# taz.de -- Kommentar Chance nach Wulff: Diskursmacht ohne Symbolschutt | |
> Im Schloss Bellevue hat Wulff versucht, Politik als angewandte | |
> Kulturwissenschaft zu betreiben. Auch der nächste Bewohner sollte die | |
> Verhältnisse herausfordern. | |
Bild: Manche Freunde gehen bei dick mit, bei dünn dann doch nicht. | |
Der Islam gehört zu Deutschland. Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass | |
der Präsident mehr sein kann als ein Staatsnotar, dann dieses Credo | |
Christian Wulffs. Denn wenn der Mann an der Spitze nichts zu melden, aber | |
alles zu unterschreiben hat, hätt sich ja keiner grämen müssen wegen dieser | |
Banalität. Aber ein wie beiläufig gesagter Satz - und plötzlich erschien | |
die Alltagswelt zwar nicht in ganz neuem Licht. | |
Dass der Islam zu Deutschland gehörte, hatte schon jedem Nichtpräsidenten | |
beim Stadtspaziergang auffallen können. Aber so von höchster Stelle | |
angesprochen, ohne es dekretieren zu können, wurde die simple Tatsache vom | |
zivilgesellschaftlichen Unbewussten ins staatspolitische Bewusstsein | |
gerückt. | |
Vergisst man einmal kurz den symbolischen Schutt, den Wulff bei seinen | |
Versuchen angerichtet hat, die Grauzone zwischen Politik und Wirtschaft zu | |
verdunkeln, die in seiner Person kulminierte, dann zeigt sein politisch | |
mutigster Satz das Präsidentenamt als eines der faszinierendsten der | |
Republik: aus einem Zustand der Machtlosigkeit gesellschaftliche | |
Veränderungen anzustoßen. Wer es richtig anstellt, kann im Schloss Bellevue | |
Politik als angewandte Kulturwissenschaft betreiben: Macht durch Diskurs. | |
Dieses Experiment wird nicht überflüssig, weil es einer versuchte, dem das | |
Gespür für die politischen Maßverhältnisse fehlte. Zwar wird das Gefühl f�… | |
eine Würde, die keinen Preis hat, noch nicht dadurch wiederhergestellt, | |
dass eine allzu sichtbar korrodierte Figur geht. Aber sie eröffnet | |
unkorrumpierten Kandidaten eine neue Chance. | |
Deshalb sollten die Parteien jetzt niemand aus dem Hut zaubern, der aus | |
Gründen des gefühlten Staatsnotstands zu irgendeiner steifen Amtswürde | |
zurückkehrt. Sondern jemanden, der sich traut, die real existierenden | |
Verhältnisse herauszufordern. In Sprache, Symbol, ja Spiel. | |
17 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wulff und die Medien: Einmal Star und wieder zurück | |
Christian Wulff stolperte auch über seinen Umgang mit Journalisten. Er war | |
überzeugt, er habe bei der "Bild" echte Freunde gefunden. | |
Präsidentenwahl in Bundesversammlung: Die ganz, ganz große Koalition | |
Die schwarz-gelbe Mehrheit in der Bundesversammlung ist wacklig. Deshalb | |
muss der nächste Kandidat schwarz-, gelb-, rot-, grünverträglich sein. | |
Kommentar Affäre Wulff: Null Toleranz für Schnäppchenjäger | |
Franz-Josef Strauß wäre niemals über seine Amigos gestolpert. Der Fall | |
Wulff zeigt, dass sich die deutsche Gesellschaft geändert hat. Der Grund: | |
die zunehmende soziale Spaltung. | |
Kommentar Rücktritt Wulff: Merkel braucht den Konsenspräsi | |
Der nächste Präsident kann nicht aus dem politischen Establishment kommen. | |
Dort gibt es zu viele, die Promifreunde und Elitenklüngel zu wichtig | |
nehmen. | |
Wulff tritt ab: Fünf mögliche Präsidenten | |
Zwei Monate lang fast jeden Tag ein neuer Vorwurf – doch Bundespräsident | |
Wulff ließ alles an sich abprallen. Nun ist er zurückgetreten. Wer folgt | |
ihm? |