öffentlichen Rummel und will nun erstmal nicht mehr. Ist ihre Haltung
> okay? Ein Pro und Contra.
Bild: Keine Lust auf den Job an der Spitze: Marina Weisband sagt dem Piraten-Bu…
Pro
Es ist wohlfeil, vor Jungunionisten, Jungsozialisten und Jungliberalen zu
warnen, die gerade erst ihr dreizehntes Lebensjahr vollendet hatten, als
sie beschlossen, Berufspolitiker zu werden. Man sollte es trotzdem tun.
Jene Menschen, die berufsmäßig nie zu viel sagen und nie zu wenig und sich
trotzdem vor jedes Mikrofon und jede Kamera hechten, die geschliffenen
Profis, können zur Gefahr werden. Ronald Pofalla (CDU), Hubertus Heil
(SPD), Patrick Döring (FDP), sie werden gefährlich, wenn es zu viele von
ihnen gibt. Sie machen Politik glatt und mechanisch. Marina Weisband,
Politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, gehört nicht dazu. Sie ist
der Gegenentwurf. Das kann man feststellen, ohne sie unnötig zu
idealisieren.
Mit den Mikrofonen und Kameras, die auf sie gerichtet waren, tat sich
Weisband schwer. Mitunter versank sie in Talkshows, verdrängt von
Alphatieren, den Profis. Sie fühlte sich von Journalisten oft
missverstanden, von manchen gar auf ihr Aussehen reduziert. Sie kritisierte
das. Bild machte sie zur "Verliererin des Tages". Jetzt zieht sie sich aus
der Spitze ihrer Partei zurück. Sie will ihre Diplomarbeit schreiben. Es
sei völlig normal, dass eine 24-Jährige ihr Diplom schreiben möchte, sagt
Weisband.
Wie normal dürfen Politiker sein? Wie ungeschliffen? In einem Interview mit
dem Spiegel sprach Marina Weisband kürzlich über ihre Vision,
Kabinettssitzungen live im Internet zu übertragen. Politiker würden, sagt
Weisband, auf diesem Wege "als Menschen erkennbar, die auch nicht alles
wissen, die Fehler machen und schreien, die sich manchmal sogar
beleidigen".
So falsch es sein mag, jede Vertraulichkeit im politischen Betrieb gegen
absolute Transparenz eintauschen zu wollen, so richtig ist das Anliegen,
die professionelle Politik menschlicher zu machen. Vorsicht! Menschlicher
nicht im Sinne des aktuellen Bundespräsidenten, der das Menschsein nur dann
für sich reklamiert, wenn es um die Begründung seiner Fehler geht.
"Ich knuddel mal virtuell alle Piraten", twitterte Marina Weisband neulich.
Der Spiegel fragte: "Bereichern Sie mit solchen Banalitäten den politischen
Diskurs?" Die Gegenfrage lautet: Bereichern Politiker den Diskurs, wenn sie
sich dauerhaft gegen unbedachte Äußerungen entscheiden, weil sie all die
Hauptstadtjournalisten im Kopf haben, die nur auf unbedachte Äußerungen
warten?
Felix Dachsel
***
Contra
Es war im Juli 2007, die Linkspartei tat so, als würde sie nach neuen
Parteivorsitzenden suchen. Eigentlich standen die aber schon fest: Lothar
Bisky und Oskar Lafontaine, wobei Letzterer mit Gregor Gysi auch noch die
Fraktionsspitze anführte. Progressiv zu sein, war der Wunsch, patriarchale
Häuptlingsherrschaft die Realität.
In der Partei grummelte es deswegen, in den Medien auch, und es hätte ihr
Moment werden können: Katja Kipping, damals 29 Jahre alt, Parteivizechefin
und Führungsfigur der libertären Strömung in der Partei. Und sie nannte das
Ganze pflichtschuldig einen "politischen Fehler", sonderlich
fortschrittlich sei das alles auch nicht. Um dann zu sagen, sie sei im
Übrigen zu jung für den Job und gehe lieber tanzen. Parteichefin könne sie
auch später noch werden, nach einem erfüllten Leben.
Sympathisch war das, unverbildet, ehrlich; wenn man Kipping mal getroffen
hat, wünscht man ihr das Beste. Marina Weisband, die lieber ihr Diplom
machen will, alles Gute auch ihr. Doch wer sich die Linke heute anguckt,
sieht einen Schrottplatz, wo anbiedernde Briefchen an Diktatoren ebenso vor
sich hin rotten wie größere Häufchen Mauerliebe.
Diese Klitsche wird von zwei überforderten Chefs geführt, während eine
kleine Clique von Paten mafiöse Postendeals durchzieht und unliebsame
Mitbewerber rüde beseiteschiebt. Vielleicht hätte Kipping das nicht ändern
können, aber das Kämpfen hätte sich gelohnt.
Nur ist das Kämpfen in der Politik eben anstrengend. Macht ist ein hartes
Gut, das ist in Diktaturen deutlicher zu spüren, wenn sie sich auf wenige
konzentriert - in Demokratien reiben sich ganze Parlamente an ihr auf.
Vielen Politikern, Männern meistens, sieht man das an - ihre Bäuche, die
ungesunde Gesichtsfarbe, eine Aura des Verbrauchten haftet ihnen an. Medien
belegen sie gern mit Begriffen wie "Apparatschiks", die diesen Abrieb
verächtlich machen.
Noch ärger wird es, wenn diese Menschen mit 16 schon bei der Jungen Union
waren. Vielleicht haben sie einfach nur begriffen, dass, wer wirklich etwas
erreichen will, das mit gutem Willen und allein nicht schafft. Das
Gegenmodell sind die Kippings und Weisbands, die Piraten derzeit generell -
sie stehen für die Sehnsucht, nichts opfern zu müssen im Kampf um
Interessen, ja sich selbst noch in der Politik aus der Politik heraushalten
zu können. Es hat nicht funktioniert.
Daniel Schulz
26 Jan 2012
## AUTOREN
F. Dachsel
D. Schulz
## TAGS
Marina Weisband
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