# taz.de -- Buch über Hipster: Wat, wer bist du denn? | |
> Er ist in aller Munde und doch so fremd – wer oder was ist der Hipster? | |
> Und was ist überhaupt hip? Ein gerade erschienenes Buch versucht, | |
> Antworten darauf zu geben. | |
Bild: Was ist der Hipster? Ein auffallendes Brillengestell ist wichtiges Merkma… | |
Mehr Hipster war nie: Ließ sich vor gar nicht so langer Zeit durch die | |
Verwendung des Wortes noch für einiges Unverständnis sorgen, wird es heute | |
schwer sein, noch jemanden zu finden, der zugibt, es nicht zu kennen. Auch | |
dürfte man sich rasch einigen können, was sich dahinter verbirgt: Hipster, | |
das sind doch diese dürren Jünglein in engen, umgekrempelten Jeans, | |
möglichst auffälliges Woody-Allen-Brillengestell im bärtigen Gesicht und | |
ironisch bedruckten Jutebeutel über der Schulter, mit iPad drin. Stimmt und | |
auch wieder nicht. | |
Denn so konsensfähig diese Beschreibung ist: Wer heutzutage in | |
einschlägigen Berliner oder auch New Yorker Straßen nach solchen | |
Äußerlichkeiten über Hipness oder eben nicht entscheiden wollte, hätte | |
schlechte Karten. Sogar dann, wenn er die Verästelungen modischer Codes zu | |
lesen verstünde: Ist dieser halbhohe Wildlederschnürstiefel nun ein echter | |
Desert Boot oder bloß eine dreimal so teure Kopie? Denn: Hipster oder | |
keiner, das ist nicht eins zu eins ans Geld gekoppelt, sondern eher an eine | |
schwerer greifbare Währung; vielleicht am ehesten an das, was vor ein paar | |
Jahrzehnten "cooles Wissen" genannt wurde. Dass sich in einer | |
soziologischen Analyse einer zufällig ausgewählten Ansammlung von Hipstern | |
dennoch eine ganz bestimmte Zusammenstellung von Geschlecht (durchweg | |
männlich), Hautfarbe (weiß!) und Einkommen (gar nicht mal so gering) | |
ergäbe, stimmt dennoch. | |
Beim - auf seine Weise ja auch mal sehr cooles Wissen verbreitet habenden - | |
Suhrkamp-Verlag ist dieser Tage der Band "Hipster. Eine transantlantische | |
Diskussion" erschienen; auch das ein Indiz dafür, wo es das Konzept und | |
seine Vertreter inzwischen so alles hin geschafft haben. Die Herausgeber, | |
zu keinem geringen Teil Absolventen US-amerikanischer | |
Ivy-League-Universitäten, legen ihrer "Diskussion" dabei einen sehr klar | |
umrissenen Begriff zugrunde: "Wenn wir über den zeitgenössischen Hipster | |
sprechen", schreibt Mark Greif, "dann sprechen wir über eine äußerst | |
heterogene Figur, die in diversen Subkultureen zu verorten ist und die zum | |
ersten Mal im Jahre 1999 auftauchte und eine recht kurze, aber robuste | |
erste Phase durchlebte, zwischen 1999 und 2003." Da habe jüngst "ein | |
Begriff, der lange Jahre als Beleidigung verwendet wurde, plötzlich eine | |
neutrale oder gar positive Konnotation" erhalten. Schon der Versuch, den | |
Hipster zu beschreiben, sei zum Scheitern verurteilt, heißt es weiter, | |
"weil darin am Ende nie alle die Hipster wiedererkennen werden, denen sie | |
selbst begegnet sind". | |
Die Schwierigkeit einer genauen Definition trieb auch schon John Leland um, | |
den Verfasser der bis heute gründlichsten Befassung mit dem Thema, "Hip: | |
The History", aus dem Jahr 2004. Er zitierte gleich zu Beginn einen Song | |
der Soulband Tower of Power: Die Frage "What Is Hip" beantwortete er 1973 | |
so: "Hipness is - what it is! And sometimes hipness is / What it ain't!". | |
Womit alles gesagt wäre und, wiederum, zugleich nichts. | |
## Das geheime Wissen | |
"Moment mal", wendet nun der eine oder andere ein. Dreht seinen audiophilen | |
Verstärker leiser der gerade eine rare Pressung Thelonious Monks optimal in | |
Szene setzt. Erzählt von, ja, Jazz und von den Beatniks und davon, wie das | |
Word "hip" sich aus dem westafrikanischen Wolof herleitet und eng verwoben | |
ist mit der Geschichte von Sklaverei, Rassentrennung und | |
Bürgerrechtsbewegung. Wie Hipness also zu tun hat mit der | |
Selbstermächtigung, mit dem geheimen Wissen von Menschen, die ansonsten an | |
nichts teilhaben durften. Und davon, wie wenig sich von den Wagnissen | |
früherer Tage wiederfindet in der Idee vom Hipster, wie Greif und die | |
Seinen sie da im Munde führen. | |
Dass immer mehr Menschen wissen, oder zu wissen glauben, wer der Hipster | |
sei und wie er sich erkennen lasse, wird begleitet von Häme, ja Hass: Auch | |
im deutschsprachigen Internet wird inzwischen seit Jahren hergezogen über | |
einen bestimmten Typ von klischiertem Berlin-Mitte-Bewohner: Blogs wie | |
ichwerdeeinberliner.com ergehen sich in mal mehr, mal weniger zielgenauer | |
Polemik wider pseudo-kreative Cafébewohner oder auch "confused dark-haired | |
girls"; Letztere sind dabei ein seltenes Beispiel für eine weibliche Idee | |
von (verachtenswertem) Hipstertum: Im Großen und Ganzen nämlich ist der | |
Hipster ein Mann, wenn auch vielleicht ein nicht immer so arg männlicher. | |
Den zur Schau gestellten Tätowierungen und dem beinahe zur Vorschrift | |
geronnenen Muss, ein ärmelloses Feinripp-Unterhemd zu tragen, zum Trotz. | |
Womit die Anti-Hpster-Tiraden dann sogar anschlussfähig sind an die jüngst | |
losgetretene Debatte um den vermeintlich Neuen Mann. | |
Zu dem nun auf Deutsch vorliegenden Buch gibt es eine US-amerikanische | |
Vorlage: die 2010 erschienene Anthologie "What Was The Hipster? A | |
Sociological Investigation". So wie bereits die Titel der beiden Ausgaben | |
Unterschiedliches in Aussicht stellen, unterscheiden sich auch die Inhalte: | |
Drei Texte des Originals gelangten nicht in den Suhrkamp-Band, darunter | |
einer, der sich mit dem offenbar für nicht vermittelbar gehaltenen Begriff | |
des "douchebag" beschäftigt, grob übersetzbar als Vollpfosten. Ergänzt | |
wurde der Band dafür um drei deutschsprachige Beiträge, auch vom früheren | |
taz- und heutigen Spiegel-Redakteur Tobias Rapp. Bei ihm finden sich schöne | |
Überlegungen zum Unterschied (und, wenn vielleicht nicht so beabsichtigt, | |
auch zur Verwandtschaft) des Hipsters zu seiner Nemesis: dem Touristen. | |
Neben Rapp hat Suhrkamp einen Text des SZ-Redakteurs Jens-Christian Rabe | |
sowie eine teils ein wenig ins Esoterische ragende E-Mail-Korrespondenz | |
zwischen Thomas Meinecke und dem Literaturwissenschaftler Eckhard | |
Schumacher hinzu genommen. Gerade diese nachgereichten Debattenbeiträge | |
erweitern erheblich das Spektrum dessen, was unter Hipster zu verstehen | |
sei: Da ist dann vom Techno-Publikum und die legendären Clubs der | |
90er-Jahre zu lesen, aber genauso von den Zoot Suits der Vierziger Jahre, | |
von Disco und den Rändern der Heteronormativität. Wie sehr solche Phänomene | |
mit dem Hipster korrespondieren, der Greif et al. vorschwebt, ist nicht | |
immer ganz klar. Ist eben eine Debatte, da redet man auch schon mal | |
aneinander vorbei. | |
## Im Mainstream angekommen | |
Wider die Klischees vom angelsächsischen und dem deutschen akademischen | |
Denken fragte ausgerechnet die US-Ausgabe, "What was the Hipster", von | |
einer nachträglichen Warte aus nach einem sterbenden Phänomen: Denn die | |
Hipster-Mode habe ja "den Mainstream erreicht, ein fixes Set von | |
Accessoires und Stilmitteln, die frisch verpackt in den Einkaufszentren der | |
USA liegen". Und was könnte sich der Hipster Schlimmeres vorstellen, als | |
eingeholt zu werden von der Masse? | |
Neben dem genuinen Hipness-Medium, dem Netz, transportieren wenn nicht | |
Bashing, so doch wenigstens Spott auf Kosten des Hipsters und seiner nie | |
endenden Flucht vor dem Mainstream auch traditionellere Kanäle: Mitte der | |
Nullerjahre zeichnete die britische TV-Serie "Nathan Barley" ein teils | |
krudes Bild von den Gadget-fixierten Medienschaffenden in den damaligen | |
Londoner In-Stadtteilen. Was manche bemängelten, war, dass die Macher der | |
Serie zwar präzise beobachtet hatten, worüber sie sich lustig machten - | |
damit aber schlicht zu spät dran waren: 2005 noch die Dotcom-Entourage zu | |
verspotten, war eben gerade kein besonders cooles Wissen. | |
Der vorerst letzte Schrei des - im weitesten Sinne - | |
Mainstream-Hipster-Verhohnepiepelns ist die amerikanische Comedy-TV-Serie | |
"Portlandia". Sie hat sich ein selbst reichlich aus der Zeit gefallenes | |
Objekt der Belustigung gesucht - das alternative Biotop Portland, Oregon - | |
und schert sich wenig um das Hase-und-Igel-Spiel der Hipness. Wundervoll | |
zeigt dessen Mechanismen der im Netz kursierende Sketch "Hipster Cycle": Da | |
geht ein Kinnbartträger nicht mehr in seine Lieblingskneipe, weil die | |
falschen Leute es auch tun. Er gibt sein Fixie-Fahrrad weg, weil das "so | |
over" sei und hört sogar damit auf, Muscheln und Schneckenhäuser zu | |
grässlichem Kunsthandwerk zu verarbeiten. | |
Am Ende hat sich dann alles gedreht: Nun Kinnbartlos, sitzt unser trauriger | |
Held am Tresen, während draußen der anfängliche Normalo, in einen echten | |
Alternativen gewandelt, der Bar verächtlich den Rücken kehrt. Hip wäre | |
demnach, nicht wer etwas Bestimmtes, Festzulegendes trägt, hört oder kauft: | |
All das kann sich wandeln, jederzeit. Hip wäre, wer die Nase vorn hat. Wo | |
immer gerade vorne ist. | |
6 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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