# taz.de -- Wohnungsmarkt in Berlin: Gefühlte Wohnungsnot bestätigt | |
> Die Hälfte der Transaktionen auf dem deutschen Immobilienmarkt ist 2011 | |
> in Berlin über die Bühne gegangen. Experten vergleichen die Verhältnisse | |
> mit dem Aktienmarkt. Die Folge sind steigende Mieten | |
Bild: Hier klingeln nur Touristen: Wohnungen, die für wenige Tage an Touristen… | |
„Die Fakten liegen auf dem Tisch, jetzt ist die Politik gefragt“, sagt | |
David Eberhart, Sprecher des Verbands Berlin-Brandenburgischer | |
Wohnungsunternehmen. Beim von Mieterinitiativen initierten | |
„Mietenpolitischen Dialog“ am Mittwoch ruft eine Mieterin in Richtung der | |
Politik: „Ständig det gleiche Jelaber, kommen Se in die Gänge!“ Seltene | |
Einigkeit bei Mietern und Vermietern: Angesichts der aktuellen | |
Entwicklungen am Berliner Wohnungsmarkt muss die Politik handeln. Und zwar | |
dringend. | |
Gleich drei Wohnungsmarktberichte sind in der vergangenen Woche erschienen: | |
der Report des Immobilienunternehmens GSW sowie die Berichte der | |
Investitionsbank Berlin (IBB) und der Analysten von Jones Lang LaSalle | |
(JLL). Sie alle untermauern die „gefühlte Wohnungsnot“ in Berlin mit | |
Zahlen: Die Mieten steigen in der ganzen Stadt, auch in den Randgebieten – | |
laut GSW insgesamt um 7,8 Prozent bei Neuvermietungen, Jones Lang LaSalle | |
kommt auf eine Steigerung von 9,3 Prozent. Den Leerstand Ende 2011 schätzt | |
die GSW auf 2,7 Prozent. Weniger ist aufgrund von Fluktuation kaum möglich. | |
Die Gründe? Die Verfasser der Berichte sind sich einig: Berlin wächst, im | |
vorigen Jahr zogen über 30.000 Menschen her. Gebaut wurden in den | |
vergangenen Jahren nur etwa 3.000 Wohnungen pro Jahr. Hohe Nachfrage plus | |
geringe Bautätigkeit gleich steigende Mieten? So einfach ist es nicht. „Es | |
waren politische Entscheidungen, die die Weichen für diese Entwicklungen | |
gestellt haben“, sagt Stadtsoziologe Andrej Holm im taz-Interview. | |
Die schwerwiegendste Entscheidung für die Berliner Mieter war jedoch der | |
Verkauf großer Teile der öffentlichen Wohnungsbestände, die mit dem Verkauf | |
der bis dahin landeseigenen GSW an den internationalen Investor Cerberus | |
2004 ihren Höhepunkt erreichten. Heute hält das Land nicht mehr 30, sondern | |
nur noch 14 Prozent der Wohnungen. Es hat damit weitaus geringeren Einfluss | |
auf die Mietentwicklung – während Berlin durch die Privatisierungen zum | |
beliebtesten deutschen Standort für Immobilienhandel wurde. „Die Hälfte der | |
Transaktionen auf dem deutschen Immobilienmarkt hat 2011 in Berlin | |
stattgefunden“, sagt JLL-Analyst Julius Stinauer. Die Anleger seien | |
überwiegend institutionelle Akteure, Fonds wie Blackstone oder die | |
privatisierte GSW. Auch Michael Schlatterer von der weltweit größten | |
Immobilienagentur CBRE bezeichnet Berlin als den „am weitesten entwickelten | |
Markt“ für Immobilienhandel: „In Berlin können Sie mit Wohnungen handeln | |
wie mit Aktien, einen Tag kaufen, am nächsten weiterverkaufen.“ Er schätzt, | |
dass sich inzwischen ein Drittel der Wohnungen in Berlin in der Hand | |
institutioneller Anleger befinde. Das sei auch ein Hauptgrund, warum die | |
Mieten steigen: Anders als private Hausbesitzer hätten diese kaum Interesse | |
an langfristiger Bewirtschaftung der Objekte. Sie würden die Miete maximal | |
erhöhen, den Leerstand beseitigen, die Objekte, sobald möglich, | |
weiterverkaufen. Damit setzten sie einen Kreislauf in Gang: „Die steigenden | |
Mieten sind ein Grund für die steigenden Preise auf dem Immobilienmarkt“, | |
so Schlatterer. Die Kosten für vermietete Anlageobjekte sind laut GSW um | |
3,5 Prozent gestiegen, für Eigentumswohnungen um 8,3 Prozent. Jones Lang | |
LaSalle kommt gar auf eine Steigerung von 13,6 Prozent. Doch die wenigsten | |
Käufer wohnen selbst in ihren Wohnungen, die Eigentumsquote verändert sich | |
nur sehr langsam. | |
Die Politik beobachtet das Treiben weitgehend tatenlos. „Ich kann und will | |
keine einfachen und schnellen Lösungen versprechen“, sagte Senator Michael | |
Müller (SPD). Er kündigte Gespräche mit den landeseigenen | |
Wohnungsbauunternehmen an. Zentrales Instrument des Senats soll der Neubau | |
sein: 30.000 neue Wohnungen bis 2015. Doch 80 Prozent der aktuellen | |
Neubauten sind laut GSW-Studie Eigentumswohnungen. Den betroffenen Mietern | |
hilft das wenig. Ihre Forderungen bleiben aber noch moderat: Beim | |
mietenpolitischen Dialog forderten sie etwa Mietpreisbegrenzungen bei | |
Sanierung. In Hamburg ist das Bündnis „Recht auf Stadt“ schon weitaus | |
radikaler und fordert unter anderem den Stopp sämtlicher Privatisierungen, | |
generelle Mietobergrenzen von 4 Euro – und perspektivisch die | |
Vergesellschaftung von Wohnraum. | |
3 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Juliane Schumacher | |
Moritz Wichmann | |
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