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# taz.de -- Interview zu Sex in der Türkei: "Frauen schämen sich oft noch"
> In der Türkei sind Sexshops für Frauen schwer zugänglich. Zwei junge
> Unternehmerinnen haben darum den ersten Onlineversand gegründet. Beate
> Uhse ist ihr Vorbild.
Bild: "Wir wollen, dass Frauen ihre Sexualität frei ausleben, dass sie sich tr…
Im Stadtteil Beyoglu in Istanbul, im Büro von Selin Keleser und Sonay Onur
liegen neben Tee und Keksen auch Vibratoren, Masturbatoren und Unterwäsche.
Eine Auswahl der beliebtesten Stücke ihrer Website: vor vier Monaten haben
Keleser und Onur den ersten Onlinesexshop in der Türkei gegründet,
[1][Sihirli Dokunuşlar] heißt er – "magische Berührungen".
sonntaz: Frau Keleser, Frau Onur, Sie bieten in Ihrem Onlinesexshop vor
allem Sexspielzeug für Frauen an. Warum?
Selin Keleser: In der Türkei sind Sexshops nur für Männer.
Sonay Onur: Und sie sind in sehr gefährlichen Gegenden. Wir haben quasi
eine Marktlücke entdeckt. Selin und ich haben angefangen, nach qualitativ
hochwertigen Produkten zu recherchieren, Testberichte zu lesen. So hat sich
das entwickelt.
Wie geht man in der Türkei mit Sexualität um?
Keleser: In Großstädten wie Istanbul sicher entspannter, aber auf dem Land,
gerade in Anatolien, ist Sex ein Tabuthema. Vor allem vor der Heirat. Jungs
dürfen über Sex reden, bei Mädchen wird der Wunsch, darüber zu reden, von
Kindesbeinen an unterdrückt. Wer in einer solchen Gesellschaft aufwächst,
spricht auch später nicht offen über Sexualität, nicht einmal mit engen
Freundinnen. Was gefällt dir beim Sex? Wie ist das bei dir und deinem
Freund? Solche Fragen beschämen oft noch.
Glauben Sie, das mit Ihrer Website ändern zu können?
Onur: Wir wollen, dass Frauen ihre Sexualität frei ausleben, dass sie sich
trauen, Tabus zu brechen.
Keleser: Wir wünschen uns, dass sich Frauen ihres eigenen Körpers bewusst
sind und ihn kennen. Dass sie wissen, was für sie gesund ist und was sie
mögen.
Wieso ist Sex immer noch ein Tabuthema in der Türkei? Aus religiösen
Gründen?
Onur: Nein, aus kulturellen.
Geht Ihre Generation anders mit Sex um als die Generation zuvor?
Onur: In gewisser Weise. Der neuen Frauengeneration der Türkei fällt es
leichter, eigene Gedanken zur Sprache zu bringen. Die Frauen heute
widersetzen sich dem Zwang anderer und nehmen das, was Eltern sagen, nicht
einfach als gegeben hin.
Woher kommt das Sexspielzeug, das Sie in Ihrem Onlineshop verkaufen?
Onur: Das ist unterschiedlich. Wir arbeiten etwa mit einem Großhändler aus
Holland zusammen, wir haben auch Unterwäsche, die wir aus Amerika
importieren.
Das Telefon klingelt. Geduldig erklärt Selin Keleser der Kundin, dass ihre
Produkte in neutralen Postpaketen stecken und von außen nicht ersichtlich
ist, woher sie stammen.
Wer sind Ihre Kunden?
Onur: Wir bekommen viele Bestellungen aus kleineren Städten, auch aus dem
Osten. Damit haben wir nicht gerechnet, wir dachten, dass vor allem Leute
aus Istanbul, Ankara oder Izmir bei uns einkaufen. Sechzig Prozent unserer
Kunden sind Männer. Wir verkaufen auch einige Masturbatoren, die speziell
für Männer gemacht sind.
Und wie reagieren Frauen auf Ihr Angebot?
Onur: Frauen schämen sich oft noch. Darum kann sich jede und jeder, die
oder der anonym bleiben und die eigene Adresse nicht preisgeben will, die
Ware zu einer Poststelle schicken lassen. Das Ergebnis: Die Bestellungen
von Frauen nehmen täglich zu. Sie wollen auch mehr wissen, zum Beispiel:
Welcher Vibrator ist der richtige für mich?
Sie bieten auch Beratung an?
Onur: Ja, dafür haben wir einen Chatroom. Außerdem planen wir einen
interaktiven Blog, wir wollen mit einem Arzt zusammenarbeiten, der die
Fragen unserer Kunden beantwortet.
Seit vergangenem Jahr werden in der Türkei bestimmte Begriffe in
Internetadressen zensiert. Beispielsweise ist das Wort "ciplak", also
"nackt", verboten – eines von vielen Wörtern, die geblockt werden. Hatten
Sie keine Probleme mit der Zensur?
Onur: Nein, aber wir hatten große Angst davor. Es gibt ja diesen
Familienfilter …
… einen Filter, der am eigenen Computer eingestellt werden kann, damit
keine Inhalte auftauchen, die "Anstand und Moral" untergraben könnten.
Onur: Von diesem Familienfilter wird unsere Seite definitiv geblockt. Wir
haben auch Probleme, Werbung zu schalten. Für bestimmte Wörter lässt Google
keine Werbung zu. Etwa für den türkischen Ausdruck für "zu schnell kommen".
Verzögert hat sich das Onlineschalten der Website allerdings wegen der
Banken.
Wieso Banken?
Onur: Die Banken wollten uns nicht gewähren, dass man die Vibratoren oder
Masturbatoren online per Kreditkarte zahlt. Weil wir Produkte verkaufen,
die in ihren Augen nicht in Ordnung sind. Nicht anständig. Wir haben
überhaupt nicht daran gedacht, dass das ein Problem darstellen könnte. Und
waren dann bei vielen Banken, auch bei großen. Erst nach vielen Gesprächen
haben sie die Website akzeptiert.
Wie haben Ihre Familien reagiert, als Sie ihnen eröffnet haben, dass Sie
einen Sexshop betreiben?
Keleser: Es war nicht einfach, das zu erzählen. Wir haben damit gewartet,
bis wir unseren Familien ein Beispiel der Website zeigen konnten. Aber dann
haben sie positiv reagiert.
Und wie geht es jetzt weiter?
Onur: Wir wollen die Beratung ausbauen und einen Laden in Istanbul
eröffnen. Einen Sexshop in einem schicken, modernen Stadtteil. Damit unsere
Kunden sagen können: Hier schäme ich mich nicht, wenn ich aus der Tür komme
und gesehen werde.
Sehen Sie sich als Pionierinnen wie Beate Uhse?
Keleser: Beate Uhses Geschichte ist beeindruckend. In Deutschland, in
England, überall gibt es ihre Marke. Warum sollte es nicht etwas
Vergleichbares in der Türkei geben?
Onur: Sie hat mit Verhütungsthemen angefangen und irgendwann ihren eigenen
Laden gehabt, sich nicht hinter einer Website versteckt wie wir. Und das
damals im Deutschland der Nachkriegszeit. Das war sehr, sehr mutig. Ehrlich
gesagt wäre es schön, als eine solche Pionierin in Erinnerung zu bleiben.
27 Jan 2012
## LINKS
[1] http://www.sihirlidokunuslar.com.tr/index.php?route=common/home
## AUTOREN
Mirjam Schmitt
## TAGS
Kino
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