# taz.de -- Film „The Music Never Stopped“: Jukebox gegen Amnesie | |
> Ein Fall des Neurologen Oliver Sacks wurde verfilmt. Heraus kam eine | |
> klassische Familiengeschichte mit einer simplen Struktur: „The Music | |
> Never Stopped“. | |
Bild: Der letzte Hippie spielt zum Tanz auf. | |
Die Unmittelbarkeit, mit der Musik die Seele erreicht, ist nicht nur | |
Gegenstand zahlreicher theoretischer Abhandlungen, sondern auch ein | |
beliebtes Motiv in der musikalischen Praxis: von Franz Schubert über John | |
Miles bis Madonna, immer wieder geben sich Lieder selbstreflexiv und | |
thematisieren die Kraft ihrer Melodien. | |
In den frühen Siebzigern sangen die Carpenters in „Yesterday Once More“ | |
darüber, wie jedes „Shalalala“ aus dem Radio eine Welle von Erinnerungen | |
auslöste. | |
Etwas später lernte der Neurologe und Autor Oliver Sacks einen Patienten | |
kennen, dessen Erinnerungsvermögen aufgrund eines Hirntumors schwer | |
geschädigt war; doch mithilfe von Musik aus seiner Jugend konnten Teile | |
seines Langzeitgedächtnisses reaktiviert werden. Sacks schrieb über diese | |
Arbeit die Fallstudie „The Last Hippie“, die auch als Vorlage für „The | |
Music Never Stopped“ diente. | |
## Klassisches Familiendrama | |
Im Regiedebüt von Jim Kohlberg ist die Therapie Basis für ein klassisches | |
Familiendrama: Vor 20 Jahren verließ der junge Gabriel im Streit das Haus | |
seiner Eltern und brach den Kontakt ab. Nun leidet er an den Folgen jenes | |
Hirntumors. Sein Kurzzeitgedächtnis funktioniert nicht mehr, die Eltern | |
versuchen vergeblich, Kontakt zu ihm aufzubauen. Nur die Musiktherapeutin | |
Dianne Daly findet mit alten Songs Zugang zu Gabriel; so kehren seine | |
Erinnerungen zurück. | |
Genau diese Rückblendenparade ist das Kernproblem von „The Music Never | |
Stopped“. Was als neurologischer Therapieansatz spannend erscheint, wird | |
hier zum simplen Vehikel für die Aufarbeitung einer dysfunktionalen | |
Vater-Sohn-Beziehung. | |
So solide wie altbacken wird Stück für Stück das Amerika der Sechziger in | |
sämtlichen Brauntönen zum Leben erweckt und werden familiäre Konflikte | |
aufgezeigt. Was für Proust die Madeleine im Jasmintee war, ist hier „All | |
You Need Is Love“ von den Beatles. | |
Einmal das Prinzip verdeutlicht, werden die Therapiesitzungen zu einer | |
Jukeboxbiografie, jeder Song wird zu einer Erinnerung. Doch durch das | |
konsequente Kategorisieren jeder Melodie raubt der Film der Musik ihre | |
subversive Emotionalität und reduziert sie auf eine sentimentale | |
Lebensepisode. | |
Man merkt, dass „The Music Never Stopped“ die Liebe zur Musik auf die | |
Leinwand bringen wollte, doch trotz wunderbarer Darsteller ist der Film | |
schon jetzt selbst wie ein Oldie: Er ist eingängig, folgt einer simplen | |
Struktur, und man hat das Gefühl, ihn schon ewig zu kennen. Ein | |
Shinglelingleling auf der Leinwand. | |
29 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Cornelius Hähnel | |
## TAGS | |
Wissenschaft | |
Schriftsteller | |
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