# taz.de -- Migron im Westjordanland: Siedler müssen raus | |
> Die 300 Einwohner des israelischen Vorpostens Migron müssen ihre | |
> Wohnungen in vier Monaten verlassen. Der Oberste Gerichtshof lehnte einen | |
> Kompromiss ab. | |
Bild: Die Siedler in Migron müssen bis zum 1. August ihre Sachen packen. | |
JERUSALEM taz | Wenn es nicht doch noch zu einer Einigung zwischen | |
Richtern, Politikern und Siedlern kommt, muss Migron im Westjordanland bis | |
zum 1. August geräumt werden. Der „illegale Siedlervorposten“, so hatte der | |
Oberste Gerichtshof bereits im August 2011 entschieden, sollte zunächst bis | |
zum 1. April geräumt werden. | |
Ein Kompromiss zwischen der Regierung und den Bewohnern von Migron, | |
innerhalb der kommenden drei Jahre neue Häuser in einer „legalen Siedlung“ | |
zu bauen und Migron so lange nicht anzurühren, lehnte der Oberste | |
Gerichtshof diese Woche ab. | |
„Es gibt noch Richter in Jerusalem“, jubelte Jariv Oppenheimer, Sprecher | |
der Friedensbewegung „Schalom achschav“, über das Urteil. Es zeige, dass | |
„alle Gruppen und Menschen in den Augen des Gesetzes gleich sind“. Die | |
Friedensbewegung hatte zusammen mit zwei palästinensischen | |
Grundstückseigentümern die Petition eingereicht. Nun sei es an den Siedlern | |
von Migron, meint Oppenheimer, „ihr Versprechen zu halten“ und den | |
Vorposten friedlich zu verlassen. | |
Dass die bevorstehende Räumung der knapp 60 Häuser in Migron ohne | |
Widerstand vonstattengehen könnte, ist allerdings kaum zu erwarten. „Auf | |
dem Weg zur Konfrontation“, titelte die Zeitung Ma’ariv am Montag. | |
Die Siedler fühlen sich ungerecht behandelt. „Da kommen ein paar Leute, die | |
behaupten, dass sie die Eigentümer des Landes sind“, kommentierte Chaimi | |
Teitelbaum, einer der Bewohner von Migron. „In den dreieinhalb Jahren der | |
Verhandlungen haben sie es nicht geschafft, die Besitzdokumente | |
vorzulegen.“ | |
## Brennende Reifen in die Moschee | |
Bereits im November, als die israelische Verwaltungsbeamte auf | |
richterlichen Bescheid drei Gebäude in Migron abrissen, ließen Aktivisten | |
der radikalen Siedlerbewegung „Preisschild“ brennende Reifen in die Moschee | |
des arabischen Dorfes Burqin rollen. Die „Makkabäer von Migron“ nennt sich | |
eine Splittergruppe der „Preisschild“-Bewegung, die mit Racheaktionen auf | |
Anschläge von Palästinensern reagiert. „Kahane hatte Recht“, sprühten sie | |
jüngst auf Autos, die vor der Kreuzkirche in Jerusalem parkten. Der 1990 | |
ermordete Rabbi Meir Kahane war Gründer der verbotenen rechtsradikalen | |
Partei Kach. | |
Ronni Arsi, Sprecher der Jescha (Initialwort für Judäa, Samaria und Gaza), | |
des Dachverbands der Siedler, rechnet nicht mit Gewalt. „99 Prozent der | |
(jüdischen) Bevölkerung in Judäa und Samaria sind gesetzestreu“, sagte er | |
auf telefonische Anfrage. „Die Leute haben Kritik, auch der Staat hat | |
Fehler gemacht, aber sie werden auf legalem Weg protestieren und ihren | |
Einfluss auf die Parlamentarier stark machen.“ Übrig blieben dann noch | |
immer 1 Prozent der Siedler, die es mit dem Recht nicht so ernst nehmen. | |
Die brennende Moschee von Burqin ist ein Vorgeschmack auf das, was noch | |
kommen kann, wenn die Polizei Kommando zur Räumung bekommt. Die | |
Palästinenser bezahlen den Preis für das vermeintliche Unrecht an der | |
jüdischen Bevölkerung im Westjordanland. „Tod den Arabern“ ist ein | |
wiederkehrender Slogan oder auch „Tod den Christen“, vor allem in | |
Jerusalem. | |
Laut einem jüngst veröffentlichten Bericht der UNO wuchs die Zahl der | |
Angriffe von jüdischen Zivilisten auf Palästinenser im vergangenen Jahr um | |
40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zwei Palästinenser sind im Januar | |
vergangenes von Isarelis getötet worden. In beiden Fällen gibt es bislang | |
kein Verfahren. | |
Umgekehrt wurden im gleichen Zeitabschnitt acht israelische Siedler getötet | |
und 30 verletzt. Fünf der acht getöteten Israelis gehören zu der Familie | |
Vogel aus der Siedlung Itamar. Die beiden Palästinenser Amjad und Hakim | |
Awad aus dem Dorf Awarta hatten die Eltern und drei kleine Kinder im März | |
2011 brutal abgeschlachtet. Sie sind zu mehrfach lebenslanger Haftstrafe | |
verurteilt worden. Awarta gehört seither zu den bevorzugten Ortschaften der | |
„Preisschild“-Aktivisten. | |
26 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Israelische Siedlungspolitik: Erst Sperrgebiet, dann Siedlerland | |
Neun kleinen Dörfern im Westjordanland droht der Abriss durch Israels | |
Armee. Die beansprucht das Land für Militärübungen. Die betroffenen Hirten | |
wollen aber bleiben. | |
Propalästinensische Protest-Kampagne: Neun Aktivisten aus Israel ausgewiesen | |
40 Teilnehmer der Kampagne „Willkommen in Palästina“ sitzen noch in | |
Abschiebehaft in Israel. Sie wollten gegen die Lebensbedingungen im | |
Westjordanland protestieren. | |
Israel-Palästina-Konflikt: Randale am „Tag des Bodens“ | |
Am Checkpoint in Kalandia kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen | |
Palästinensern und Soldaten. Israel plant, den Siedlungsbau noch zu | |
intensivieren. | |
Kommentar Siedlerpolitik in Israel: Justiz mutiger als Politiker | |
Die Richter des israelischen Obersten Gerichtshofs gehen entschlossener | |
gegen die Siedler vor als Ministerpräsident Netanjahu. | |
Philosoph über den Nahostkonflikt: „Frieden ohne Wahlrecht“ | |
Nur radikale neue Lösungen helfen aus der verfahrenen Lage, sagt einer der | |
bekanntesten palästinensischen Intellektuellen, Sari Nusseibeh. Etwa ein | |
Einheitsstaat. | |
Sigmar Gabriel über Hebron: Erleben, was Besatzung heißt | |
Die scharfe Kritik von SPD-Chef Gabriel an den Zuständen in der größten | |
palästinensischen Stadt kommt nicht von ungefähr. Die Gewalt ist körperlich | |
spürbar. | |
Solaranlagen im Westjordanland: Bulldozer gegen Hütten | |
Israel will von Deutschland mitfinanzierte Sonnenkollektoren abreißen. Die | |
ersten Hütten von palästinensischen Hirten mussten schon dran glauben. |