# taz.de -- Streit um Bildungspolitik: Bund soll wieder bilden dürfen | |
> Das Kooperationsverbot hindert Bund und Länder an der Zusammenarbeit in | |
> der Bildung. Die Koalition will dieses Verbot nun lockern. Reicht das? | |
Bild: Sie hat möglicherweise ein anderes Niveau als Kinder aus anderen Bundesl… | |
Das war deutlich: „Innerhalb von Deutschland herrscht mittlerweile eine | |
Leistungsspreizung wie zwischen Finnland und Mexiko.“ Manfred Prenzel, | |
Bildungsforscher und Berater der Bundesregierung, nahm kein Blatt vor den | |
Mund, als er den Bildungsföderalismus im Jahre zwölf nach Pisa beschrieb: | |
Je nachdem, in welchem Bundesland Schüler wohnen, werden sie | |
unterschiedlich gut gefördert, die Leistungsunterschiede in einem Jahrgang | |
betragen bis zu eineinhalb Schuljahre. | |
„Diese Leistungsunterschiede sind in den vergangenen zehn Jahren nicht | |
kleiner geworden. Wir haben ein Gerechtigkeitsproblem in Deutschland“, | |
donnerte der nationale Leiter für die Pisa-Studie 2012, die bald erhoben | |
wird. | |
Prenzel war auf Wunsch der Unionsfraktion in den Bildungsausschuss des | |
Deutschen Bundestags gekommen. Dieser hatte am Montag zur ersten Anhörung | |
über die Aufhebung des grundgesetzlichen Kooperationsverbots im | |
Bildungsbereich eingeladen. Es war dem maßgeblichen Druck der | |
unionsregierten Länder Bayern, Hessen und Baden-Württemberg geschuldet, | |
dass im Zuge der Föderalismusreform von 2006 Bund und Länder im | |
Bildungsbereich nicht mehr zusammenarbeiten dürfen. Seither gilt: Jedes | |
Land macht seins. | |
Dumm nur: Während der Etat von Bundesbildungsministerin Annette Schavan | |
(CDU) stetig wächst, müssen die Länder sparen. Oder wie der | |
Verwaltungswissenschaftler Wolfgang Wieland es knapp formulierte: „Die | |
Länder haben die Kompetenz, aber der Bund hat das Geld.“ | |
Und so gehört Schavan, die die Föderalismusreform vor sechs Jahren noch als | |
Chance für den Bildungsbereich lobte, mittlerweile zu jenen, die sie mit | |
immer neuen Bund-Länder-Projekten am eifrigsten hintertreiben. | |
## Diskussion nimmt Fahrt auf | |
Die Diskussion um eine entsprechende Grundgesetzänderung hat Fahrt | |
aufgenommen, seitdem sich die Spitzenpolitiker von CDU, CSU und FDP vor | |
zwei Wochen überraschend im Koalitionsauschuss darauf geeinigt hatten, das | |
Verbot zu lockern. Aber nur ein wenig, so dass Bund und Länder gemeinsam in | |
ausgewählte Hochschulen investieren können, sprich: die Exzellenzinitiative | |
fortsetzen dürfen. Der Schulbereich spielt in den Überlegungen der | |
Koalition bisher keine Rolle. Nach Ansicht vieler Experten ein Fehler. | |
„Wir bräuchten dringend ein länderübergreifendes Programm zur | |
Leseförderung“, unterstrich Bildungsforscher Prenzel und äußerte den | |
„starken Wunsch“, das Kooperationsverbot dahingehend aufzuhebeln. „Es | |
behindert die Gleichwertigkeit von Bildung in Deutschland.“ Auch andere auf | |
Unionsticket angereiste Experten mahnten die Politiker, den Blick zu | |
weiten. Der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Wolfgang Marquardt, | |
konstatierte eine zunehmende Asymmetrie zwischen länderfinanzierten | |
Hochschulen und bundesfinanzierten Forschungszentren. | |
Der Wissenschaftsrat berät Bund und Länder, mischt sich aber nicht in | |
aktuelle Debatten ein. Insofern wagte sich Marquardt schon ziemlich weit in | |
die Niederungen der Tagespolitik, als er warnte: „Das erzeugt Fliehkräfte | |
im Hochschulsystem. Deshalb ist es nötig, das Grundgesetz so zu ändern, das | |
Hochschulen insgesamt gestärkt werden.“ Der Rat legt in einem Jahr ein | |
Gutachten zum Wissenschaftsstandort Deutschland vor. | |
## Verabredete Grundgesetzänderung | |
Im Frühjahr 2013, also ebenfalls noch vor der Bundestagswahl, soll auch die | |
von der Koalition verabredete Grundgesetzänderung in Kraft treten. Schavans | |
Beamte arbeiten derzeit an einem Entwurf, den die Regierung im Mai beraten | |
will. Bundesrat und Bundestag müssen einer Grundgesetzänderung mit zwei | |
Drittel Mehrheit zustimmen. | |
Bisher verweigert die SPD ihre Zustimmung. Nötig sei, dass Union und FDP | |
sich auch für eine Diskussion über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern | |
in der Bildung öffneten, meinte SPD-Bildungsexperte Swen Schulz nach der | |
Anhörung. | |
Das SPD-regierte Hamburg und auch das schwarz-gelbe Schleswig-Holstein | |
haben bereits entsprechende Anträge in den Bundesrat eingebracht. Die | |
Oppositionsparteien Linke, Grüne und SPD haben parallel dazu im Bundestag | |
eigene Vorstöße gestartet. Der feine Unterschied: Während die | |
Bundespolitiker übers Grundgesetz „Gemeinschaftsaufgaben“ fördern und dam… | |
dem Bund mehr Mitsprache einräumen wollen, setzen die Länder auf | |
„Finanzhilfen“ – und wahren so ihre Kultushoheit. | |
Die Union ist bisher skeptisch. „Die SPD-regierten Ländern wollen einfach | |
an die Kohle“, sagt der Sprecher der Unionsfraktion Albert Rupprecht der | |
taz. Er befürchtet, dass die Länder das Geld vom Bund einstreichen könnten | |
und dafür ihre Ausgaben für die Schulen und Unis drosseln. | |
## „Abenteuerliche Parallelstrukturen“ | |
Gleichwohl sind auch die Bildungspolitiker der Union unschlüssig. „Wir sind | |
nicht zufrieden mit dem, was das Bildungspaket bewirkt“, sagt Rupprecht. | |
Mit Geld aus dem Paket von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen erhalten | |
Kinder aus ärmeren Familien Zuschüsse für Vereine, Nachhilfeunterricht und | |
Mittagessen. Das Problem: Das Geld kommt nur über Umwege zum Kind, denn an | |
die eigentlichen Bildungsinstitutionen darf der Bund nicht direkt | |
überweisen. „Das führt teilweise zu abenteuerlichen Parallelstrukturen“, | |
berichtet Rupprecht. Die Kita in seinem Wahlkreis musste vorher eine | |
Essengeldabrechnung am Jahresende machen, nun muss sie jedes Mal eine neue | |
aufsetzen, wenn die Eltern eines Kindes hilfebedürftig werden. | |
Rupprecht schlägt vor, eine eigene Kommission einzusetzen mit Vertretern | |
von Bund, Ländern und Kommunen. Diese solle in Ruhe beraten, wie das | |
Bildungssystem des Jahres 2020 aussehen soll und wie dementsprechend die | |
Finanzströme reguliert werden müssen. Die geplante Minirefom des | |
Grundgesetzes will Rupprecht aber wie geplant im nächsten Jahr umgesetzt | |
sehen. | |
Eine Kommission schlägt auch der Grünen-Abgeordnete Kai Gehring vor – einen | |
„Reformkonvent“. Dieser könne zum Beispiel ein weiteres | |
Ganztagsschulprogramm verabreden. | |
Grüne und SPD präferieren jedoch keine Schnellschuss-Änderung des | |
Grundgesetz, sondern setzen auf eine „langfristig tragbare Lösung“. Eine | |
Aufhebung des Kooperationsverbots könnte sich so möglicherweise eine | |
rot-grüne Bundesregierung an die Brust heften. | |
21 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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