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# taz.de -- Experten fordern rezeptfreie "Pille danach": Gestatten, Gestagen
> Die "Pille danach" dient als Verhütung für den Notfall. Experten sind der
> Meinung, man sollte sie längst einfach in der Apotheke kaufen können.
Bild: Anderslautenden Mythen zum Trotz: Die "Pille danach" kann keine bestehend…
Kondome machen eben einfach manchmal Probleme. Sie reißen, verrutschen,
gehen kurzzeitig im Innern des Körpers verloren. Nach so einem Malheur
begeben sich viele Frauen auf die Suche nach der "Pille danach". Meist ist
es Nacht, oft ist es Wochenende. Und vor dem Schlucken der Tablette kommen
die Fragen: Welcher Arzt hat Notdienst? Wie komm ich da hin? Muss ich noch
auf den Stuhl oder kann ich das Rezept einfach mitnehmen?
Dass man in solchen Momenten nicht einfach in die Apotheke gehen und sich
die Pille kaufen kann, kann die Gesundheitswissenschaftlerin Daphne Hahn
nicht verstehen. "Es gibt dafür keine sachlichen Gründe", sagt die
Vorsitzende von Pro Familia. Schon seit Jahren fordert der Verband die
Befreiung der Rezeptpflicht für eine spezielle "Pille danach", ein Präparat
mit dem Wirkstoff Levonorgestrel.
So könnten Mädchen und Frauen im Notfall schneller an die Tablette kommen,
was ihre Wirksamkeit erhöht: Bis 24 Stunden nach so einem Kondom-Debakel
kann sie mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit eine Schwangerschaft
verhindern, danach sinkt die Quote.
Weil Levonorgestrel nur leichte Nebenwirkungen wie Übelkeit oder
Kopfschmerzen hat, empfehlen selbst Institutionen wie die
Weltgesundheitsorganisation, diese Pille rezeptfrei zugänglich zu machen.
In den 16 Ländern der EU kann man sie mittlerweile frei in der Apotheke
kaufen, alle deutschen Nachbarländer außer Polen und Tschechien sind
darunter.
## Lobby der Frauenärzte
Auch der in Deutschland für eine solche Gesetzesänderung zuständige
Ausschuss, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, hat
sich schon im Jahr 2003 dafür ausgesprochen, Levonorgestrel aus der
Rezeptpflicht zu entlassen. Warum also ist das noch nicht geschehen?
"Entweder ist die Lobby der Frauenärzte so stark oder das Unwissen über die
Funktionsweise der Pille danach", sagt die Pro-Familia-Expertin Hahn.
Wahrscheinlich sei es beides. Christian Albring ist Vorsitzender des
Berufsverbandes der Frauenärzte. Er schrieb vor kurzem im Fachblatt
Frauenarzt ein Pamphlet gegen die Rezeptbefreiung.
Eines seiner Argumente: "Frauen kommen durch die ärztliche Verordnung
gleichzeitig auch immer in den Genuss einer kontrazeptiven Beratung, die
ihnen auch für die Zukunft weiterhilft", sagt Albring. "Und das streben wir
bewusst an." Die Frauen würden in so einer Situation die fachliche
Kompetenz, Neutralität und professionelle Distanz der Ärzte schätzen.
In Befragungen von Pro Familia berichten jedoch ein Drittel der Frauen
davon, sich in solch einer Beratung abschätzig, respektlos oder
herablassend behandelt gefühlt zu haben. Manche scheiterten komplett und
bekamen die "Pille danach" gar nicht. "Wir haben festgestellt, dass die
Versorgung oft mit großen Hürden verbunden ist", sagt Hahn.
## Vermehrte Kosten
Die Rezeptpflicht kann für Frauen auch vermehrte Kosten bedeuten: Einige
Ärzte machen nachts Ultraschall- und andere gynäkologische Untersuchungen
oder Schwangerschaftstests, die privat bezahlt werden müssen. Nach
internationalen Richtlinien ist das bei Einnahme von Levonorgestrel unnötig
- nicht mal der Berufsverband der Frauenärzte sieht im vorangehenden
Schwangerschaftstest einen Sinn.
So bleibt die Frage, ob das Bestehen auf dem Gang zum Arzt nicht vor allem
dazu dient, Geld zu verdienen und neue Kundinnen zu gewinnen.
Levonorgestrel ist ein Wirkstoff auf Basis des Hormons Gestagen, dem
Gelbkörperhormon. Er unterdrückt oder verzögert den Eisprung.
Spermien befruchten das Ei oft erst Stunden oder Tage nach dem
Geschlechtsverkehr - wenn eben eine Eizelle reif ist. Wenn frau also
Levonorgestrel nimmt, sollte sie sie so schnell wie möglich einnehmen: Denn
in der Zwischenzeit könnte der Eisprung stattfinden.
Ist die Eizelle erst einmal befruchtet und hat sich in der Gebärmutter
eingenistet - wenn die Frau also schon schwanger ist -, passiert gar
nichts: Levonorgestrel kann keine bestehende Schwangerschaft abbrechen.
Entgegen vielen Mythen ist es also keine Abtreibungspille.
## Mythos von der Abtreibungspille
Doch dieser Mythos von der Abtreibungspille dürfte eine Rolle in der
bestehenden Rezeptpflicht spielen. Soll das Gesetz geändert werden, muss
der Bundesrat zustimmen - doch weil schnell klar war, dass eine solche
Gesetzesänderung dort keine Mehrheit finden würde, kam es trotz
Empfehlungen dort gar nicht auf den Tisch. Besonders
CDU/CSU-Länderministerien verhindern wohl die Rezeptbefreiung.
Dabei ist keine Änderung in Sicht. Auch Albring weist in seinem Artikel
darauf hin, dass lediglich einige rot-grüne Bundesländer die Freigabe
unterstützen würden. "Es hat schon mit christlich-konservativen Werten zu
tun", sagt Daphne Hahn von Pro Familia. "In kirchlichen Krankenhäusern wird
die Pille danach oft nicht ausgegeben, insbesondere in denen mit
katholischer Trägerschaft."
Die "Pille danach" bringt den Zyklus der Frau durcheinander, sie ist
demnach sicher kein Medikament zur Dauerverhütung. So wird sie aber in den
europäischen Ländern, in denen Frauen diese "Pille danach" nun frei in der
Apotheke kaufen können, auch nicht genutzt, ergaben Studien.
Dass mittlerweile die meisten Länder in der EU Levonorgestrel freigegeben
haben, zählt für den Frauenarzt Albring nicht: "Wir haben eben das beste
Gesundheitssystem der Welt", sagt er. Diese Länder hätten nicht die Mittel
für eine gesundheitliche Versorgung, wie sie in Deutschland möglich sei.
## Chrashkurs über den Zyklus
Für ihn gibt es weitere Gründe, den Gang der Frauen zum Arzt zu fordern:
"Viele Frauen und Mädchen können im Notfall nicht einschätzen, ob und wann
sie die Pille danach nehmen sollen", sagt Albring. Neunzig Prozent aller
Frauen würden sich mit ihrem Zyklus nicht auskennen und brauchten
fachmännische Hilfe. Sperma, Eisprung - solche Dinge seien einfach zu
kompliziert.
Für Daphne Hahn gleicht so einer Aussage einer Entmündigung der Frauen.
"Frauen können ihren Zyklus oftmals sehr gut einschätzen", sagt sie. Also,
für alle Mädchen, Frauen, Jungs und Männer mit verrutschten Kondomen, hier
noch einmal ein Crashkurs: Ein durchschnittlicher Monatszyklus dauert - vom
ersten Tag der Periode bis zum ersten Tag der nächsten - 28 Tage.
Zyklen können aber auch 25 oder 35 Tage dauern, jede Frau sollte sich ihren
selbst ausrechnen. In der Mitte findet der Eisprung statt. Heißt in der
Regel: Erster Tag der Periode plus 14. Nun ist die Eizelle 12 bis 24
Stunden Stunden lang befruchtbar. Der Zeitpunkt des Eisprungs kann
schwanken, etwa wenn frau gerade die Pille abgesetzt hat.
Und: Das Sperma kann bis zu fünf Tage im Körper auf ein befruchtungsfähiges
Ei warten. Wer heute Sex hat, kann also auch noch zwei Tage später
schwanger werden. Die "Pille danach" hilft deshalb eigentlich nur vor dem
Eisprung. Wann der genau ist, kann eine Frau aber grundsätzlich ebenso gut
selbst ausrechnen wie mit ihrer Ärztin.
24 Feb 2012
## AUTOREN
Maria Rossbauer
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