# taz.de -- Peinliches Revolutionsepos: Zurück zu Heim und Herd | |
> Luigi Nonos „Al gran sole, carico damore“ in Berlin: Die Staatsoper hat | |
> die Turbinenhalle eines DDR-Kraftwerks umgebaut. Das Werk wurde ein Opfer | |
> der Eventvermarktung. | |
Bild: Betonierte Bühne: Opernevent im Heizkraftwerk Berlin-Mitte. | |
Es hätte eine Sternstunde für Luigi Nono werden können, den großen Musiker | |
und Intellektuellen, der sich bis zu seinem Tod im Jahr 1990 der | |
marxistischen Linken zugehörig fühlte: Sein Revolutionsepos „Al gran sole, | |
carico d’amore“, aufgeführt in der leer stehenden Turbinenhalle des | |
Heizkraftwerks Berlin-Mitte. Riesige Dimensionen, gebaut in den 60er Jahren | |
in einem noch heute sichtbaren Geist des Aufbruchs und Glaubens an eine | |
bessere Zukunft. | |
Heute steht dieses Gebäude symbolisch an der Kreuzung historischer | |
Fluchtlinien, des Zusammenbruchs des Sozialismus wie der Krise des | |
gegenwärtigen Kapitalismus, und wäre daher der ideale Ort, Nonos Fragen | |
noch einmal zu stellen. | |
Und zuzuhören, nicht, um Antworten zu finden, sondern um die intellektuelle | |
und ästhetische Leidenschaft zu verstehen, mit der sie auch heute gestellt | |
werden sollten. Es ist Aufruhr in dieser Musik von unglaublicher Kraft und | |
betörender Klangschönheit, und glühende Sehnsucht nach Glück und | |
Gerechtigkeit. Was könnte aktueller sein als genau das an diesem Ort? | |
Aber daraus wurde nichts. Die Turbinenhalle wurde zur Folterkammer, das | |
Werk ein Opfer der Eventvermarktung. Schuld daran ist Jürgen Flimm, | |
Intendant der Berliner Staatsoper. Man muss von einer Tragödie sprechen, | |
denn seine Liebe zu diesem Werk steht außer Frage. Er war es, der vor über | |
30 Jahren dafür gesorgt hatte, dass es auch in Deutschland aufgeführt | |
worden ist. In Frankfurt, Michael Gielen hatte dirigiert, Nono selbst war | |
da – und begeistert. | |
Nachzulesen ist das in einem sehr persönlichen Text, den Flimm aus Anlass | |
seines zweiten Anlaufs auf das Stück schrieb, das im Untertitel „Azione | |
scenica“ heißt. Für die Salzburger Festspiele 2009 gab er der Britin Katie | |
Mitchell den Auftrag, die Frage zu beantworten, was damit gemeint sein | |
könnte. Denn eine Handlung gibt es nicht. | |
## Revolutionsübungen in niedlich dekorierten Zimmerchen | |
Textfragmente von Marx, Lenin, Brecht, Gorki, Pavese bis hin zu Che | |
Guevaras Geliebter Tania Bunke sind nur Zündfunken für ausufernde, manchmal | |
mikrotonale Entwicklungen, die ein überdimensional besetztes Orchester, | |
zwei Chöre und zehn Solostimmen auszuführen haben, sekundiert von | |
elektronisch eingespielten Passagen. Es sei ein „Elefant der Mittel“ | |
geworden, gab Nono später selbstkritisch zu. | |
Aus Gründen, die sich unmöglich aus der Lektüre der Partitur ergeben haben | |
können, entschied sich die Regisseurin dafür, die Szene ins Häuslich-Intime | |
und daher ach so Weibliche zu wenden. Fünf niedlich dekorierte Zimmerchen | |
mit Herd, Waschbecken und Bett stehen bereit, in denen stumme | |
Schauspielerinnen ihre privaten Revolutionsübungen verrichten. | |
Videoteams filmen sie dabei so, dass wir auf einer Großleinwand Szenen aus | |
den Armutswohnungen der vergangenen zwei Jahrhunderte zu sehen glauben, | |
offenbar aufgefunden in einem fiktiven Archiv, das arg zerkratze | |
Zelluloid-Rollen mit unscharfen und verwackelten Amateurfilmen enthält. | |
Nach der Salzburger Premiere scheuten sich auch im Übrigen wohlwollende | |
Kritiker nicht, dafür das Wort „Kitsch“ zu verwenden. Wie recht sie hatten, | |
zeigt sich im Berliner Heizkraftwerk. Staunend über wacklige Treppen und | |
Baugerüste kletternd nehmen wir zur Kenntnis, dass es der Staatsoper | |
gelingt, den proletarischen Ort verschwinden zu lassen. Von den Sitzplätzen | |
aus sind die wuchtigen Skulpturen der Betonpfeiler nicht mehr zu sehen, die | |
ihren sinnbildlichen Part im Revolutionsdiskurs hätten spielen müssen. | |
Mitchells Puppenmuseum übernimmt die Bühne. | |
## Eine Revolution, die gescheitert ist | |
Tapfer dirigiert Ingo Metzmacher (der auch schon in Salzburg dabei war) die | |
Staatskapelle, Chor und Solisten, aber sie haben keine Chance gegen die | |
Bilder der ewigen Heimchen am Herd, die den weit ausgreifenden, | |
objektivierend dramatischen Gestus dieser extremen Musik schon im Ansatz | |
ersticken. Ihre gefällig konstruierte Nostalgie mag in Salzburg Wohlgefühl | |
ausgelöst haben, im harten Berlin und diesem historisch aufgeladenen Raum | |
sind sie nur noch peinlich. | |
Noch eine Revolution, die gescheitert ist. Zum Glück gibt es nur fünf | |
Vorstellungen dieser Tragödie. Sie sind alle ausverkauft – und die | |
Staatsoper hat bekommen, was sie seit Wochen auf allen lokalen Werbekanälen | |
angepriesen hat: Das Ereignis der Saison. Mit Kunst hat es nichts zu tun. | |
4 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Niklaus Hablützel | |
## TAGS | |
Neue Musik | |
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