| # taz.de -- Der Umgang mit dem Nazi-Terror: "Die Angst vor Anschlägen bleibt" | |
| > Das Ausmaß der rassistischen Mordserie sei vielen noch nicht bewusst, | |
| > findet Barbara John. Sie kümmert sich als Ombudsfrau um Opfer-Angehörige. | |
| Bild: Auf dem rechten Auge blind? Jahrelang konnten die Behörden keinen rechts… | |
| taz: Frau John, Sie sind Ombudsfrau für die Angehörigen der Opfer der | |
| Zwickauer Neonazi-Terrorzelle: Hätten Sie es noch vor wenigen Monaten für | |
| möglich gehalten, dass es eines solchen Postens bedarf? | |
| Barbara John: Nein, natürlich nicht. Und das Schlimme ist ja, dass in all | |
| den Jahren niemand dem Verdacht nachging, dass es sich bei dieser Mordserie | |
| um rechtsextreme Verbrechen handeln könnte. | |
| Die Polizei sagt: Wir haben in alle Richtungen ermittelt. | |
| Wenn es denn so gewesen wäre! Die Polizei hat fast ausschließlich in eine | |
| Richtung ermittelt: "Ausländerkriminalität". Das war ihre wichtigste | |
| Option. Das erste Mordopfer, Enver Simsek, wurde deshalb verdächtigt, neben | |
| Blumen vom Großhandel in Amsterdam wahrscheinlich auch noch Drogen zu | |
| importieren. Bei den anderen Opfern gab es ähnliche Verdächtigungen. Die | |
| Sicherheitsbehörden sind in die Familien hineingegangen und haben Fragen | |
| über Fragen gestellt, um vermeintliche Beziehungen zwischen Tätern und | |
| Opfern herauszukitzeln. Aber: immer dieselbe Waffe, immer Einwanderer, | |
| keine harte Spur in die Mafia- oder Drogenszene. Da hätten doch alle | |
| Glocken läuten müssen! | |
| Wie erklären Sie sich, dass genau das nicht passiert ist? | |
| Polizisten werden auf die Arbeit in einer Einwanderungsgesellschaft immer | |
| noch nicht vorbereitet. Sie erleben Migranten vor allem als Tatverdächtige. | |
| In ihrem privaten Umfeld und auch bei der Polizei sind Einwanderer noch | |
| immer die Ausnahme. | |
| Sie haben inzwischen mit fast 70 Angehörigen der Opfer Kontakt aufgenommen. | |
| Was sagen die über die jahrelangen Falschverdächtigungen? | |
| Für sie war das eine furchtbar belastende Situation. Dadurch sind meistens | |
| die kleinen sozialen Netze, die für Einwanderer besonders wichtig sind, | |
| zerstört worden. Nachbarn und Bekannte haben gesagt: So wie die Polizei die | |
| in die Mangel nimmt, wird da schon was dran sein. Auch innerhalb der | |
| Familien kam es manchmal zu Streit, zu Trennungen. | |
| Was genau können Sie für die Familien jetzt tun? | |
| Als Erstes habe ich den Angehörigen, deren Väter, Brüder oder Männer | |
| ermordet wurden, einen Brief geschrieben, genauso den Opfern, die die | |
| Anschläge der rechtsextremen Terroristen in Köln überlebt haben. Damit sie | |
| überhaupt wissen, dass es mich gibt und sie mich jederzeit erreichen | |
| können. Dann habe ich ihnen einen Fragebogen geschickt, um herauszufinden, | |
| was sie jetzt und heute konkret brauchen. | |
| Was waren die Antworten? | |
| Manche benötigen eine psychologische Betreuung, andere machen sich Sorgen, | |
| wie sie ihre Anwaltskosten bezahlen können. Schulden haben sich angehäuft. | |
| Die Ausbildung von Kindern ist aus Geldmangel gefährdet. Es gibt Probleme | |
| bei der Einbürgerung. Ich bekomme aber auch sehr persönliche Briefe, in | |
| denen Angst und Verzweiflung geäußert werden. | |
| Obwohl die Täter gefunden wurden, bleibt die Angst? | |
| Ja, sie haben weiter Angst, auch um ihre Kinder. Ich frage mich, wie sich | |
| die Angehörigen ein Stück weit aus ihrer Opferrolle befreien und wieder | |
| aktiv werden könnten im Geschehen. Und ich glaube, dass die Einbeziehung in | |
| die Aufklärung ihnen dabei helfen würde. | |
| Wie meinen Sie das? | |
| Viele Angehörige erklären, dass sie von den Behörden über den Stand der | |
| Ermittlungen nicht informiert werden. Sie möchten das aber unbedingt. Hier | |
| muss eine machbare Form gefunden werden. Außerdem gehört es zur Aufklärung, | |
| darzustellen, wie weit sich die Ermittler damals bei den Familien verrannt | |
| haben. | |
| Seit bekannt wurde, dass die Morde von einer rechten Terrortruppe verübt | |
| wurden, gab es keine Lichterketten, keine Großdemos. Warum nicht? | |
| In das Bewusstsein vieler Menschen sind Tragweite und Ausmaß der | |
| rassistischen Verbrechen noch nicht eingesickert. Sie liegen Jahre zurück, | |
| nicht mal die Sicherheitsapparate konnten aufklären, es scheint ja dann | |
| nicht so bedeutsam gewesen zu sein. Fatal. Die Reaktion wäre mit Sicherheit | |
| anders gewesen, wenn es sich bei der Mordserie um zehn deutsche Politiker | |
| oder Unternehmer gehandelt hätte. | |
| Aus einem Fonds bekommen die Opferangehörigen nun 5.000 bis 10.000 Euro | |
| Entschädigung. Genügt das? | |
| Ein Menschenleben ist nicht zu ersetzen. Aber wenn jeder Passagier des | |
| verunglückten Kreuzfahrtschiffs "Costa Concordia" nun 11.000 Euro als | |
| Entschädigung bekommen soll, zeigt das eine krasse Unverhältnismäßigkeit. | |
| Schon vor Jahren mussten die Familien hohe Kosten bestreiten, für die | |
| Beerdigung, die Überführung, den Lebensunterhalt, weil der Ernährer | |
| plötzlich wegfiel. Heute für Anwälte, die für sie tätig sind. Viele | |
| stürzten materiell ins Elend, weil der Ernährer der Familie ermordet wurde. | |
| Mit Geld Schäden zu mindern, ist nun wirklich das Mindeste, was zu tun ist. | |
| Übrigens sind die Angehörigen in diesem Punkt sehr zurückhaltend. | |
| Im Bundestag gibt es nun einen Untersuchungsausschuss, am Mittwoch soll | |
| außerdem noch eine Bund-Länder-Kommission eingesetzt werden. Was erwarten | |
| Sie von diesen Gremien? | |
| Ich würde eine andere Form der Aufklärung bevorzugen, die auch die | |
| gesellschaftlichen Hintergründe beleuchtet. | |
| Wie würde das aussehen? | |
| In England wurde 1993 ein junger dunkelhäutiger Mann erstochen, Stephen | |
| Lawrence. Fünf Jahre später wurde die Macpherson-Kommission ins Leben | |
| gerufen, die vollkommen unabhängig von parteipolitischen Färbungen einen | |
| Bericht erarbeitete. Darin wurde festgestellt, dass Scotland Yard bei den | |
| Ermittlungen auf dem rechten Auge blind war. Und es wurden Empfehlungen | |
| abgegeben, wie institutioneller Rassismus nicht nur in den | |
| Sicherheitsbehörden bekämpft werden kann, sondern in der Gesellschaft | |
| insgesamt. Auch für Deutschland wäre ein solches unabhängiges Gremium | |
| besser, das nicht nur Pannen im Getriebe untersucht, sondern den Blick | |
| schärft, wie weit wir noch zurückliegen bei den Mindesstandards für eine | |
| moderne Einwanderungsgesellschaft. | |
| In zwei Wochen wird es eine zentrale Trauerfeier in Berlin geben. Was kann | |
| ein solches Gedenken noch leisten? | |
| Für die Angehörigen ist wichtig, dass ihr guter Ruf, ihre persönliche Ehre | |
| und die der Opfer öffentlich betont und wiederhergestellt werden. Für uns | |
| als Gesellschaft ist bedeutsam, dass wir das widerfahrene Unrecht, den | |
| Verlust an Menschenleben, das Leid der Familien mitempfinden. | |
| Braucht es auch einen Ort der Erinnerung? | |
| An allen zehn Tatorten sollte es Gedenkorte geben, das ist eigentlich eine | |
| Selbstverständlichkeit. Die Bayern kennen meinen Vorschlag schon. Vorbei | |
| und vergessen: das wäre die Fortsetzung von Gleichgültigkeit. | |
| 8 Feb 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| S. am Orde | |
| W. Schmidt | |
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