# taz.de -- Kommentar Anonymous: Die Schamanen des 21. Jahrhunderts | |
> Hackern werden magische Fähigkeiten zugeschrieben, die Szene wird zu | |
> einer politischen Bewegung überhöht. Schuld daran ist eine Generation, | |
> die Computer nicht versteht. | |
Bild: Wer als Computer-Experte seine Rechner nicht vor Hackern schützen kann, … | |
Als sich der Chaos Computer Club 1981 in den Redaktionsräumen der taz | |
gründete, wurde „die Verlängerung eines Telefonkabels schlimmer bestraft“ | |
als „das Auslösen einer atomaren Explosion“. | |
Das ist heute in Deutschland nicht mehr so; in den USA wandern Hacker | |
jedoch schnell zehn Jahre oder mehr hinter Gitter, wenn sie Banken oder das | |
Privateigentum, die heilige Kuh des Kapitalismus, angreifen, also das | |
Urheberrecht in Frage stellen oder umgehen. | |
„Die Revolution sagt ich bin, ich war, ich werde sein.“ Mit diesem | |
Rosa-Luxemburg-Zitat schwor „Sabu“, der Kopf der aufgelösten Gruppe LulzSec | |
und jetziger Kronzeuge der US-Ermittler, das Kollektiv auf das große Ganze | |
ein. „Wir sind AntiSec. Wir werden bis zum Ende kämpfen.“ Sind die ominös… | |
„Hacker“ Revolutionäre, Erben der Linken, die vor einem halben Jahrhundert | |
noch von einem Umsturz träumte? | |
Eher nicht: Nicht einmal die RAF hat sich einen Pathos wie den „Sabu“s | |
erlaubt. Man kann getrost bezweifeln, dass diejenigen, die sich zum | |
Beispiel unter dem Logo „Anonymous“ versammeln, genau wissen, was sie | |
kritisieren und wo das „Hacken“ enden soll und wird. | |
Die Gegner der „Hacktivisten“ wähnen sich aber schon im Krieg. Da ist von | |
„radikalen Splittergruppen“ die Rede, vom einere Hydra, der die Köpfe | |
abgeschlagen werden müssen, es gibt „führende Köpfe der Hackerbewegung“, | |
Geheimdienste und Ermittlungsbehörden agieren mit Methoden, als gelte es, | |
eine neue Stadtguerilla unschädlich zu machen. | |
## Ein Konflikt zwischen den Generationen | |
Der Kampf gegen Kontrolle oder den Mangel an Datenschutz reicht auf keinen | |
Fall aus, um sich als jemand zu fühlen, der die Gesellschaft aus den Angeln | |
hebt und alles zum Guten, Schönen und Wahren verändern könnte. Die Existenz | |
der „Hacker“, deren vage definiertem Milieu und des übertriebenen | |
Medienechos – im Vergleich zu dem Schaden, den sie anrichten – fußt in | |
Wahrheit eher auf einer Art Konflikt zwischen Generationen. | |
Zwischen denen, für die der Computer und das Netz aller Netze ein | |
selbstverständliches Medium ist und denen, die in einer Zeit sozialisiert | |
wurden, in der niemand das Recht der Herrschenden anzweifelte, zu | |
bestimmen, über welche Informationen die Untertanen verfügten. Aus der Zeit | |
verschiedenfarbiger Tinten, des Fax-Gerätes und der Klarsichtfolien. | |
Die Hacker sind die Schamanen des 21. Jahrhunderts. Die technischen | |
Fertigkeiten, die ihnen zugeschrieben werden, gleichen denen von Zauberern | |
oder bösen Dämonen: Kaum jemand versteht wirklich, wie sie es anstellen, in | |
Computer einzubrechen und streng geheime Daten zu stehlen, die von hoch | |
bezahlten Experten gesichert worden waren. | |
## Digitaler Regenzauber und Exorzismen | |
Nur so kann man die Hysterie erklären, mit denen – auch von den Medien – | |
die Bevölkerung von den „bösen Hackern“ gewarnt werden, die angeblich üb… | |
all im Netz lauern und vor denen man sich nur mit digitalem Regenzauber und | |
Exorzismen wie „Virenschutzprogrammen“ schützen könne. | |
Angst hat man vor etwas, was man nicht kennt und versteht, auch wenn die | |
Angst unbegründet ist. Würden sich heute unter den Administratoren und | |
anderen sogenannten Computer-Experten nicht so viele Dilettanten tummeln, | |
die sich ihrer Kenntnisse „learning-by-doing“ angeeignet haben, wäre es f�… | |
Hacker auch nicht so leicht, sich Zugang zu Informationen online zu | |
verschaffen. | |
Das Hacker-Milieu von heute versammelt alle politischen Ideen und | |
Richtungen – „gehackt“ wird von linken Anarchisten bis hin zu rechten | |
Nationalisten. Es gibt also gar keine internationale Hacker-Szene, die man | |
mit einer politischen Bewegung vergleichen könnte. Eine solche würde die | |
ökonomischen und sozialen Interessen einer oder mehrere Gruppen bündeln und | |
ihnen Ausdruck verleihen. Davon ist aber nichts zu sehen. | |
Wer aber nur das antiquierte Urheberrecht reformieren und Informationen | |
etwa über Machtmissbrauch mehr Leuten zur Verfügung stellen will, agiert | |
bestenfalls als gut meinender Reformer, der die Auswüchse des Kapitalismus | |
bekämpft. Ohne die Machtfrage zu stellen, sind Hacker nicht radikaler als | |
feministische Theologinnen. Das Ende, bis zu dem die "radikalen" Hacker | |
kämpfen wollen, ist also nicht nahe, es ist noch nicht einmal in | |
Sichtweite. | |
8 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Burkhard Schröder | |
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