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# taz.de -- Geschlechtertrennung in Saudi-Arabien: Mit Darth Vader im Bett
> Überall in der arabischen Welt rumort es, in Saudi-Arabien hingegen
> bleibt es erstaunlich ruhig. Dort existiert das "perfekte System" –
> vornehmlich der Geschlechtertrennung.
Bild: Ohne Nikab läuft in Saudi-Arabien nichts.
Da war sie wieder einmal, die Mauer, gegen die ich regelmäßig gerannt bin.
"Das geht nicht. Sie sind doch ein Mann!", sagte die Bloggerin und
Sprecherin der Kampagne "Women2Drive", Eman al-Nafjan, am Telefon. Sie
klang dabei ehrlich pikiert.
Dabei hatte ich doch eigentlich nichts Schlimmes vorgeschlagen. Nur, dass
ich bei einem Treffen der Frauen dabei sein wollte, die angefangen hatten,
in der saudischen Hauptstadt Riad mit dem Auto zu fahren. So sind
Journalisten. Sie wollen gern dabei sein, wenn etwas Interessantes
passiert, sehen, hören, fühlen, Fragen stellen. Aber eigentlich hätte ich
wissen müssen, dass das in Saudi-Arabien nicht ging. Auch nicht bei
Journalisten. Und nicht bei Ärzten und nicht bei Polizisten oder
Rechtsanwälten.
Im Königreich der Frommen - so habe ich Saudi-Arabien schnell für mich
getauft - dürfen sich Frauen und Männer, die nicht eng miteinander verwandt
sind, nicht gemeinsam in einem Raum aufhalten oder das Haus gemeinsam
verlassen. Außer Vater/Mutter, Tochter/Sohn und Bruder/Schwester sind das
alle. Ich hatte die Zurechtweisung verdient. Über diese Mauer sprang
niemand.
Diese rigide Geschlechtertrennung liegt über Saudi-Arabien wie ein böser
Zauber. Sie ist das Alpha und das Omega des "perfekten Systems", wie die
saudische Führung die religiös begründete Ordnung im Königreich gern nennt.
Würde sie fallen, fiele das ganze System. Und da sind die Glaubenshüter
vor.
Vor zwei Monaten erst hat ein führender Geistlicher dem Schura-Rat ein
Gutachten vorgelegt, das warnte, fiele das Verbot für Frauen, Auto zu
fahren, Ausschweifung und Prostitution die unmittelbare Folge wären. 2015
dann gebe es schon keine Jungfrauen mehr im Königreich. Für westliche Ohren
klang das wie ein Witz. Es war aber keiner.
## Gesichts- und körperlos
Denn Gesetzesinitiativen, die bis zum Schura-Rat vordringen - das ist eine
den König beratende Versammlung -, werden gewöhnlich auch angenommen. Wegen
der Geschlechtertrennung haben alle öffentlich zugänglichen Einrichtungen,
Schulen, Universitäten, Sportklubs, Moscheen oder Restaurants zum Beispiel
entweder getrennte Räume oder gleich getrennte Gebäude; häufiger jedoch
gibt es sie einfach gar nicht, wie öffentliche Verkehrsmittel, oder es gibt
sie einfach nur für Männer.
Natürlich wäre es wegen der Geschlechtertrennung eigentlich am besten, wenn
die Frauen das Haus gar nicht verließen, aber das geht wohl selbst im
"perfekten System" nicht. Deshalb machen sich die Frauen in der
Öffentlichkeit unkenntlich. Sie werden gesichts- und körperlos, ja, im
Grund sind sie nicht voll anwesend.
Außer Haus tragen alle saudischen Frauen die Abaja, eine tiefschwarze weite
Robe, die vom Kopf bis zum Boden reicht; dazu den Nikab, einen schwarzen
Gesichtsschleier, der nur einen sehr schmalen Schlitz um die Augen frei
lässt. Im Vergleich dazu wirken die hellblauen und hellbraunen Burkas der
afghanischen Frauen kokett. Manche Frauen tragen sogar schwarze Handschuhe
und ein schwarzes, leicht transparentes Tuch vor den Augen. Denn die
religiöse Polizei hat auch schon Frauen befohlen, den Augenschlitz zu
bedecken, wenn sie "wandernde", das heißt flirtende Augen gesehen haben
wollte.
##
## Machtverhältnisse der Geschlechter
Die schwarzen Roben sind ein beliebtes Gesprächsthema unter Nichtsaudis.
Jeder hat so seine Theorie, woran ihn die vermummten Frauen erinnern. Mich
mahnte ihre schwarze Silhouette unheilvoll an die einer Vogelscheuche oder
des Schnitters Tod; bei manchen gar, die noch zusätzlich ein schwarzes Tuch
über den Kopf nach hinten warfen und ihm so eine breite, trapezförmige Form
gaben, an die von Darth Vader, den Erzschurken aus "Star Wars".
Einer meiner Kollegen aus Neuseeland fühlte sich von den Frauen an Geister
erinnert. "Sie schweben so dahin. Du siehst ja ihre Füße nicht. Und du
hörst sie nie", erzählte er mir.
Er hatte recht. Das ist auch mir aufgefallen. Wenn ich überhaupt Frauen
sah, dann nur unter sich oder mit ihrem Ehemann verstohlen tuschelnd. Ich
hörte sie nie. Ich sah sie nie aufgebracht, lustig oder traurig. Ich musste
mich immer selbst kneifen, um nicht zu vergessen, dass sie auch Leute
waren, die zu Hause, wenn niemand dabei war, aßen, stritten oder sogar
lachten. Sonst hätte ich es vergessen.
Das war kein Zufall, haben mir meine Studenten irgendwann klargemacht. Mein
Kassettenrekorder war ausgefallen, und ich las einen Dialog zwischen einem
Mann und einer Frau vor. Den Mann las ich mit tiefer Stimme und die Frau
mit hoher; beide jedoch gleich laut, denn ich wollte ja, dass mich alle
verstanden. Das hat sofort zu Protesten geführt. "Lehrer, Sie machen das
verkehrt", sagte ein Student, und die anderen nickten. "Bei uns sprechen
Frauen viel leiser, und sie senken den Blick, wenn sie mit Männern reden."
Tut mir leid, dass ich mit meinen begrenzten schauspielerischen
Möglichkeiten nicht auch noch die Machtverhältnisse der Geschlechter in
Saudi Arabien korrekt dargestellt habe.
Weil im Königreich Frömmigkeit gesellschaftliches Ansehen versprach wie
anderswo Geld oder Erfolg, gab es dort natürlich auch Frauen, die die
Kleiderkeuschheit auf die Spitze trieben. Eine von ihnen, berichtete die
Tageszeitung al-Hajat im Dezember 2010, ist bei einem Verkehrsunfall ums
Leben gekommen. Deshalb musste ihr Ehemann in die Leichenhalle, um sie zu
identifizieren. Das Problem war nur, die Frau war aus Najd, der Hochebene
um die Hauptstadt Riad, wo traditionell die Sitten am strengsten sind.
## Mit Darth Vader schlafen
Deshalb hatte selbst ihr Ehemann die Frau noch nie ohne Gesichtsschleier
gesehen. Auch vor ihren Kindern hatte sie den Nikab nie abgenommen. Was
wollte der Mann tun? Er bat das Personal seiner Frau den Nikab wieder
anzulegen. Und? Jawohl, das war sie. Der Mann erkannte sie. Ende gut, fast
alles gut. Bleibt nur noch die Frage: Wie es wohl so ist, mit Darth Vader
zu schlafen?
Am Anfang habe ich mich gewundert, dass sich die Frauen das alles gefallen
ließen. Selbst nach einem Jahr jedoch war ich noch nicht viel schlauer.
Denn von Angesicht zu Angesicht habe ich nur mit zwei saudischen Frauen
gesprochen. Mit beiden in der Redaktion einer englisch-sprachigen Zeitung,
wo ich kurz arbeitete. Ansonsten nur mit Frauenrechtsaktivistinnen am
Telefon. Wie sollte ich wissen, was normale Frauen so dachten!
Und ich habe ja an mir selbst bemerkt, wie schnell mich das "perfekte
System" konditionierte. Sah ich, wie im Supermarkt, Frauen in meiner Nähe,
war ich vorsichtig. Ich hielt Abstand, um sie nicht zufällig zu rempeln.
Ich fragte sie nichts und ich senkte den Blick, damit sie mich nichts
fragten. Die schwarzen Gestalten bedeuteten Gefahr. Denn wenn ein Lächeln,
ein hingeworfener Satz zur Orgie führen konnten, war es besser den Kontakt
überhaupt zu vermeiden.
Das "perfekte System" war also intakt. Aber das Beste an ihm war, dass sich
niemand je die Mühe gemacht hat, seine Regeln einmal aufzuschreiben. Als
Saudische Verfassung gilt der Koran. Als Strafgesetzbuch wird der Koran
zusammen mit den Hadith verwendet - mehrere Textsammlungen der Politik und
der Äußerungen des Propheten und seiner frühen Anhänger, die von Richtern
interpretiert werden. Wo steht dann aber, dass Frauen und Männer keinen
Kontakt haben dürfen? Nirgends. Wo steht, dass Frauen sich ganz schwarz
verkleiden müssen? Nirgends. Wo steht, dass Frauen nicht Auto fahren
dürfen? Auch nirgends. Warum tun sie es dann? So haben sie es immer getan,
und die Polizei setzt es ja auch durch. Das "perfekte System" fürwahr.
30 Jan 2012
## AUTOREN
Peter Böhm
## TAGS
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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