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# taz.de -- Billy Cleggs Roman über Cracksucht: Dieses unkontrollierte Feuer
> Bill Clegg, weiß, Upperclass, erzählt von seiner Cracksucht und gefällt
> sich als gefallener Engel im amerikanischen Albtraum: "Porträt eines
> Süchtigen als junger Mann".
Bild: Crack - ein neuer, weißer amerikanischer Albtraum.
Der erste Eindruck: Da passt was nicht zusammen. Da taucht also dieser
smarte New Yorker Bill Clegg in den Medien auf und stellt seine
Autobiografie vor: "Porträt eines Süchtigen als junger Mann" ist die
düstere Geschichte eines cracksüchtigen homosexuellen Literaturagenten. Was
ist das nun wieder? Drogensüchtige und Exjunkies sehen anders aus. Sofort
werden gängige Klischees gegen den heiteren Erzähler in Stellung gebracht.
War es nicht so, dass vorwiegend Afroamerikaner in solchen Vierteln New
Yorks Crack konsumieren, um die sogar Polizisten einen Bogen machen?
Und es gibt sie doch auch längst überzeugender, authentischer in der
amerikanischen Musikindustrie: die Cracküberlebenden Snoop Dogg, B-Real von
Cypress Hill, Wu-Tangs RZA oder Raekwon. Die gerade in den USA erschienene
Dokumentation "Planet Rock - The Story of Hip Hop and the Crack Generation"
erzählt vom Einfluss der Droge.
Irgendwann in den frühen 1980er Jahren überrollte Crack die amerikanischen
Innenstädte und versetzte sogar Präsident Ronald Reagan angesichts der
verheerenden Bilder in Alarmbereitschaft: "It is an uncontrolled fire!"
Bill Clegg erzählt nun davon, wie dieses unkontrollierte Feuer eine
Generation später sein Nobelapartment in der Fifth Avenue erreicht hat. Und
so wird Clegg zum gefallenen Engel. Und die gehören seit jeher zum
Fingerprint der amerikanischen Gesellschaft. Denn sie sind das notwendige
Pendant zum "vom Tellerwäscher zum Millionär". Die Gegenbewegung zum
"amerikanischen Traum".
## Drogenspasmen und wirrster Wortsalat
Schon auf den ersten Seiten kann es kaum noch schlimmer kommen: Der
Icherzähler sitzt am frühen Morgen in der schäbigen Absteige eines
ebenfalls schwer Cracksüchtigen. Drogenspasmen und wirrster Wortsalat sind
der Background, während beide darauf warten, dass die Dealer ihre Handys
wieder einschalten. In einem Morgengrauen, das seinen Namen wirklich einmal
verdient, versuchen die beiden für einen weiteren "Hit" mit einer
verbogenen Schirmspeiche Crackreste aus einer abgerauchten Crackglaspfeife
zu kratzen. Ja, es ist furchtbar. Noch furchtbarer, als dieser letzte
ausgekratzte Crackrotz samt Pfeife aus den zittrigen Händen gleitet und am
Boden zerschellt. So und ähnlich geht es dann weiter. 270 quälende Seiten
lang.
Ein neuer, weißer amerikanischer Albtraum. Den schwarzen gibt es ja längst.
Und dem fehlt vor allem etwas, das bei Bill Clegg immer da ist: Familie,
Geschäftspartner, Freunde, das rettende Netz eben. Auf keiner Seite bekommt
man das Gefühl, Clegg hätte nicht die Option behalten, in die New Yorker
Upperclass zurückzukehren. Eine Gesellschaft, die ihm schon deshalb
vergibt, weil er keine Schuldzuweisung vornimmt, weil er letztlich immer
einer der ihren geblieben ist.
## Wo ist die Relevanz?
Bill Cleggs New York ist voller guter Menschen. Die Dämonen bleiben Cleggs
ureigene Dämonen. Und die hat er zum Thema seiner Autobiografie gemacht.
Geschliffene Sätze. Meisterlich. Aber eben kein Meisterwerk. Gestochen
scharfe Selbstbeobachtung. Aber menschlich eine Katastrophe. Wo ist die
Relevanz, die Selbstverachtung, die Scham?
Ja doch, in letzter Instanz gefällt sich der Autor sogar im Crackrausch.
Und jetzt kommt er aus der Eiseskälte des Bösen zurück ins wohltemperierte
Amerika. Gott schützt Amerika und seine weiße Oberschicht. Auch vor dem
bösen Crack der Afroamerikaner.
Was ist das bloß für ein bemitleidenswertes Bürschchen - verwöhnt, voller
Selbstmitleid, kinderlos, verantwortungslos, gesinnungslos. Ein erwachsener
hochgebildeter Mann, der mal eben cracksüchtig wird, weil ihm die erste
Crackpfeife von einem homosexuellen One-Night-Stand in die Finger gedrückt
und der Sex anschließend so dramatisch gut wird. Später wird er dann mit
Brandblasen an den Händen vom heißgerauchten Glasröhrchen und auf der Suche
nach einem versprungenen Krümelchen Crack wie ein Säugling auf dem
Hotelzimmerteppich herumkrabbeln. Dabei wirres Zeug brabbeln, weiter
rauchen und sich für 400 Dollar einen baumlangen schwarzen Callboy
bestellen und sich exzessiv besteigen lassen.
## Schriftstellerische Brillanz verpufft
Wie tief ist die amerikanische Gegenwartskultur von einer
Selbstzerstörungs-und Voyeurmentalität durchdrungen? Doppelmoral war das
Thema der großen amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Hier
ist die Frage nach der Moral kein Thema mehr. Schriftstellerische Brillanz
verpufft und Text bleibt im leeren Raum hängen.
Noch mehr, weil der gewiefte Literaturagent wohl selbst erkannt hat, dass
sein Konzept noch eine zweite Ebene braucht. So gibt es dann Rückblenden:
Clegg als kleiner Junge kann jahrelang nicht normal pinkeln. Eine
unbehandelte unglücklich verknickte Harnröhre? Gar eine Phimose? Ungeklärt.
Der Schuldige? Klar, der Vater. Warum? Unklar.
Irgendwo auf den letzten Seiten wird Clegg zum Vater sagen, dass die
Probleme seiner Kindheit nicht die alleinige Ursache für seine Cracksucht
waren. Ach ja. Diese zweite Ebene sollte nun eine Transzendenz bringen. Tut
sie aber nicht. Es bleibt die Geschichte eines homosexuellen weißen
Upperclass-Jungen - narzisstischer Autor einer mäßig verstörenden
Crackodyssee -, die anderswo in New York Alltag ist.
Bill Clegg: "Porträt eines Süchtigen als junger Mann". Aus dem
Amerikanischen von Malte Krutzsch. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2011,
272 Seiten, 19,95 Euro
20 Feb 2012
## AUTOREN
Alexander Wallasch
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