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# taz.de -- IT-Gimmicks (2): Magische Spiegel fürs "Mitmachnetz"
> Es sind die Wunderflundern des neuen Lernens: die elektronische Tafel und
> das Tablet. Teil 2 der Reihe: Endgeräte des digitalen Klassenzimmers.
Bild: Früh übt sich, wer in der Schule mit einem Tablet umgehen können will.
Nicht erst seit dem Vorstoß der Marke mit dem Apfel steht das digitale
Klassenzimmer auf der Tagesordnung. Wir haben den Web-2.0-Pionier und
Berater Martin Lindner gebeten, seine Vision der wichtigsten Endgeräte für
das Klassenzimmer aufzuschreiben: Tablet, E-Reader, Smartphone und
intelligenten Stift. In Folge 2 erklärt @martinlindner das analog-digitale
Schreib-, Seh-, Spiel- und Buchherstellwerkzeug.
1. Seit das iPad von Apple vor zwei Jahren den Durchbruch geschafft hat,
glauben viele, dass das wichtigste Lehr- und Lernmittel in den Schulen
künftig die Tablets sein werden. Das sind diese mobilen Computer, die nur
noch aus einem flachen Bildschirm bestehen, den man mit Fingerberührungen
und Wischbewegungen bedient.
Der Name kommt von den Tafeln, die seit Jahrtausenden benutzt werden, um
auf eine löschbare Fläche immer neu zu schreiben oder zu zeichnen. Aber in
Wirklichkeit ist das Tablet etwas völlig Neues: ein magischer Spiegel, der
alles anzeigen kann, was man will. Eine Wischbewegung, und eine neue Seite
erscheint. Ein Fingertippen, und ein Video startet. Ein Fingertippen, und
ich bin bei Google oder Wikipedia. Ein weiteres Fingertippen, und der
Bildschirm wartet auf meine Aktivität. Und dabei tausche ich mich laufend
in Echtzeit aus mit den Leuten aus meinen sozialen Netzen.
Tablets sind auch viel besser als Laptops. Nicht nur, weil da die
Bildschirmbarrieren immer noch die Kollaboration stören. Vor allem fühlt es
sich völlig anders an, wenn man ein Gerät nicht mehr nur indirekt bedient,
mit Tasten und Maus. Jetzt kann man ein Textstück, ein Bild, ein Video
nicht nur mit der Hand anfassen, man kann es vor allem direkt manipulieren,
mit besonderen "Apps", also kleinen spezialisierten Programmen, die auch
technikscheue Menschen problemlos bedienen können.
2. Anders als Seiten aus Papier waren digitale Inhalte ja bisher
ungreifbar. Unsichtbare Bündel von Bits, die man beschwören kann, wenn man
die richtige Formel kennt (die Adresse, den Link). Dann erscheinen sie kurz
als flüchtige Lichtmuster auf dem Bildschirm, um gleich wieder zu
erlöschen. Jetzt kann man sie aber nicht nur berühren, sondern verformen,
anreichern, in Stücke zerlegen und neu zusammensetzen.
Es ist so, als ob Sie, als LeserIn, diesen Papierzeitungsartikel hier
berühren und dann nach Belieben modellieren, zerstückeln, anreichern und zu
neuen Einheiten zusammenfügen könnten, jetzt und sofort. Mit dem
Onlineartikel könnte man das im Prinzip bereits machen, aber am PC ist das
bisher immer noch eine Sache für Spezialisten: Sie markieren Textstücke
oder kopieren das Bildschirmbild als "Schnappschuss", sammeln, annotieren,
teilen in den sozialen Medien, filtern, abonnieren einen maßgeschneiderten
Stückchenstrom, setzen das zu eigenen Objekten (Videos, Blogeinträgen)
wieder zusammen und verknüpfen es schließlich mit eigenen Texten, Bildern
und Videos.
Das entspricht etwa dem, was in der Schreib- und Druckkultur der versierte
Umgang mit Buchstaben, Worten, Sätzen und Paragrafen war, nur eben
erweitert um die neuen Bausteine der visuellen und digitalen Sprachen. Mit
dem Tablet ist das Versprechen verbunden, dass so etwas jede/r kann, nicht
nur Sprösslinge aus altem Bildungsadel. Ganz normale SchülerInnen
konsumieren nicht mehr nur den "Stoff", sie bekommen eine noch nie
dagewesene Macht, die Inhalte selbst zu verändern und zu vermehren. Und
genau solche Aneignung macht ja wirkliche Lern- und Wissensprozesse aus.
3. Apple hat gerade erst verkündet, dass man künftig mit einer speziellen
Autorensoftware multimediale Schulbücher für das iPad herstellen und über
den Apple Store vertreiben kann. Das kann im Prinzip jede/r tun, aber vor
allem will Apple mit den Verlagen das pädagogische Modell von gestern
fortschreiben: Nun soll es halt mundfertig-didaktische Klickibunti-Magazine
geben. Zum bisherigen Mix von Textstücken und Bildern kommen noch
Bewegtbild und Ton. Ja und?
Tablet und Netz sind das Ende des Schulbuchs, aber das klingt dramatischer
als es ist. In Schulen wurden ja noch nie längere, geschlossen
argumentierende Bücher gelesen. Meist noch nicht einmal vollständige Texte.
Vor allem werden Seiten aufgeschlagen und Aufgaben bearbeitet. Tatsächlich
hat sich das Schulbuch längst aufgelöst. Seitdem die LehrerInnen
Fotokopierer, MS Office und Scanner/Drucker entdeckt haben, zahlen
SchülerInnen jedes Jahr "Kopiergeld" für unzählige, mehr oder minder
liebevoll laubgesägte Arbeitsblätter.
Das Web 2.0, das "Mitmachnetz", befreit nun die Letzten in der Kette: die
SchülerInnen. Und LehrerInnen müssen endlich nicht mehr behaupten,
Alleswisser zu sein. Sie werden ExpeditionsleiterInnen und Scouts im Wilden
Weiten Weltwissens-Netz. Dann gibt es aber keine Rechtfertigung mehr, einen
winzigen Ausschnitt künstlich einzugrenzen, "Buch" zu nennen und wieder mit
dem alten, auf Knappheit beruhenden System Verlag/Autor für viel Geld zu
verteilen.
Die künftigen "Schulbücher" sind offene Netzinhalte und Netzstrukturen: so
etwas wie Ad-hoc-Handbücher, zusammengestellt von den
ExpeditionsteilnehmerInnen selbst, in einem unaufhörlichen Prozess. Die
elektronische Schreibtafel markiert erst den Anfang.
16 Feb 2012
## AUTOREN
Martin Lindner
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