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# taz.de -- Studie über Muslime in Deutschland: „Wissenschaftler sollten gew…
> Innenminister Friedrich ist nicht allein: Die Islamwissenschaftlerin Riem
> Spielhaus über den Missbrauch von „Muslim-Studien“ durch die Politik.
Bild: „Die meisten Studien legen einen starken Fokus auf Radikalisierung, Sic…
taz: Frau Spielhaus, eine Studie über Muslime hat jüngst für Wirbel
gesorgt: Innenminister Hans-Peter Friedrich nutzte sie in der Bild-Zeitung,
die sie zunächst exklusiv hatte, um vor radikalen Muslimen zu warnen.
Später stellte sich heraus, dass die Zahlen, auf die er sich berief, gar
nicht repräsentativ waren. Hat Sie dieser schlampige Umgang mit
wissenschaftlichen Daten überrascht?
Riem Spielhaus: Nein. Die Ministerien suchen mit solchen Studien gerne die
Aufmerksamkeit der Medien und der Öffentlichkeit, um ihre Politik zuz
legitimieren. Deshalb muss man als Wissenschaftler darauf achten, in
welchen politischen Kontext man seine Arbeit stellt.
Die Autoren der Studie, die im Auftrag des Innenministeriums erstellt
wurde, sind jetzt entrüstet und verzweifelt darüber, wie sehr die
Ergebnisse verzerrt wurden. Waren Sie naiv?
Ja, denn wenn wir zurück blicken, gab es vergleichbare Fälle. So war es
schon mit einer Studie über „Muslime in Deutschland“, die der damalige
Innenminister Schäuble 2007 präsentierte. Oder im letzten Jahr mit einer
Studie über Zwangsheiraten, die Familienministerin Schröder in Auftrag gab.
Der wissenschaftliche Beirat sah sich damals genötigt, in einem offenen
Brief die verzerrte Interpretation der Ministerin richtig zu stellen.
Sollte man als Wissenschaftler besser keine Aufträge von solchen Ministern
annehmen?
Es stellt die Wissenschaftler jedenfalls vor ein Dilemma, denn man möchte
man natürlich Einfluss haben, auch auf politische Entscheidungen.
Andererseits werden solche Studien von Institutionen beauftragt und
finanziert, die bestimmte politische Interessen haben. Da stellt sich die
Frage, wie unabhängig eine solche Forschung überhaupt sein kann.
Was halten Sie denn von der Studie, um die es jetzt geht?
Als großes Manko scheint mir, dass hier - wie in vielen anderen Studien -
Muslime und Migranten gleichgesetzt und wie Synonyme behandelt werden. Die
Unterschiede werden kaum reflektiert. Diese Unschärfe zeigt sich etwa dann,
wenn die befragten Muslime nach ihren Kontakten „zu Deutschen“ und „zu
Muslimen“ befragt werden - was ja nahelegt, dass Muslime selbst keine
Deutschen sein können.
Was wäre richtig?
Der Islam ist in erster Linie eine Religion: die Frage, ob Muslime sich
integrieren wollen, unterstellt, dass sie es potentiell noch nicht sind.
Und wenn es um Radikalisierung geht, dann zeigen die jüngsten Berichte der
Sicherheitsbehörden doch, dass die größte Gefahr, gerade von
nichtmuslimischen Jugendlichen ausgeht, die sich radikalisieren und dem
Islam zuwenden. Sie sind die größte Risikogruppe - aber in dieser Umfrage
wird sie kaum berücksichtigt. Das Problem wird bei den Einwanderern
verortet. Deshalb sollten Forschende immer kritisch prüfen, von welchen
unhinterfragten Vorannahmen sie ausgehen.
Ziel dieser Studie war es, die Rolle der Medien bei der Radikalisierung
junger Muslime zu erforschen. Ist das gelungen?
Es ist sehr zweifelhaft, ob eine quantitative Umfrage hilft, diesem
Phänomen auf die Spur zu kommen. Telefonumfragen sind nicht besonders
geeignet, um kleine Segmente der Gesellschaft zu erforschen. Es ist auch
fraglich, ob diejenigen, um die es dabei geht, überhaupt bereit sind, an so
einer Umfrage teilzunehmen.
Für Aufregung sorgte vor allem der Befund, nach dem sich ein Viertel der
Befragten mit deutschem Pass und fast die Hälfte der nichtdeutschen Muslime
nicht integrieren wollen. Was halten Sie davon?
Wie Integration definiert wird, scheint mir stark auf Aspekte der
Akkulturalisierung verkürzt zu sein: vom Gefühl, dazuzugehören und
„deutsch“ zu sein. Das Dilemma viele Migranten ist aber: was gebe ich auf,
wie viel bewahre ich. In der Studie scheint das klar bewertbar zu sein:
Assimilation ist gut. In der Lebensrealität stellt sich das viel
ambivalenter dar.
Ist die Zahl nicht dennoch hoch?
In der medialen Skandalisierung ist die genaue Zahl letztlich unwichtig.
Egal, wie hoch sie am Ende ist - sie ist immer zu hoch. Relevant ist die
Frage, die in der medialen Aufbereitung meist affirmativ bestärkt wird: wir
müssen Muslime offensichtlicgh immer wieer fragen, wie sie zu Gewalt gegen
Frauen, zu Homosexuellen und Juden oder zu Demokratie und Menschenrechten
stehen. Damit wird ständig ein Bezug zwischen Muslimen und etwa
Antisemitismus und Homophobie hergestellt. Und die Relevanz dieser Frage
wird durch jede neue Studie bestätigt - auch wenn die Ergebnisse, wie hier,
gar nicht so stark vom gesellschaftlichen Durchschnitt abweichen.
Sie haben europaweit über 50 Studien über Muslime, die in den letzten
Jahren entstanden sind, verglichen. Was ist Ihnen dabei aufgefallen?
Zunächst einmal hat sich die Kategorie „Muslim“ erst seit dem Jahr 2000 in
der Forschung etabliert, indem Muslime als Gruppe zum Forschungsobjekt
gemacht wurden. Die meisten Studien legen dabei einen starken Fokus auf
Radikalisierung, Sicherheit und Integration. Religiöse Praxis wird fast
ausschließlich auf sichtbare Zeichen reduziert: Kopftuch, Fasten, in die
Moschee gehen. Das spiegelt die öffentlichen Debatten wieder, die um
Andersartigkeit und Sichtbarkeit der Muslime kreisen.
Gibt es Unterschiede zwischen den Ländern?
In Dänemark, Großbritannien und Deutschland gibt es die meisten Studien. In
Großbritannien hat man auch schon früh in den 1990ern damit begonnen,
Muslime als Gruppe zu erforschen, da hat man in Deutschland noch von Türken
und Ex-Gastarbeitern gesprochen. In Frankreich und Schweden dagegen gibt es
bis heute ein großes Unbehagen, ethnische und religiöse Minderheiten als
Gruppe zu kategorisieren. Das widerspricht der politischen Kultur dieser
Länder.
Am meisten unterscheiden sich die Studien allerdings danach, ob sie von
staatlicher Seite, von Medien oder Stiftungen in Auftrag gegeben wurden
oder an Universitäten entstanden sind. Den Staaten geht es meist darum,
bestimmte Bevölkerungsgruppen zu vermessen, als Mittel zum Regieren und zur
Kontrolle. Andere Studien sind eher von dem Interesse geleitet, den
Betroffenen eine Stimme zu geben und auf Probleme hinzuweisen. So wie die
Städtestudie des Open Society Instituts, die auf lokaler Ebene auch
Lösungen vorschlägt.
Was fehlt?
Nach Glauben und Spiritualität wird selten gefragt: Gibt mir die Religion
Kraft? Glaubt man an Gott? Auch die innermuslimische Debatte, etwa zur
Scharia als Ethik, wird kaum abgebildet: Wie viele sehen die Scharia als
ethische Richtschnur - und wie viele hängen extremistischen Deutungen an?
Statt dessen werden Stereotype abgefragt. Die meisten dieser Studien, so
auch diese, stammen aber auch nicht von Islamwissenschaftlern - sondern, so
wie hier, von Psychologen, Kriminologen oder Migrationssoziologen. Das
merkt man ihnen an.
Welche Studie gibt es noch gar nicht?
Es gibt zum Beispiel noch keine Studie von offizieller Seite, die das
Tragen eines Kopftuchs mit Bildungserfolg oder Barrieren auf dem
Arbeitsmarkt in Zusammenhang bringt. Diskriminierung wird überhaupt nur
selten thematisiert.
In der aktuellen Studie ist Diskriminierung schon ein Thema ...
Ja, aber nur mit Blick auf die Gefahr einer Radikalisierung. Das ist
typisch. Diskriminierung als solche scheint weniger als Problem empfunden
zu werden - denn wenn man dagegen vorgehen wollte, müsste man anders
fragen. Es gibt ja verschiedene Formen der Diskriminierung - nicht nur, wie
hier gefragt, aufgrund der Herkunft, sondern auch aufgrund der Sichtbarkeit
der Religion. Auch wäre interessant zu wissen, ob sich die Opfer allein
gelassen oder von der Gesellschaft unterstützt fühlen.
Grundsätzlich aber stellt sich die Frage: warum fragt man überhaupt nach
Muslimen? Dieser Fokus bestärkt die Entwicklung einer muslimischen
Identität. Denn dieses ständige Befragtwerden führt erst dazu, dass sich
viele als Muslime verstehen. Für die Wissenschaft heißt das: Beschreiben
wir hier eine bestehende Gruppe? Oder schaffen wir sie erst, indem wir sie
als solche untersuchen? Und wer fällt aus den Blickfeld? Ägyptische Kopten,
türkische Christen und Juden, aber auch katholische Italiener und Spanier
haben oft ähnliche Probleme wie Muslime. Sie werden nur nicht so stark wahr
genommen - dafür werden sie aber auch nicht mit solchen Stereotypen belegt.
Welche Folgen hat die einseitige Ausrichtung solcher Studien?
Zunehmend verweigern sich Muslime solchen Umfragen und Studien, so dass
Forscher schon von „research fatigue“, von Forschungsmüdigkeit sprechen.
Viele Befragte haben ja die Hoffnung, Gehör zu finden, wenn sie sich an
solchen Studien beteiligen. Aber wenn diese Erwartung immer wieder
enttäuscht wird, weil die Ergebnisse entstellt werden, entziehen sie sich.
Am Ende der Studie haben die Autoren Empfehlungen an die Politik verfasst,
die Friedrich kaum gefallen haben dürften. Sie kommen zu dem Schluss, dass
Kopftuch- und Minarettverbote nur den Radikalen nützen und plädieren dafür,
Einwanderern die doppelte Staatsbürgerschaft und mehr gesellschaftliche
Teilhabe zu ermöglichen. Ist das falsch?
Nein, die Forscher sind sehr pragmatisch. Sie versuchen, den
sicherheitspolitischen Blick positiv zu wenden und sagen, dass eine
Radikalisierung durch mehr Integration verhindert werden kann. Aber gleiche
Rechte für Einwanderer sollten keine Belohnung für Wohlverhalten, sondern
ein Wert an sich sein.
9 Mar 2012
## AUTOREN
Daniel Bax
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