# taz.de -- Axel Schildt über NS-Forschung in Hamburg: "Ärger hat uns nie int… | |
> Vor 15 Jahren wurde die Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte zum | |
> dritten Mal neu erfunden. Das Thema Nationalsozialismus trägt sie seither | |
> nicht mehr im Namen. Dennoch, sagt Direktor Axel Schildt, befasse sie | |
> sich intensiv mit der Epoche. | |
Bild: Erforscht Intellektuellen-Geschichte: Axel Schildt. | |
taz: Herr Schildt, warum ist die „Forschungsstelle für Zeitgeschichte“ | |
ursprünglich gegründet worden? | |
Axel Schildt: Um über das lokale NS-Regime aufzuklären. Der erste Vorläufer | |
unseres heutigen Instituts wurde 1949 gegründet und hieß „Forschungsstelle | |
für die Geschichte Hamburgs 1933–1945“. Diese Aufgabenbestimmung ging auf | |
einen Beschluss der Bürgerschaft zurück. | |
Konkreter Anlass war ein Buch über den Hamburger Gauleiter, Karl Kaufmann. | |
Ja. Die 1947 erschienene Studie „Das letzte Kapitel. Geschichte der | |
Kapitulation Hamburgs“ von Kurt Detlev Möller verbreitete die Legende vom | |
noblen Gauleiter Kaufmann, weil er die Stadt durch kampflose Übergabe vor | |
dem Untergang gerettet habe. Ausgeklammert blieb allerdings alles, was die | |
Nationalsozialisten seit 1933 angerichtet hatten. | |
Die erste Forschungsstelle sollte also richtigstellen? | |
Ihre Gründung war jedenfalls auch eine Reaktion auf das Buch, das starke | |
Proteste in Bürgerschaft und Medien ausgelöst hatte. | |
Wie recherchierte man damals? | |
Es war ein prekäres Unterfangen. Der Leiter und die beiden Mitarbeiter des | |
Instituts – mehr Personal gab es nicht – haben versucht, auch das Vertrauen | |
ehemaliger NSDAP-Funktionäre zu gewinnen, um an deren Erinnerungen und | |
Unterlagen zu gelangen. Dafür wollten sie keine Öffentlichkeit. | |
Was kam dabei heraus? | |
Veröffentlicht wurde nichts, aber es gingen vertrauliche Berichte an den | |
Senat. Mitte der 50er Jahre wurde die erste Forschungsstelle geschlossen. | |
Und dann? | |
Im Winter 1959/60 gab es eine bundesweite antisemitische Welle mit | |
Hakenkreuz-Schmierereien, auch in Hamburg, die in der Presse große | |
Aufmerksamkeit fand. Das war der Hintergrund für einen | |
Bürgerschaftsbeschluss im Frühjahr 1960, eine neue „Forschungsstelle für | |
die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg“ zu gründen, die auch | |
dessen Vorgeschichte in den Blick nehmen sollte. | |
Aber die erste wegweisende Publikation zum Thema, der Band „Hamburg im | |
’Dritten Reich‘“, erschien trotzdem erst 2005. | |
Zu einzelnen Bereichen, von der Justiz bis zur Schule, hatte es durchaus | |
eine ganze Reihe wichtiger Publikationen über die NS-Zeit in Hamburg | |
gegeben, besonders viele in den 1980er Jahren, auch von | |
Geschichtswerkstätten. Aber eine Gesamtdarstellung wurde von uns in der Tat | |
erst 2005 veröffentlicht. Damit haben wir quasi eine politisch-moralische | |
Pflicht erfüllt. | |
1997 wurde das Institut umbenannt in „Forschungsstelle für Zeitgeschichte | |
in Hamburg“. Warum das? | |
Zum einen aus formalen Gründen, denn seither ist das Institut keine | |
Abteilung der Behörde für Wissenschaft und Forschung mehr, sondern eine | |
Stiftung bürgerlichen Rechts. Der andere Grund ist ein inhaltlicher: Freie | |
Forschung verträgt sich schlecht mit der Einbindung in behördliche | |
Strukturen. Seit der Umbenennung hat sich die überregionale und | |
internationale Sichtbarkeit unseres Instituts qualitativ verbessert. | |
Nicht mehr vor kommt im Titel der Auftrag, den Nationalsozialismus zu | |
erforschen. Eine Aufweichung. | |
Ich würde es eher Erweiterung nennen. Seit den späten 80er Jahren wurde | |
immer deutlicher, dass es für die Erforschung des Nationalsozialismus nicht | |
ausreicht, die Zeit von 1933 bis 1945 zu erforschen. Vielmehr ist eine | |
Jahrhundertperspektive erforderlich, die Längsschnittuntersuchungen über | |
die politischen Zäsuren hinweg erlaubt. Außerdem kommt inzwischen die | |
Geschichte der Aufarbeitung des NS als eigenes Forschungsgebiet hinzu. | |
Es hatte also nichts damit zu tun, dass irgendwer fand, der | |
Nationalsozialismus sei ausreichend erforscht? | |
Nein, im Gegenteil! Die Zahl unserer Veröffentlichungen zu diesem Thema | |
haben sich seither vervielfacht. Voriges Jahr etwa haben wir einen Band | |
über die Hamburger Hochbahn im „Dritten Reich“ veröffentlicht. | |
Das Verkehrsunternehmen bediente sich damals Zwangsarbeitern, wie etliche | |
andere Betriebe auch. | |
Ja. | |
Und welche Projekte sind derzeit bei Ihnen in Arbeit? | |
Unter anderem bereiten wir Projekte zu den wirtschaftlichen Interessen | |
Hamburger Unternehmen in den besetzten osteuropäischen Ländern während des | |
Zweiten Weltkriegs vor. Ein anderes Projekt soll der Frage nachgehen, was | |
mit dem NS-Vermögen nach 1945 passierte. Die Auseinandersetzung um die | |
Rückgabe des GEW-Gebäudes in der Rothenbaumchaussee 19 in Hamburg vor | |
einiger Zeit war ja nur die Spitze des Eisbergs. | |
Brisante Themen. | |
Ob irgendetwas Ärger einbringt, war nie ein Kriterium für uns. | |
Sie selbst sind derzeit freigestellt. Was tun Sie? | |
Ich schreibe ein Buch über die Geschichte der Intellektuellen in der | |
Bundesrepublik. Dabei geht es mir besonders um deren mediale Vernetzungen | |
für die Durchsetzung von Meinungen. | |
Also um Manipulation? | |
So würde ich es nicht nennen. Vielmehr geht es mir darum, die klassische | |
Zeitgeschichte der Ideen mit der Perspektive der Akteure und ihrer | |
Netzwerke darstellerisch zu verbinden. | |
Sie haben viel über Eliten gearbeitet. Ist der Begriff noch zeitgemäß? | |
Man kann zunächst nüchtern Eliten als Funktionseliten bestimmen: Leute, die | |
wichtig sind für das Funktionieren einer Gesellschaft, Richter ebenso wie | |
Zahnärzte. Aber Elite hat noch eine andere Konnotation – jedenfalls im | |
Gründungsjahrzehnt der Bundesrepublik. Da hat man die abendländischen | |
Kultureliten den Massen gegenübergestellt. Man muss bedenken, dass 1950 | |
vier Prozent der Deutschen Abitur hatten. Heute sind es 40 Prozent. Da | |
funktioniert die Polarisierung so natürlich nicht mehr. | |
Würden Sie sich selbst zur Elite zählen? | |
Wie gesagt, ich mag das Wort nicht. Denn ideologisch schwingt immer die | |
kulturelle Höherwertigkeit einer Gruppe mit, die deshalb auch das Recht auf | |
Privilegien hätte – oder darauf, anderen zu sagen, wo es langgeht. Die | |
Vorstellung einer „Elite“ reibt sich letztlich mit demokratischem | |
Grundverständnis. | |
Sie haben auch über jüdische Remigration geforscht. Was kam dabei heraus? | |
Erstens kehrten sehr wenige aus dem Exil zurück, nicht mehr als vier | |
Prozent. Und das waren vor allem diejenigen, die eine politische Mission | |
hatten. | |
… die dem linken Spektrum entstammten. Wie wurden sie empfangen? | |
Sehr häufig unfreundlich. Jüdische Remigranten hatten zu kämpfen mit einer | |
verständnislosen, feindseligen Umwelt. Viele Deutsche sagten: Ihr könnt | |
nicht beurteilen, was hier geschah, denn ihr wart nicht dabei. | |
Blieben diese Leute dauerhaft isoliert? | |
Nicht alle. Einige haben später wichtige Positionen eingenommen. Hamburg | |
ist ein besonderes Beispiel mit gleich zwei Bürgermeistern, die emigrieren | |
mussten – die Sozialdemokraten Max Brauer und Herbert Weichmann, der | |
Letztere war Jude. Sie haben allerdings sehr selten öffentlich von ihrem | |
Schicksal als Exilanten gesprochen. Wenn überhaupt, haben sie gesagt: Wir | |
haben Erfahrungen im Ausland gesammelt. | |
22 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
## TAGS | |
Wissenschaft | |
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