# taz.de -- Sigmar Gabriel über Hebron: Erleben, was Besatzung heißt | |
> Die scharfe Kritik von SPD-Chef Gabriel an den Zuständen in der größten | |
> palästinensischen Stadt kommt nicht von ungefähr. Die Gewalt ist | |
> körperlich spürbar. | |
Bild: Seit 1997 ist Hebron in zwei Zonen geteilt. | |
JERUSALEM taz | Die Menschenrechtslage in Hebron war zu viel für SPD-Chef | |
Sigmar Gabriel. Die Palästinenser lebten dort in einem „rechtsfreien“ Raum, | |
so resümierte er in wenigen Zeilen auf Facebook und verglich die Lage mit | |
einem Apartheidsystem. „Ich halte die Verhältnisse in Hebron für unwürdig�… | |
erklärte er. | |
Nirgendwo sonst leben Palästinenser und israelische Siedler so eng | |
beieinander. Etwa 800 Juden wohnen mitten in der palästinensischen Stadt | |
mit knapp 200.000 Einwohnern. Das Besondere an Hebron ist die Aufteilung in | |
zwei Verwaltungszonen. Seit 1997, als sich Israel und die PLO über den | |
Teilabzug aus der Stadt einigten, ist Hebron in zwei Zonen geteilt. | |
Die palästinensische H1-Zone gilt für 80 Prozent der Stadt. Die restlichen | |
20 Prozent der H2-Zone „umfassen all das, was Hebron zu Hebron macht“, sagt | |
Jehuda Schaul, Gründer von „Das Schweigen brechen“, einer Gruppe von | |
ehemaligen israelischen Soldaten, die in Hebron ihren Wehrdienst | |
ableisteten. | |
Muslimen wie Juden gleichermaßen heilig ist die Ma’arat Hamachpela in der | |
H2-Zone, das Grab des Stammvaters Abraham oder Ibrahim, in dem der | |
Überlieferung nach auch Isaak, Sarah, Jakob und Esau begraben liegen. Die | |
Ibrahim-Moschee wurde im Februar 1994 Schauplatz eines der blutigsten | |
Attentate. | |
Terrorist war diesmal kein Muslim, sondern der orthodoxe Jude Baruch | |
Goldstein, der mehrere Gewehrsalven auf eine Gruppe betender Männer | |
abschoss und 29 Menschen tötete. Dass Goldstein ideologisch kein | |
Außenseiter war, bezeugt das Grab, das ihm Gesinnungsgenossen an der | |
Einfahrt zur nahe gelegenen Siedlung Kirjat Arba herrichteten, eine Art | |
Pilgerstätte, um „des Helden Baruch“ zu gedenken. | |
## Manche Straßen sind verboten | |
Strenge Sicherheitsvorkehrungen regeln die Besuche der muslimischen und | |
jüdischen Gläubigen, die von zwei verschiedenen Eingängen her das | |
eindrucksvolle Gebäude betreten. Für Palästinenser und Juden gelten in der | |
H2-Zone unterschiedliche Regeln. Die Israelis unterliegen dem israelischen | |
Recht, die Palästinenser der Administrativverwaltung. Komplette Straßen, | |
auf denen sich die Siedler frei bewegen dürfen, sind für Palästinenser | |
gesperrt. „Es gibt Familien, die über das Dach klettern müssen, um ihr Haus | |
durch den Hintereingang zu betreten, weil die Straße zur vorderen Haustür | |
für sie verboten ist“, sagt Schaul. | |
Als die Stadt geteilt wurde, lebten 35.000 Palästinenser in der H2-Zone, | |
zehn Jahre später hatten, laut Bericht der Menschenrechtsorganisation | |
Betselem, schon über 40 Prozent der Muslime die Gegend verlassen. Über | |
1.000 Wohnungen wurden geräumt, knapp 2.000 Läden und Betriebe geschlossen. | |
Das Problem für die Palästinenser ist nicht nur die schwierige Rechtslage. | |
Schlimmer noch sind die täglichen Schikanen vonseiten der Siedler. Um vor | |
dem Müll geschützt zu werden, den die Siedler auf ihre Nachbarn werfen, | |
errichteten die palästinensischen Anwohner Drahtnetze über Balkone und | |
Terrassen. Psychologen berichten über eine besonders hohe Zahl | |
traumatisierter Kinder. Internationale Freiwillige begleiten Mädchen auf | |
dem Weg zur Schule, um sie zu schützen. | |
„Für unsere Arbeit ist Hebron ein Geschenk des Himmels“, sagt Schaul, der | |
regelmäßig mit israelischen und ausländischen Gruppen die Stadt besucht: | |
„Hier lässt sich nichts verbergen.“ An den Häuserwänden fordern Graffiti… | |
die „Araber in die Gaskammer“ zu schicken oder einfach nur „Rache“. Sch… | |
nennt Hebron einen „Mikrokosmos“ des Westjordanlands. „Ein halber Tag in | |
Hebron, und man kapiert, wie die Besatzung funktioniert.“ | |
16 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Konflikt zwischen Israel und Palästina: Mit iPods gegen Siedlerangriffe | |
Die Menschenrechtsgruppe Betselem rüstet Palästinenser mit Kameras aus, | |
damit sie Angriffe von Siedlern filmen. Vor Gericht könnten die Aufnahmen | |
entscheidend sein. | |
Migron im Westjordanland: Siedler müssen raus | |
Die 300 Einwohner des israelischen Vorpostens Migron müssen ihre Wohnungen | |
in vier Monaten verlassen. Der Oberste Gerichtshof lehnte einen Kompromiss | |
ab. | |
Solaranlagen im Westjordanland: Bulldozer gegen Hütten | |
Israel will von Deutschland mitfinanzierte Sonnenkollektoren abreißen. Die | |
ersten Hütten von palästinensischen Hirten mussten schon dran glauben. | |
Cem Özdemir im Nahen Osten: Verzweifelte Suche nach Graswurzeln | |
Hat grüne Politik in Israel eine Chance? Ökoparteien muss man dort mit der | |
Lupe suchen. Auf seiner Nahost-Reise tat Grünen-Chef Özdemir genau das. | |
Grünen-Chef Özdemir zum Nahostkonflikt: "Zwei Staaten sind unwahrscheinlich" | |
Die Bedingungen für eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und | |
Palästinensern verschlechtern sich, sagt Grünen-Chef Özdemir. Er will aber | |
weiter dafür eintreten. | |
Palästinensische Partei im syrischen Exil: Hamas sucht ein neues Zuhause | |
Die Führung der Islamisten will ihre Zelte in Damaskus abbrechen. Der Chef | |
der Hamas in Gaza geht auf Distanz zu Syriens Führung, damit er sich selbst | |
nicht ins Abseits bringt. | |
1.000 Dächerprogramm für Palästina: Unabhängig machen von Israel | |
Im Westjordanland gibt es immer mehr Solaranlagen. Dahinter steckt der | |
Wunsch, unabhängig von Israel zu werden. Das reagiert mit Abrissdrohungen. | |
Palästinensische Kinder im israelischen Knast: Steinewerfer vor Gericht | |
Jeden Freitag Steine: auf Soldaten, Autos, Panzer. Dann kommt der Knast - | |
für bis zu 700 palästinensische Kinder und Jugendliche. Verurteilt wird | |
nach Militärrecht. |