# taz.de -- Kommentar Wulff und Merkel: Merkel bleibt Kanzlerpräsidentin | |
> Wulff hatte darauf spekuliert, mit der Rede zur Gedenkfeier der Naziopfer | |
> von seinen Problemen ablenken zu können. Nun übernimmt das die | |
> Bundeskanzlerin. | |
Schade eigentlich. Was hätte dieser Präsident sein können. | |
Doch in der Politik sind Konjunktive eine schwierige Sache. Es zählen nun | |
mal Fakten. Deshalb ist Christian Wulff schon heute in die Geschichtsbücher | |
eingegangen als ein Politiker, der bis zu seinen letzten Sätzen im Amt | |
nicht begreift, worum es geht. Man ist geneigt, sich in die | |
Hobbypsychologie zu begeben, um Erklärungen dafür zu finden, wie einer mit | |
solch einer Fehlerliste bis zum Schluss behaupten kann, er habe sich | |
korrekt und aufrichtig verhalten. Und bis zum bitteren Ende versuchen kann, | |
den Medien die Schuld in die Schuhe zu schieben. Man fragt sich: Was ist | |
mit seiner politischen Selbstwahrnehmung los? | |
All das zeigt, dass dieser Mann, gegen den ein Aufhebungsverfahren der | |
Immunität angestrebt wurde, immun ist gegen Konzepte von Schuld und | |
Verantwortung. | |
Und dennoch hätte in dieser Präsidentschaft viel Potenzial gesteckt, wenn | |
der Inhalt eine andere charakterliche Form gefunden hätte. Schade | |
eigentlich. Denn es war gut, dass die Lebenswirklichkeit der vielen | |
Patchworkfamilien endlich mit der Familie Wulff auch ins Schloss Bellevue | |
einzog. | |
Es war so wichtig und wurde in seiner Bedeutung durch die Aufklärung der | |
Nazimorde brutal bestätigt, dass Wulff die Integration und den | |
interkulturellen Dialog in den Mittelpunkt seiner kurzen Amtszeit stellte. | |
Wulff hatte darauf spekuliert, mit der Rede zur Gedenkfeier der Naziopfer | |
von seinen Problemen ablenken zu können. | |
Diese Rede wird nun Angela Merkel halten. Damit etabliert sich die | |
CDU-Vorsitzende weiter als Kanzlerpräsidentin. In ihrer kurzen | |
Stellungnahme zum Rücktritt des Niedersachsen hat sie gezeigt, wie sie | |
ihren Nimbus als überparteiliche Krisenretterin auszubauen gedenkt: | |
Gemeinsam, fraktionsübergreifend, auch mit den Grünen werde man sich auf | |
einen Kandidaten einigen. Worte einer Präsidentin, Frau Kanzlerin. | |
Es gelingt ihr offensichtlich schon wieder, selbst aus dem Niedergang ihres | |
Parteifreundes Wulff politisch Kapital zu schlagen. Bereits in den | |
vergangenen Wochen war sie es, die vom Sinken seiner Umfragewerte | |
profitierte. Je deutlicher die verbotene Liebe Wulffs zum Glamour wurde, | |
desto stärker wuchs die Achtung vor der Kanzlerpräsidentin, bei der man | |
sich bestimmt keine Sorgen machen muss, dass sie oder ihr Gatte sich von | |
Jachtbesitzern korrumpieren lassen. | |
Angela Merkel, die Frau für alle und alle Fälle? Vorsicht! | |
Die CDU-Chefin steht für eine knallharte Klientelpolitik. Daran ändert auch | |
die Tatsache nichts, dass sie in einzelnen Politikfeldern die überkommenen | |
Positionen der Konservativen lockert. Indem sie die Familienpolitik der CDU | |
vermeintlich sozialdemokratisiert, verstärkt sie ebenjenen Schein der | |
Überparteilichkeit und kann im Schatten dieses Blendwerks ihren | |
wirtschaftsliberalen Kurs eiskalt durchziehen. | |
Diese Inszenierung macht diese Frau so stark, aber auch so gefährlich. Sie | |
verschleiert, dass unter der Regentschaft Merkels die Gesellschaft immer | |
weiter auseinanderdriftet, dass die Bildungskluft tiefer wird und der | |
soziale Aufstieg immer unwahrscheinlicher. | |
17 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Ines Pohl | |
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