# taz.de -- Cem Özdemir im Nahen Osten: Verzweifelte Suche nach Graswurzeln | |
> Hat grüne Politik in Israel eine Chance? Ökoparteien muss man dort mit | |
> der Lupe suchen. Auf seiner Nahost-Reise tat Grünen-Chef Özdemir genau | |
> das. | |
Bild: Auf der Suche nach der grünen Bewegung: Cem Özdemir in Jerusalem. | |
TEL AVIV/HEBRON/JERUSALEM taz | Es ist ein Erlebnis in Hebron, das Cem | |
Özdemir schockt. Der deutsche Grünen-Chef besichtigt gerade die | |
Abraham-Moschee in der Stadt im Westjordanland, unter der das Grab des | |
Erzvaters liegen soll, einen der heiligsten Orte des Islam. Auf Socken | |
natürlich, so, wie es islamischer Brauch ist. Plötzlich fangen junge | |
Muslime an, Bastmatten auf den fein gewebten Teppichen auszulegen. Wenig | |
später ist klar, warum: Zwei Dutzend junge israelische Soldaten marschieren | |
in die Moschee, eine Führung. Ihre Stiefel lassen sie dabei an. | |
Özdemir bezeichnet sich selbst als säkularen, nicht praktizierenden Moslem | |
- doch bei dieser Provokation ist ihm die Empörung anzumerken. Später, im | |
Kleinbus, sagt er: "Soldaten gehören nicht in eine Moschee, so wie sie in | |
kein anderes Gotteshaus gehören." Wenig hilfreich sei es, sagt er, wenn | |
israelische Politiker etwas zuließen, was an eine Demütigung für Muslime | |
grenze. | |
Özdemir reist fünf Tage durch Israel und das Westjordanland. Er tut dies in | |
großer Tradition: Die Pendeldiplomatie Joschka Fischers, bei der der grüne | |
Außenminister 2001 nach einem Terroranschlag zwischen Israelis und | |
Palästinensern vermittelte, und seine Nahost-Friedenspläne sind hier vielen | |
in guter Erinnerung geblieben. Auch Özdemir trifft Politiker beider Seiten. | |
Israels rechtsnationaler Außenminister Avigdor Lieberman nimmt sich eine | |
Stunde für ein Mittagessen, auch ein Treffen mit dem palästinensischen | |
Ministerpräsidenten Salam Fajad klappt. | |
Doch Özdemir will auch herausfinden, welche Chancen überhaupt grüne Politik | |
in der Region hat. Können sich sozial-ökologische Parteien vor dem alles | |
überstrahlenden Konflikt durchsetzen? Und helfen, eine verfahrene | |
Situation, die sich in Szenen wie der in der Moschee kristallisiert, zu | |
lösen? Özdemir, der mit seiner Partei für eine Zwei-Staaten-Lösung | |
eintritt, sucht Verbündete. | |
Die Suche beginnt in der Knesset, dem israelischen Parlament, das auf einem | |
Hügel in Jerusalem thront. Zehava Galon sitzt in ihrem engen | |
Abgeordnetenbüro, Özdemir und der Bundestagsabgeordnete Jerzy Montag haben | |
sich auf ein Sofa gequetscht. Galon will Vorsitzende der Partei Meretz | |
werden, sie gilt als aussichtsreiche Kandidatin. Ihre Partei ist nicht | |
dezidiert ökologisch ausgerichtet, sie tritt aber als linke Kraft etwa für | |
Bürgerrechte, Pluralismus und die Gleichstellung der Frau ein. Meretz ist | |
bei vergangenen Wahlen immer weiter abgerutscht, ihr Image ist verstaubt, | |
sie hält nur noch drei Sitze in der Knesset. Keine starke Spielerin, aber | |
es gibt gemeinsame Inhalte. | |
## Zersplitterte Grüne | |
Galons Analyse ist ernüchternd. Sie weiß, dass Benjamin Netanjahus rechter | |
Likud in den Umfragen vorn liegt. Und dass der Regierungschef, wenn er sich | |
von seinem aktuellen Partner, den Rechtsnationalen, trennen will, auch in | |
der Mitte zwischen mehreren Partnern wählen kann, etwa der bürgerlichen | |
Kadima. "Viele Kadima-Leute sehnen sich danach, endlich aus der Opposition | |
herauszukommen", sagt sie. | |
Deshalb klingt es arg nach Zweckoptimismus, wenn sie betont, dass die | |
vielen Parteien auf dem linken Flügel eine rechnerische Mehrheit erringen | |
könnten und dass "wir daraus vielleicht eine Koalition formen können". | |
Özdemir schaut skeptisch. Eine Koalition aus fünf, sechs Partnern, mit | |
völlig unterschiedlichen Profilen und Charakteren ist mehr als | |
unwahrscheinlich. | |
In Israel gibt es keine grüne Partei wie in Deutschland, die stark und | |
flächendeckend im parlamentarischen System vertreten ist. Das vergleichbare | |
Pendant spielt keine Rolle. Die Green Party, 1997 gegründet, tritt vor | |
allem für Umweltschutz ein. Sie schaffte es bisher nicht einmal über die | |
Zweiprozenthürde bei den Parlamentswahlen und sitzt lediglich in knapp zwei | |
Dutzend Gemeinderäten. | |
Bleibt das Green Movement, eine 2008 gegründete sozial-ökologische Partei, | |
die jetzt bei den Wahlen Chancen auf den Knesset-Einzug hat. Das Green | |
Movement setzt auf Eigenständigkeit. Bevor man über Vereinigungen | |
nachdenke, müsse man sich erst als Partei etablieren, betont ihre | |
Vorsitzende Racheli Tidhar-Caner. | |
Die Perspektiven für grüne Politik sind in Israel daher zwiespältig: Die | |
politischen Kräfte sind zersplittert, eine Aussicht auf eine für 2013 | |
geplante Regierungsbeteiligung nach der Knesset-Wahl gibt es nicht, | |
allenfalls die Aussicht auf ein paar Parlamentssitze. Gleichzeitig setzen | |
alle große Hoffnungen in die Protestbewegung, die im Sommer vergangenen | |
Jahres in Städten im ganzen Land aufflammte und Hunderttausende auf die | |
Straße brachte. Sie, so die Hoffnung der Parteistrategen, könnte | |
Prozentpunkte auf dem linken Flügel bringen. | |
## Der Gedanke an "Raketen und Terror" | |
Özdemir trifft zwei Aktivisten im Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel | |
Aviv. Yonatan Levi, ein schmaler junger Mann mit kurzem schwarzem Haar, und | |
Stav Shaffir, eine junge Frau mit roten Locken, erzählen ruhig und | |
bestimmt, wie sie die Zukunft der Bewegung sehen. Er lässt sein Studium für | |
die Bewegung ruhen, sie wurde mehrfach inhaftiert. Für beide ist die | |
Protestorganisation gerade ein Vollzeitjob. | |
Sie erzählen, wie sie im Sommer darauf achteten, bei jeder Demonstration | |
einen arabischen Redner sprechen zu lassen. Erst habe es bei arabischen | |
Israelis ein großes Misstrauen gegeben, viele hätten gefürchtet, der | |
Protest diene nur der jüdischen Bevölkerung, erzählt Shaffir. "Und | |
plötzlich redet ein Araber auf einer Demonstration, bei der alle dabei | |
sind, der Mainstream der Gesellschaft - und die live auf allen Sendern | |
übertragen wird. Das war eine völlig neue, vertrauensbildende | |
Kommunikation", sagt Levi. | |
Die Protestbewegung wird seit Sommer von allen Parteien umworben - außer | |
von Liebermans Rechtsnationalen. Sich aber jetzt parteipolitisch zu | |
positionieren, sei Verrat an ihren sehr unterschiedlichen Anhängern, sagt | |
Shaffir. Wie sich der Protest im parlamentarischen System auswirkt, ist | |
unklar. Selbst wenn in Umfragen die große Mehrheit der Israelis angibt, | |
soziale Themen seien für sie wichtig - "sobald sie in der Wahlkabine sind, | |
denken sie an Raketen und Terror", sagt Levi. | |
Özdemir hört aufmerksam zu. Montag und er erzählen von den Anfängen der | |
deutschen Grünen, die auch aus einer Bewegung entstanden. Doch für eine | |
eigene Partei, darin stimmen beide Aktivisten überein, wäre es in Israel | |
noch viel zu früh. | |
7 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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