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# taz.de -- Lo-Fi-Avantgarde Mouse on Mars: Selbstbild als Hipster aus Baku
> Das neue Album von Mouse on Mars führt den technologischen Skeptizismus
> des Duos konsequent weiter. Ihr Sound entsteht beim Scheitern.
Bild: Mouse on Mars stoßen auch im Straßenverkehr auf die Unzulänglichkeiten…
Nur mal angenommen, man würde noch einen Beweis benötigen, dass es nicht
immer gerecht zugeht im Musikbusiness, wären Mouse on Mars ein ideales
Beispiel. Auch nach 18 Jahren Bandgeschichte sind die beiden Mäuse Jan St.
Werner und Andi Thoma keine Superstars. Dabei hätten sie es wirklich
verdient.
In den Neunzigern versöhnten Mouse on Mars Indiehörer mit elektronischer
Musik, in den nuller Jahren verkopfte Electronica-Fans mit den Freuden des
rockenden Dancefloors. Und jetzt, nach sechs Jahren, in denen sie die halbe
Welt betourt, mit The-Fall-Sänger Mark E. Smith kollaboriert und ihr erstes
Orchesterwerk aufgeführt haben, ist es Zeit für ein neues Studioalbum.
"Parastrophics" heißt es - wieder einer dieser Begriffe, der erst durch ein
Mouse-on-Mars-Album den Weg ins Lexikon gefunden hat. Aber was bedeutet er?
"Ich glaube, das ist der Punkt, an dem viele Gleichzeitigkeiten, diese
parallel laufenden Prozesse oder Ähnlichkeiten zu dem werden, was sie
ähnlich macht und wo sie dann unvereinbar erscheinen und ungleichgewichtig
werden", erzählt Jan St. Werner, im typischen Mäuse-Duktus, der so klingt
wie ihre Musik: Auf Papier etwas undurchdringlich, als Schallwelle aber
frei über ein Thema improvisierend.
## Schwirrende Feinsoundpartikel
Denn "Parastrophics" ist gar nicht so kompliziert zu verstehen. So wie ein
Roman nicht nur aus Plot und Charakteren, sondern auch aus Paratexten wie
Widmungen oder Quellenangaben besteht, ist ein Mouse-on-Mars-Album nie nur
eine Ansammlung von Hooklines, Strophen und Refrains. Gleichberechtigt
schwirren ungezählte Feinsoundpartikel um die Songs, fliegen modulierte
Filtereffekte durch das Stereobild. Und kurz bevor sich die Tracks allzu
sehr in einem geraden Groove festsetzen, bröckeln Teile von Melodie und
Rhythmus weg.
Die Tracks von Mouse on Mars sind wie ein Gebäude, bei denen die Ornamente
so tun, als würden sie die Struktur kollabieren lassen. "Wir nehmen uns
vor, total stringent einer Idee zu folgen. Aber nach acht Stunden
Arrangieren klingt es dann völlig anders, wie wir uns das am Anfang gedacht
haben", beschreibt Jan St. Werner die Arbeitsweise der Band.
"Das Problem ist eher, wie man diese vielen Einzelbausteine in eine
sinnvolle Reihe kriegt. Wie man das in der Zeit ordnet und diese vielen
Klänge zueinander ins Verhältnis setzt." Diese rudimentäre Ordnung ist
genau das, was die Musik von Mouse on Mars ausmacht.
"Parastrophics" klingt wie ein typisches Mouse-on-Mars-Album. Es ruht in
sich, weil die Band ihren Sound seit einigen Jahren gefunden hat. Aber
trotzdem verziert immer noch ein gewisses Je ne sais quoi die wuchtigen
Hooklines und bollernden Riffs und sorgt dafür, dass man trotz aller Wucht
nie den Spaß am Zuhören verliert. "Wir haben schon immer einen
Heavy-Metal-Improv-Sound", sagt Jan St. Werner und lacht.
## Enden im Freudentaumel
Das trifft es ganz gut. Im Studio schneiden und stückeln Mouse on Mars ihre
Tonspuren, um sie in nicht endenden Remixen wieder neu zu verschachteln.
Auf der Bühne tun sie genau dasselbe, schälen aus dem Begrüßungs-"Hallo"
live das Rhythmusgerüst für ihren Auftakttrack und enden in einem
Freudentaumel aus Synthesizermelodien, R&B-Rhythmen und hochgerissenen
Armen.
Dafür zweckentfremden Mouse on Mars sogar Gebrauchstechnik aus dem Alltag -
ein iPhone zum Beispiel. Das Duo hat zu diesem Behufe einen Programmierer
verpflichtet, ihnen ein Programm zu schreiben, mit dem man das iPhone als
eine Art Sampler nutzen kann. So ein Touchscreen eignet sich gut zum
Livespielen und sein Smartphone hat man ohnehin immer dabei.
Diese Nonchalance hat Mouse on Mars immer von der alten Avantgarde
unterschieden, die aus den Instituten für elektronische Musik und den
Darmstädter Selbstverständigungszirkeln über den öffentlich-rechtlichen
Äther in das Bewusstsein der Bundesrepublik gesendet wurde. Diese alte
Avantgarde lebte ja auch immer davon, sich mit der Aura des Besserwissens
zu schmücken: Wir erschaffen das völlig Neue und euch da draußen lassen wir
immerhin zuhören.
## Menschlicher als die Nachkriegsavantgarde
Bei Mouse on Mars und den befreundeten Musikern aus dem Umfeld des Kölner
A-Musik-Ladens ist Avantgarde, was man selber macht. Der Plattenladen dient
auch als Archiv, das Heimstudio ersetzt die subventionierte Hochtechnologie
- Avantgarde als Lo-Fi, aber mit einem Programm, das zugleich menschlicher
als die größenwahnsinnigen Fantasien der Nachkriegsavantgarde war. Seine
musikalische Form ergab sich dann im Anschluss im relativ freien
Zusammenspiel von selbst.
Bei Mouse on Mars löste sich elektronische Musik vom permanenten
Innovationsdruck, der ja immer auch ein technologischer war, fast als würde
ein neues Plug-in zugleich auch immer den Weg in eine bessere Zukunft
weisen können. "Man denkt immer, das mit dem Computer wäre schon alles
geklärt, und dadurch wäre Gleichberechtigung hergestellt. Aber das ist eben
genau nicht so. Es wackelt alles hinten und vorne."
Unzulänglichkeiten sind ein ständiger Begleiter. Als die beiden Mäuse ihr
Album mastern lassen wollten, stellten sie fest, dass es unmöglich war, den
komplexen, aus vielen Klangquellen stammenden Gesamtsound digital
abzubilden. "Parastrophics" ist also auch ein Dokument des Scheiterns an
der Technik.
Wo die Technologie aber nicht perfekt ist, da öffnen sich Freiräume, die
man nicht nur durch wohlklingende Fehler im System, sondern auch mit Ideen
füllen kann. "Auf ,Parastrophics' geht es viel um das Verhältnis von
Individuum und Masse. Das ist so eine Art futuristisches Modell von
traditionellen Ideen, per Kleidung und dergleichen Individualität
auszudrücken", meint Jan St. Werner.
## Uneindeutige Charaktere
"Es gibt auf dem Album etwa die Figur eines aserbaidschanischen Hipsters,
der durch das Baku der zwanziger Jahre läuft und Aufsehen erregt, weil sein
Geschlecht nicht deutlich wird." Wobei der "Baku Hipster" nur eine der
Figuren auf "Parastrophics" ist, deren bestimmendes Merkmal die
Uneindeutigkeit ist.
Im Booklet des Albums ist eine Geschichte abgedruckt, in der ein Charakter
namens Michael Jackson durch die Welt wandert, ohne dass deutlich wird, ob
es sich dabei um den Michael Jackson handelt.
"Der Charakter bewegt sich im Zwischenraum aus der materiellen Welt und der
Geisterwelt und genau das ist seine Identität." Aber was ist der Zweck
dieser Uneindeutigkeiten? Geht es letztendlich doch nur wieder darum, die
Gegenwart so weit zu verfremden, dass man vor lauter Orientierungslosigkeit
bereit ist, die höheren Weihen der Geschichte aus berufenem Munde zu
empfangen?
## Egal ob Stockhausen oder Nicole
Schließlich spielen Mouse on Mars nicht nur mit den Uneindeutigkeiten von
Identitäten, sondern auch mit den Ungleichzeitigkeiten der Geschichte, so
wie schon viele Verfremdungskünstler vor ihnen.
"Ich glaube, unser Konstrukt von Zeit ist nicht hilfreich, um mit der
Realität umzugehen", meint Jan St. Werner. Musik, zum Beispiel, löse immer
so intensive Erinnerungen und Gefühle aus, die durch eine
Musikgeschichtsschreibung, die sich an Einflüssen und Stilen
entlanghangelt, kaum beschrieben werden könnten. "Man hat dann ein Gefühl,
das einen nie wieder loslässt, und es hat nichts mehr mit Wahrnehmung
innerhalb der Zeit zu tun - egal ob man mit Stockhausen oder mit Nicole
sozialisiert ist."
So ist das also mit der Lo-Fi-Avantgarde. Sie interessiert sich nicht mehr
für die großen Zukunftsvisionen, sie will die Gegenwart besser, genauer und
vielleicht auch nachhaltiger vertonen können. Und vielleicht klappt es ja
mit dem Superstarstatus doch noch - dagegen hätten Mouse on Mars sicherlich
nichts: "Im Prinzip versuchen wir, Evergreens zu schreiben, von denen wir
glauben, dass sie sowieso stattfinden sollen."
23 Feb 2012
## AUTOREN
Christian Werthschulte
## TAGS
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
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heben sie den Gegensatz zwischen Rock und Electro auf.
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