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# taz.de -- Debatte Antikapitalismus: Der neue grüne Sozialismus
> In Deutschland wird wieder über den Kapitalismus gesprochen. Zaghaft
> denken auch Konservative über Systemalternativen nach. Die Linke bleibt
> außen vor.
Bild: Über Kapitalismus wird wieder gesprochen.
Der Verfassungsschutz, so empört wie vergnügt kann das nur ein Gregor Gysi
formulieren, hat also "eine Meise". Dafür spricht einiges. Ehrlicherweise
könnte er hinzufügen: Die Debatte über die Beobachtung ihrer Abgeordneten
hat der Linken ein wenig Erholung verschafft. Nach Monaten des Dauerstreits
kann sie gegen den "Pfeifenverein" und seinen Tambourmajor Dobrindt
zusammenrücken. Beistand erfährt die Partei sogar von der sonst nicht
zimperlichen Konkurrenz. Die Kommentatoren urteilen eher freundlich. Und in
Umfragen geht es nicht weiter bergab. Einerseits.
Andererseits wird das nachrichtendienstliche Unwesen die Schwäche der
Partei nicht dauerhaft überdecken. Die Diskussion über die Beobachtung
macht diese sogar noch sichtbarer. Keine noch so kämpferische Rhetorik,
keine Kommunistische Plattform und auch nicht politische Symbolik, welche
die Öffentlichkeit als anstößig betrachtet, ändern etwas daran: Wirklich
"gefährlich" für den Status quo ist die Linke in ihrer gegenwärtigen
Verfassung so wenig wie die SPD.
Das ist ein Problem für eine Partei, die sich "ein anderes Wirtschafts- und
Gesellschaftssystem" zum Ziel setzt. Und es ist kein Vorteil in Zeiten, die
eine demokratisch-antikapitalistische Partei gut gebrauchen könnten. Eine
Partei, die Lust auf radikale Veränderungen macht, die beweist, dass diese
nicht in die Vergangenheit führen, und die zeigt, dass man damit schon
heute beginnen kann.
Die Bedingungen sind eigentlich nicht schlecht. Die Beobachtung der Linken
ist mit dem Hinweis auf den "linken" Gehalt des Grundgesetzes kritisiert
worden. Dass gegen die Krise bloße Kosmetik nicht mehr hilft, steht
inzwischen auch in der Frankfurter Allgemeinen. 77 Prozent meinen laut
ARD-Deutschlandtrend von letzter Woche, die "soziale Marktwirtschaft" lasse
ja doch nur die Reichen noch reicher werden. Es wird wieder vom
Kapitalismus gesprochen.
## Die neue Konfliktlogik
Und selbst aus der Diskussion über implodierende Staatshaushalte lässt sich
nicht heraushalten, dass es um viel mehr geht - um die Art und Weise, in
der global unter sehr verschiedenen Bedingungen bei ungleichzeitigen
Voraussetzungen auf Klimawandel, Ressourcenknappheit und Verteilungsfragen
reagiert wird. Was uns bequem geworden ist, frisst uns sonst auf. Aber
zuerst die im Süden.
Ein demokratischer und grüner Sozialismus ist da kein naiver Quatsch, er
wird zu realen Alternative. Doch was macht die Linke daraus? Gern gefällt
sie sich in enervierender Rechthaberei und behauptet, nur sie kenne den
Ausweg aus der Systemkrise. Das ist ihr wenig einladender Oppositionsmodus.
Im Regierungsmodus versucht sie möglichst nicht aufzufallen, am wenigstens
durch den Beweis, dass ihr Mitregieren etwas zum Projekt einer sozialen und
ökologischen Transformation beitragen könnte.
Innerhalb der Linken wird zwischen diesen beiden Polen ein personalisierter
Streit aufgeführt. Realos oder Fundis? Bartsch oder Lafontaine? Jede noch
so kleine Differenz gerät dabei, die Medien machen's gern mit, ins allzu
grobe Raster: Reform der Revolution? Als ob das noch die Frage wäre. Über
eine Linke, die entweder "sozialistische Massenpartei" oder aber zweite
Sozialdemokratie sein wollte, brauchte man nicht zu diskutieren. Das eine
wäre so anachronistisch, wie das andere überflüssig ist. Vielleicht hat die
Partei das inzwischen bemerkt. Man solle, hörte man zuletzt oft, mit der
"Selbstbeschäftigung" aufhören und "wieder Politik machen".
Aber was hieße das? Erstens müsste sich die Linke von einer Konfliktlogik
verabschieden, die mit den realen Widersprüchen ihrer Politik nichts zu tun
hat. Nicht zwischen Reformern und Fundis verlaufen die Gräben, sondern
zwischen Keynes und Wachstumskritik, regionalem Spielraum und globaler
Abhängigkeit, individueller Differenz und kollektiver Gleichheit, zwischen
Vollbeschäftigungsutopie und Autonomieversprechen, Sicherheitsbedürfnis und
paternalistischem Staat, Basisdemokratie und Entscheidungseffizienz.
Man kann die Liste noch verlängern, ganz ähnliche Reibungspunkte finden
sich bei Grünen und Piraten, auch in der Sozialdemokratie. Vor allem: Es
sind Widersprüche, die zum Alltagsdenken derer gehören, welche das große
Fundament eines gesellschaftlichen Kurswechsels einmal bilden werden. Es
wird eine zweifelnde Mehrheit sein.
Eine, die um die Notwendigkeit von Veränderung weiß, aber immer weniger
glaubt, dass Parteien dabei die erste Geige spielen können. Eine schnell
wachsende Zahl von Leuten überlässt Demokratie nicht mehr ihrem
historischen Aggregatzustand, in dem die Apparate mächtig und die Massen
Zuschauer waren. Die Zeiten ändern sich: Teilhabe wird flüssiger,
Mitbestimmung organisiert sich in Netzwerken, Engagement findet
individuelle Gelegenheiten.
## Hätte, wäre, könnte
"Politik zu machen" wird deshalb, zweitens, in Zukunft für Parteien heißen,
die eigene Begrenztheit als Organisation zu begreifen. Ihre Rolle hätte
eine Linke trotzdem: als intellektueller Motor, der mit Debatten nicht nur
den eigenen Laden am Laufen hält, sondern auch die Bewegungsrichtung der
anderen beeinflusst. Was die Grünen auf dem Feld des ökologischen Umbaus
und die Piraten auf dem der Demokratie sind, könnte die Linke für die
soziale Frage, für einen demokratischen Antikapitalismus sein.
Hätte, wäre, könnte. Die Wahrheit ist, dass es diese Linke zurzeit nicht
gibt. Die gleichnamige Partei sollte sich nichts darauf einbilden, wenn der
Verfassungsschutz sie aus falschen Gründen beobachtet. Der Rummel geht
vorbei; dann wird wieder deutlicher zu spüren sein, warum selbst die
Wohlwollenden auf Distanz bleiben.
Alles ein Komplott der "Konzernmedien"? Ach bitte! Weder aus den
Gewerkschaften noch der Kulturszene und auch nicht aus den
Protestbewegungen war in den vergangenen Monaten ein Wort des Bedauerns
über die Schwäche der Linken zu hören. Und wer von den Intellektuellen, die
jetzt wieder zaghaft gegen den Kapitalismus anschreiben, sprach je von ihr?
Eben. Viel schlimmer kann es für die Partei eigentlich nicht kommen.
7 Feb 2012
## AUTOREN
Tom Strohschneider
## TAGS
tazlab 2012: „Das gute Leben“
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