# taz.de -- Industrie holzt Spessart ab: Kahlschlag vor Schneewittchens Haustür | |
> Im Spessart werden uralte Wälder gefällt. Das Unternehmen Bayerische | |
> Staatsforsten verstößt dabei mehrfach gegen Naturschutzrecht, sagt | |
> Greenpeace. | |
Bild: Die 400-jährigen Eichen und 180-jährigen Buchen im bayerischen Spessart… | |
HEIGENBRÜCKEN taz | Vereinzelt ragen kahle Stämme in den Himmel. Dazwischen | |
zeugen die Stümpfe frisch gefällter Buchen und Eichen davon, dass die | |
Maschinen der Bayerischen Staatsforsten (BaySF) hier in einem Waldstück | |
nahe Rohrbrunn im Spessart erst vor kurzem Holz geschlagen haben. Ein | |
einzelner Stamm ist mit einer gelben Schlangenlinie gekennzeichnet. | |
Ein Biotopbaum. Für die Holzverarbeitung von minderem Wert, aber mit seinen | |
Rindentaschen und Spechtlöchern wichtiger Lebensraum für andere Lebewesen – | |
allerdings nur, wenn es um ihn herum noch Bäume gibt. „Für den Vogelbaum da | |
drüben gilt das Gleiche“, sagt Wolfgang Sadik und zeigt auf einen Horst in | |
der blätterlosen Krone eines weiteren einsamen Baumes. Der Greifvogel werde | |
ohne schützenden Wald kaum zu seinem Nest zurückkommen. | |
Seit fast vier Wochen zeltet Projektleiter Sadik mit bis zu zwanzig | |
weiteren Greenpeace-Aktivisten im Vorgarten einer Saftkelterei im | |
unterfränkischen Heigenbrücken. Jeden Tag schwärmen sie in die Wälder aus, | |
vermessen und kartografieren den Baumbestand. Mehr als 210 Hektar | |
Staatswald haben sie schon erfasst, mehr als 8.000 Buchen und Eichen | |
kartiert. | |
Diese Informationen werden damit erstmals öffentlich zugänglich. „Bayern | |
ist das einzige Bundesland, das keine Daten darüber offenlegt, wo und wann | |
es Waldflächen aus der forstwirtschaftlichen Nutzung nehmen will“, sagt | |
Sadik. Dazu wäre der Freistaat nach der Nationalen Strategie über | |
Biologische Vielfalt von 2010 verpflichtet. Bis 2020 will Deutschland 10 | |
Prozent weniger staatliche Fläche forstwirtschaftlich nutzen. Bis dahin | |
verlangt Greenpeace einen Einschlagstopp für über 140-jährige Eichen und | |
Buchen. | |
## Gefällter Schutz vor dem Klimawandel | |
Der Heisterblock im Zentrum des bayerischen Spessarts mit seinen über | |
400-jährigen Eichen und 180-jährigen Buchen zählt zu den ältesten und | |
schönsten Wäldern Mitteleuropas. So alte Bäume trügen mit ihrer hohen | |
Speicherkapazität für CO2 viel zum Schutz gegen den Klimawandel bei, sagt | |
Greenpeace-Waldexperte Martin Kaiser. | |
2011 hat die Unesco alte Buchenwälder in Mecklenburg-Vorpommern, | |
Brandenburg, Thüringen und Hessen ins Weltnaturerbe aufgenommen. Dort sind | |
sie anders als im Spessart in Nationalparks und Biosphärenreservaten | |
geschützt. „Die Bayerischen Staatsforsten stellen den eigenen Profit über | |
den Naturschutz“, sagt Projektleiter Sadik. Auch dicke, wertvolle Bäume | |
würden geschlagen. Selbst das Totholz – das bei einer nachhaltigen | |
Forstwirtschaft im Wald verbleiben müsste – werde mithilfe riesiger | |
Maschinen abtransportiert. „Das ist nichts anderes als ein Kahlschlag.“ | |
Die Kritik der Umweltschützer geht noch weiter: Anschließend würden oft | |
Douglasien gepflanzt – ein ökosystemfremder, schnell wachsender Nadelbaum | |
aus Kanada, der in erster Linie der Gewinnmaximierung diene. Experte Kaiser | |
sieht darin einen Verstoß gegen die europäische Natura-2000-Richtlinien und | |
das Bundesnaturschutzgesetz. | |
Bei den BaySF, die die bayerischen Staatswälder seit 2005 im Auftrag der | |
Landesregierung bewirtschaften, weist man die Kritik zurück. Der Vorwurf | |
angeblicher Gesetzesverstöße entbehre jeglicher Grundlage. Immerhin: Man | |
werde die Vorwürfe von Greenpeace genau prüfen, verlautet über eine | |
schriftliche Mitteilung. Im Spessart stellt sich Sadik mit seinem Team | |
derweil auf eine längere Aktion ein. „Wir werden uns hier für längere Zeit | |
festbeißen“, sagt er. | |
1 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Marlene Halser | |
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