# taz.de -- Staatsrecht: Wie undeutsch, Bremen! | |
> Künftig sollen alle BremerInnen im Stadtstaat wählen dürfen - auch ohne | |
> bundesdeutschen oder EU-Pass. Dafür will die rot-grüne Koalition die | |
> Landesverfassung ändern und den Staatsgerichtshof anrufen. | |
Bild: Das Deutschtümeln des Grundgesetzes verhindert die Ausweitung des Wahlre… | |
Alle Macht geht vom Volke aus, klar. In Bremen sollen das künftig alle | |
sein, die dauerhaft dort wohnen. Womit alle BremerInnen auch wählen dürfen | |
sollten - ab 16 Jahre aufwärts, so wie es das Wahlgesetz jetzt schon | |
vorsieht. Und unabhängig von ihrem Pass, wenigstens auf kommunaler Ebene, | |
also für die Stadtbürgerschaft, die Beiräte und für den Bremerhavener | |
Stadtrat. Rot-Grün hat eine Zweidrittelmehrheit. Und die wird die Koalition | |
dafür wohl brauchen, wobei nicht klar ist, ob sie reicht: Die Änderung der | |
Landesverfassung bekommt sie damit hin. Aber ob sie sich am Ende vor dem | |
Bundesverfassungsgericht eine blutige Nase holt, bleibt ungewiss. | |
Denn das mit dem Ausländerwahlrecht ist so eine Sache in Deutschland. Die | |
letzte Landesregierung, die es ernsthaft versucht hat, das war die von | |
Björn Engholm, in Schleswig-Holstein, Anfang 1989. Dagegen geklagt hatten | |
damals der Freistaat Bayern und ein rechtsextremennaher | |
Bundestagsabgeordneter der CDU, der auch Mitglied der NSDAP und der | |
Wehrmacht war. Deren Auffassung teilte das Bundesverfassungsgericht. Am 31. | |
Oktober 1990 verkündete es, dass der Volksbegriff völkisch auszulegen sei: | |
"Das Staatsvolk, von dem die Staatsgewalt ausgeht, wird von den Deutschen | |
gebildet", heißt es im Urteil (BVerfGe 83, 37). | |
"Für viele ist das seither wie in Stein gemeißelt", sagt der | |
SPD-Fraktionsvorsitzende Björn Tschöpe. Dabei sei "das Schleswig-Holstein | |
Urteil in Teilen aber obsolet", also überholt. Von der gesellschaftlichen | |
Entwicklung ohnehin, wie Innenpolitiker Sükrü Senkal (SPD) betont: "Wir | |
schließen zehn Prozent der erwachsenen BürgerInnen von der Teilhabe aus." | |
Vor allem aber sei das Urteil durch die Gesetzgebung veraltet, befindet | |
Tschöpe. | |
Tatsächlich wurde die Rechtslage 1992 etwas der Wirklichkeit angenähert. | |
Obwohl das Bundesverfassungsgericht zwei Jahre zuvor noch betont hatte, | |
dass "auch bei der Vertretung des Volkes für die Kreise und Gemeinden | |
ausschließlich Deutsche das Volk" bilden, hat man sich da eine abweichende | |
Meinung erlaubt - und die Sonderkategorie des EU-Bürgers ersonnen: Bei | |
Kommunalwahlen dürfen derartige Personen seither mitbestimmen, auch wenn | |
sie keine Biogermanen oder ihre im "Gebiete des Deutschen Reiches nach dem | |
Stande vom 31. Dezember 1937" lebende "Abkömmlinge" sein sollten, wie | |
kernig der Artikel 116 formuliert. Dass auch die "Einheitlichkeit der | |
demokratischen Legitimationsgrundlage", von Karlsruhe 1990 noch für wichtig | |
erachtet, seither futsch ist - hat in der Diskussion niemand mehr als | |
schlimm empfunden. Als Totschlag-Argument fällt sie also weg. | |
Bremen wird aber auch nicht argumentieren können, dass es etwas zu deren | |
Wiederherstellung beiträgt. Im Gegenteil: Das Land differenziert aus. Der | |
Ausschuss, den der Landtag heute einsetzt, soll sich einerseits um die | |
Ausweitung des Kommunalwahlrechts auf BürgerInnen bemühen, die "weder die | |
deutsche Staatsangehörigkeit noch die eines anderen EU-Mitgliedsstaats | |
besitzen". Zugleich soll er die Stimmen der undeutschen EU-Staatler zu | |
landespolitischen Stimmen aufwerten. In beiden Fällen will man die | |
Lösungsvorschläge wohl "dem Staatsgerichtshof zur Prüfung vorlegen", | |
erläutert Tschöpe das Verfahren mit ungewissem Ausgang: "Eine | |
Grundgesetzänderung wäre uns lieber gewesen", betont er - bloß verschließe | |
sich da die Union. | |
Innereuropäisch bedeutet der Bremer Vorstoß keine Sensation: Etliche | |
EU-Länder knüpfen das Kommunal- und Regionalwahlrecht teils schon seit den | |
1970ern nicht an den Pass, sondern den ständigen Aufenthaltsort der | |
WählerInnen und KandidatInnen. Integrationspolitisch sei das wichtig, sagt | |
Zahra Mohammandzadeh (Grüne): Auch MigrantInnen würden schließlich gerne | |
ihr "jetziges Lebensumfeld mitgestalten". Dafür sei das Wahlrecht nötig - | |
und dadurch verschaffe es "ein konkretes Zugehörigkeitsgefühl". | |
21 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
Benno Schirrmeister | |
## TAGS | |
Bremer Bürgerschaft | |
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