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# taz.de -- Solidarpakt Ost in der Kritik: Ruhr-Kommunen wollen Kohle behalten
> Seit 1994 zahlen die Westkommunen für den Aufbau Ost – auch Städte und
> Gemeinden, die auf die Pleite zusteuern. Mehrere Städte im Ruhrgebiet
> wollen den Solidarpakt kippen.
Bild: Auch West-Städten geht es schlecht.
Der Zusammenbruch der maroden Infrastruktur ist in großen Teilen des
Ruhrgebiets auf den ersten Blick zu sehen: Straßen gleichen
Schlaglochpisten, Bahnhöfe wirken verwahrlost. Schwimmbäder sind
verschwunden, durch Schuldächer tropft der Regen.
Mitten in den nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf hinein fordern die
Oberbürgermeister der vor der Pleite stehenden Revierstädte deshalb ein
Ende der Umverteilung von West nach Ost: „Wir können uns Zahlungen in den
Solidarpakt nicht länger leisten“, so Bochums SPD-Oberbürgermeisterin
Ottilie Scholz zur taz. „Wir brauchen hier das Geld für dringend notwendige
Investitionen.“ Auch die SPD-Stadtoberhäupter von Dortmund, Essen,
Gelsenkirchen und Oberhausen fordern ein Ende des Solidarpakts: Der sei ein
„perverses System, das keinerlei Rechtfertigung mehr hat“, schimpfte
Dortmunds Bürgermeister Ullrich Sierau in der Süddeutschen Zeitung.
Die Finanzlage der Kommunen in Nordrhein-Westfalen ist dramatisch. Von 400
Kommunen habe gerade acht einen ausgeglichenen Haushalt. Besonders schlimm
ist die Lage im noch immer vom Ende von Kohle und Stahl gebeutelten
Ruhrgebiet (siehe Grafik). Nirgendwo in der Bundesrepublik sei die
Kinderarmut höher, klagte der Paritätische Wohlfahrtsverband erst Ende
Februar– im Revier leben mehr Kinder von Hartz IV als in Ostdeutschland.
Bei Besuchen in Nordrhein-Westfalen habe er „Zustände gesehen, die ich aus
Ostdeutschland nicht mehr kenne im öffentlichen Raum“, mahnte auch der neue
Bundespräsident Joachim Gauck am Tag seines Amtsantritts in der ARD.
Wirtschaftsforschungsinstitute wie RWI, Ifo oder DIW fordern deshalb längst
die Gleichbehandlung strukturschwacher Regionen in Ost und West. „Jetzt ist
der Westen dran“, sagt auch der Generalsekretär der NRW-SPD, Mike Groschek,
zur taz. Die nun in die Kritik geratene Umverteilung von West nach Ost war
kurz nach dem Mauerfall angeleiert worden: Der Fonds Deutsche Einheit
zahlte bis 1994 umgerechnet 82,2 Milliarden Euro aus. Das Geld beschaffte
er sich größtenteils durch Kredite. An deren Abzahlung müssen sich bis
heute die Westkommunen beteiligen, indem sie ihren Landesregierungen Teile
der Gewerbesteuer abtreten.
Dagegen legten die nordrhein-westfälischen Kommunen 2011
Verfassungsbeschwerde ein. 1993 folgte dann der Solidarpakt I. Die neuen
Länder wurden in den regulären Länderfinanzausgleich aufgenommen, erhielten
jedoch noch ergänzende Zuweisungen durch den Bund. Bis 2004 flossen so
weitere 94,5 Milliarden Euro in den Osten. Die Westländer dürfen ihren
Kommunen 40 Prozent ihrer Kosten für den Aufbau Ost aufdrücken. Diese
Kosten beschränken sich in NRW auf den Fonds Deutsche Einheit: Beim
Länderfinanzausgleich gehört das Land zu den Nettoempfänger.
Als von gleichen Lebensbedingungen immer noch keine Rede sein konnte,
folgte der 2005 der Solidarpakt II. Erstmals profitieren davon aber auch
strukturschwache Gebiete im Westen. Der für den Aufbau Ost zuständige
CDU-Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz hält das Jammern über den
Solidarpakt für unsinnig. Die Belastungen für die Kommunen seien eine Folge
des Fonds Deutsche Einheit und hätten nichts mit dem laufenden Solidarpakt
zu tun.
Zudem überwiesen die Westkommunen auch nichts direkt an den Bund oder nach
Ostdeutschland, sondern in die Haushalte der Westländer. Und die, so Vaatz,
„hätten es selbst in der Hand, die von ihren Kommunen eingenommenen Mittel
zur Behebung der finanziellen Notlage einzelner Städte und Gemeinden
einzusetzen.“
20 Mar 2012
## AUTOREN
N. Liebert
A. Wyputta
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