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# taz.de -- Parteienstreit wegen Gauck: Der Koalitionsknacks
> Die Harmonie täuschte. Bevor Koalition und Opposition Joachim Gauck als
> neuen Bundespräsidentenkandidaten präsentierten, gab es Krach.
Bild: In einer Reihe und doch nicht wirklich einig: Die Spitzen der Parteien �…
BERLIN taz | Am Tag nach der Präsidentenkür herrschte Katerstimmung in der
schwarz-gelben Koalition: Einerseits betonten alle, wie großartig der
designierte Bundespräsident Joachim Gauck das Amt - in das er offiziell am
18. März von der Bundesversammlung gewählt werden soll – künftig ausfüllen
werde. Gleichzeitig aber konnte man kaum die Gereiztheit verhehlen, die
nach dem Eklat zwischen Union und FDP am Sonntag herrscht.
So gab CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe am Montag die Sprachregelung vor.
"Wir haben als Koalition gemeinsam einen Auftrag, den erfüllen wir
verlässlich", sagte Gröhe dem "ZDF-Morgenmagazin". Von einer Krise, so die
Botschaft, könne keine Rede sein. Regierungssprecher Steffen Seibert legte
im Auftrag der Kanzlerin nach: Um die Koalition und die Bundesregierung
brauche man sich "gar keine Sorgen zu machen", sagte Seibert. Krise? Welche
Krise?
Um diese Sätze würdigen zu können, muss man kurz die Vorgeschichte der
überraschenden Einigung auf Joachim Gauck erzählen: Die FDP hatte sich am
Sonntagnachmittag, genervt von mehreren fruchtlosen Gesprächen mit den
Unions-Spitzen, die seit Freitagabend liefen, auf Gauck festgelegt und
andere Kandidaten wie den Christdemokraten Klaus Töpfer strikt abgelehnt.
## Einstimmiger Tenor
FDP-Chef Philipp Rösler versicherte sich per Telefonschaltung dafür extra
der Unterstützung seines Präsidiums. Der Tenor war einstimmig: Nein zu
Töpfer, Ja zu Gauck - Merkel kriegt uns nicht umgepustet. Und Rösler ließ
die Info offensiv an die Presse durchstechen.
Kanzlerin und Unions-Spitze allerdings ließen erkennen, dass Gauck nicht
ihr Kandidat sei. Sie präferierten Töpfer, den langjährigen Leiter des
UN-Umweltprogramms.
Am frühen Sonntagabend war klar, dass Union und FDP vor einer offenen
Eskalation standen. Ein anwesender Freidemokrat schildert die Stimmung so:
"Es stand Spitz auf Knopf." Erst nachdem die Kanzlerin noch einmal den Raum
verlassen hatte, um mit der Opposition zu telefonieren, war klar: Der von
ihr noch vor zwei Jahren verschmähte Joachim Gauck kann der neue
Bundespräsident werden. Die Kanzlerin, ist zu hören, sei "erbost" gewesen.
Und tatsächlich, auch unter den Liberalen ist die Rede von einem "Knacks in
der Koalition".
In der Opposition nahm man diesen Zeitpunkt ebenfalls als Moment der
Wahrheit wahr: "Merkel drohte die eigene Mehrheit in der Bundesversammlung
auseinanderzufliegen", hieß es bei SPD und Grünen. Sie bekamen einen Anruf
Merkels - mit der Bitte, das für den Abend geplante Treffen zwischen
Koalition und Opposition um eine halbe Stunde zu verschieben.
Bei diesem Treffen ging es dann nach taz-Informationen bei Buletten und
Kartoffelsalat sehr schnell: Angela Merkel - die vor den Mehrheiten
kapituliert hatte - schlug Joachim Gauck für die CDU vor.
Erst schlossen sich ihr die Koalitionspartner an, dann die Spitzen von SPD
und Grünen. Schließlich stand der Anruf Merkels bei Gauck an:
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin reichte sein Handy hinüber, die
Kanzlerin glich die Nummern ab. Und erreichte, noch so eine Skurrilität,
erst einmal nur Gaucks Mailbox.
## Hektischer als üblich
Bei der anschließenden Pressekonferenz mit dem sichtlich überwältigten
Kandidaten bezeichnete Merkel Joachim Gauck als "wahren Demokratielehrer".
Zugleich lobte sie sein Leitmotiv der "Freiheit in Verantwortung". Sie
sprach hektischer als üblich, wirkte fast genervt. Der Tag hatte Spuren
hinterlassen. Ihren Widersacher Philipp Rösler würdigte sie keines Blickes.
Ganz rechts hatten sie ihn platziert - der Vizekanzler und FDP-Vorsitzende
hatte Mühe, gesehen zu werden.
Dass zwischen ihm und der Kanzlerin CSU-Chef Horst Seehofer als
Interimsbundespräsident saß, mochte man noch dem Protokoll zuschreiben.
Aber dass Philipp Rösler erst nach SPD-Chef Sigmar Gabriel seiner Freude
über die Personalie Gauck Ausdruck verleihen durfte, das war ein
unübersehbares Zeichen der Missbilligung.
Dennoch, dieser Termin war alles andere als eine Niederlage für ihn.
Gekämpft und gewonnen - so kann man skizzieren, was die eines Sieges so
bedürftige FDP im Kampf um den neuen Bundespräsidenten geboten hatte.
Schließlich hatten die arg geschwächten Liberalen der Kanzlerin
widersprochen. Ein Wagnis. Und doch haben sie es getan. Denn die Liberalen
konnten sicher sein: Merkel würde die Koalition nicht platzen lassen. Nicht
jetzt.
20 Feb 2012
## AUTOREN
A. Meier
U. Schulte
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