| # taz.de -- Prickelt's? Sex über 50: Wie ein Oldtimer, der selten fährt | |
| > Laut einer Studie haben Frauen über fünfzig relativ häufig Sex. Unsere | |
| > Autorin bezweifelt das. Sie hat sich umgehört. Bei ihren Freundinnen. | |
| Bild: Warme Socken oder GV? Schwere Entscheidung, alle zwei Monate ... | |
| Sex in späten Jahren. Heikel. Die Frage lautet: Ist bei andern mehr los? | |
| Es existieren Studien dazu. Das macht es nicht einfacher. Da gibt es die | |
| Befragung von mehr als 1.000 Frauen im Alter zwischen fünfzig und sechzig | |
| Jahren zu „Postmenopause und Sexualität“, ausgewertet von Sexualforscher | |
| Kurt Starke. Von den Frauen mit Partner hatte gut die Hälfte mindestens | |
| einmal in der Woche Sex. Und das in dieser fortgeschrittenen Altersgruppe. | |
| So, so. Schon bemerkenswert, dass meine Freundinnen und ich nie | |
| angeschrieben werden, wenn TNS Infratest Fragebögen verschickt. Oder wir | |
| gehören einfach nicht zur sexy Hälfte. | |
| „Klar spielt Sex noch eine große Rolle“, meint Ursula. „Sex hat mit dem | |
| Alter nicht soviel zu tun, sondern damit, ob es prickelt.“ Prickelt! Das | |
| Wort habe ich lange nicht mehr gehört. Ich horche auf. Zu dritt düsen wir | |
| in Ursulas BMW von Berlin nach Frankfurt. Ursula ist Suses Kollegin in | |
| deren PR-Agentur, für die beiden Arbeitskolleginnen ist es eine | |
| Dienstfahrt, ich fahre aus privaten Gründen mit. | |
| Suse hatte kurz zuvor in ihrem Frauenblog geschrieben. „Nicht auszuhalten“ | |
| sei das Geschwätz, dass prominente Frauen in den Medien heute immer wieder | |
| behaupteten, sich erst mit fünfzig „so richtig sinnlich“ zu fühlen. Und | |
| dann lächelten sie botoxgespritzt und weichgezeichnet in die Kamera, um nur | |
| ja auszusehen wie 35. Es sei eine enorme Erleichterung, wenn eine | |
| 65-Jährige wie die Schauspielerin Christine Kaufmann erklärte, sie wolle | |
| nach ihrer vierten Scheidung keinen Mann mehr und gehe lieber zur Massage. | |
| ## Sex als Marker für Intimität | |
| Vor Kurzem hatten Suse und ich beim Rotwein über das Thema gesprochen. | |
| „Sex? Also mal ganz ehrlich, mehr als einmal alle zwei Monate schaffe ich | |
| nicht mehr mit Jürgen“, hatte Suse gesagt. Irgendwann habe sie angefangen, | |
| nachts kuschelige Bettsocken anzuziehen. Das signalisiere dem Körper erst | |
| recht, dass es völlig unnötig sei, mit einem anderen Organismus | |
| Flüssigkeiten auszutauschen. Suse und Jürgen gehören zu den Paaren, von | |
| denen der Hamburger Sexualforscher Gunter Schmidt meint, dass der | |
| Geschlechtsverkehr für sie vor allem ein „Marker“ sei, um die Beziehung als | |
| intim zu klassifizieren. | |
| Meine Bekannte F. hat nicht mal mehr Lust auf irgendeine Klassifikation. | |
| Sie und ihr Mann hätten kein Interesse mehr an „Arbeitssex“, nur um sich zu | |
| beweisen, dass sie noch ein Paar seien, stellte sie neulich klar. Bei so | |
| was kriege ich ein mulmiges Gefühl. Was, wenn Sex doch wichtig ist, | |
| superwichtig? | |
| „Sex ist und bleibt die beste Art, einem Menschen nahezukommen“, behauptet | |
| Ursula und reißt mich aus meinen Gedanken. Wir drei im BMW haben Berlin | |
| schon lange verlassen und rauschen Richtung Leipzig. | |
| Ich weiß wenig von Ursula, schätze sie als so alt wie wir, auf gut über | |
| fünfzig. Suses Kollegin ist aufgebrezelter als wir, Kostüm, Stöckelschuhe, | |
| volles Make-up. Sie erinnert mich an meine Jugendfreundin Gabriele, die vor | |
| Kurzem Großmutter geworden ist und die ich neulich besuchte. In Gabrieles | |
| Wohnung fiel mir sofort das breite Bett ins Auge, mit apricotfarbener | |
| Seidenbettwäsche bezogen, die Bettdecke aufwändig bestickt. Irgendwie hatte | |
| ich ganz vergessen, dass man ein Bett auch so beziehen kann. | |
| Im Bad stieß ich auf ein Trockengitter, auf dem Spitzendessous drapiert | |
| waren, wie ich sie in den vergangenen Jahren bei keiner meiner Freundinnen | |
| mehr zu Hause gesehen hatte. Und dann diese Pumps am Eingang! Mein Gott, | |
| war ich wirklich schon so ein Trampel mit meiner Sammlung an Wanderschuhen? | |
| ## Glaube an den jüngeren Mann | |
| Gabriele hat Gregor, 15 Jahre jünger, auf einer Party kennen gelernt. Er | |
| hatte als Caterer das Buffet ausgerichtet. Gabriele glaubt an den jüngeren | |
| Mann. Wie Kommentatorin „Tigerkatze“ in Suses Blog. Die hatte gepostet: | |
| „Warum machen wir es nicht wie viele alte Männer und suchen uns was | |
| Frischeres? Ab vierzig macht man doch sowieso beim Sex das Licht aus.“ | |
| „Wenn du deine Wabbelschenkel vor deinem jungen Lover verstecken musst, | |
| tust du mir leid“, antwortete „Lady 0816“, „ich jedenfalls liege lieber… | |
| einem Mann im Bett, der genauso viel Fettpolster hat wie ich.“ „Sex im | |
| Alter ist wie bei einem Oldtimer, den du nur selten fährst. Du steckst den | |
| Schlüssel in die Zündung, erst tut sich nichts, aber dann stottert der | |
| Motor doch los, und die Karre rauscht ab“, hatte Suse noch mal gepostet. | |
| „Bei mir klappt das nur, wenn ich Öl nachkippe“, teilte „0816“ mit. | |
| Im Cabrio haben wir jetzt Dessau hinter uns gelassen. | |
| „Es kommt immer auf die Beziehung an. Paare um die fünfzig, die sich noch | |
| nicht lange kennen, schlafen leidenschaftlicher miteinander als Leute, die | |
| dreißig Jahre verheiratet sind“, sagt Ursula und wirft mir im Rückspiegel | |
| einen Blick aus ihren sorgfältig geschminkten Augen zu. | |
| Ihr Spruch erinnert mich an Hille. Sie hat kürzlich einen neuen Mann | |
| kennengelernt. Es sei toller als mit Burkhard, ihrem langjährigen | |
| Ehegatten. „Er ist wie eine fremde, aufregende Landschaft, ein Körper, den | |
| ich erst kennen lerne“, schwärmte Hille, „und er ist sehr bedürftig. Jede | |
| Nacht.“ Ich fühlte mich sofort unter Stress. | |
| ## Vom Hormondruck befreit | |
| „Auch ohne Sex kann man leben“, behauptet Suse. So wie unsere Freundin Lise | |
| zum Beispiel. Während Lises Mitgliedschaft bei einer Dating-Agentur | |
| antworteten viele Männer entweder gar nicht auf ihre Kontaktanfragen oder | |
| wollten erst ihr Foto sehen, um dann im Web abzutauchen. Besonders die | |
| Akademiker hielten sich für heiße Ware auf dem Partnerschaftsmarkt, glaubt | |
| Lise. Dass ihre Libido altersbedingt abnimmt, sei für sie angesichts dieser | |
| mageren Angebotslage weiß Gott keine Katastrophe. „Ich kann der Natur nur | |
| auf Knien danken, dass sie mich allmählich vom Hormondruck befreit.“ | |
| „Wenn Frauen in unserem Alter einen Partner suchen, geht es vielleicht gar | |
| nicht in erster Linie um Sex“, sagt Suse und verschränkt die Arme. „Sex | |
| kann man auch mit sich selber haben.“ In Ursulas Sportwagen kommen wir | |
| jetzt auf eine gefährliche Gefällestrecke. Ich wäre mit einer | |
| Arbeitskollegin im Auto nicht so weit gegangen, noch das Thema | |
| Selbstbefriedigung anzuschneiden. Obwohl eine Autorin mit dem Pseudonym | |
| „Good Vibrations“ in Suses Blog gepostet hatte: „Selbstbefriedigung ist S… | |
| mit jemandem, den ich liebe.“ | |
| ## Sind Hund und Katze die neuen Zwangsprostituierten? | |
| Ursula überholt auf der Gefällestrecke elegant einen Lastzug. „Die | |
| Paarbeziehung ist vielleicht ohnehin ein Modell von gestern“, fährt Suse | |
| fort, „es gibt auch andere Bezugssysteme.“ Meine Freundin Tine zum Beispiel | |
| unterhält eine Art Hunde-Ehe. Sie hängt sehr an ihrem Labrador Rasputin. | |
| „Raspi“ gebe ihr jede Menge Streicheleinheiten. Der Frankfurter | |
| Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch glaubt, es gebe immer mehr | |
| „Neoallianzen“ mit anderen Objekten als menschlichen Partnern. Ich würde | |
| auch iPhones und Kleingärten zu den neuen Liebesobjekten zählen. Und | |
| Haustiere natürlich. Sind Hund und Katze die neuen Zwangsprostituierten? | |
| Ich brauche eine Pause. Ursula nimmt auf meine Bitte die Ausfahrt zur | |
| Raststätte. | |
| Auf dem Klo der Raststätte klärt mich Suse auf: Ursula hat seit anderthalb | |
| Jahren einen neuen Lebensgefährten, einen Bewässerungsingenieur, der in Abu | |
| Dhabi arbeitet. Das Paar skype jeden zweiten Abend. Ursula sorge dabei für | |
| vorteilhafte Beleuchtung und sogar Gedichte. „Die beiden können sich doch | |
| nur alle zwei Monate treffen“, sagt Suse. Nur alle zwei Monate! War das | |
| nicht Suses Frequenz? | |
| Später im Auto reden wir über Wirtschaft. Ist entspannter. „Angebot und | |
| Nachfrage, das ist ein komplexes Zusammenspiel“, meint Ursula. „Da | |
| entstehen ganz neue Märkte, im Kommunikationsbereich zum Beispiel.“ Genau. | |
| Das gilt auch für die zwischenmenschlichen Beziehungen in einer alternden | |
| westlichen Welt. | |
| 24 Mar 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Dribbusch | |
| Barbara Dribbusch | |
| ## TAGS | |
| Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte | |
| Gebärmutter | |
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