# taz.de -- Parlamentswahlen in Algerien: Islamisten hoffen auf den Sieg | |
> Drei Parteien haben für die Wahlen ein Bündnis geschmiedet. Andere rufen | |
> zum Boykott auf. Es geht auch um die künftige Verfassung des Landes. | |
Bild: Proteste für faire Wahlen am Februar in Oued Koriche. | |
MADRID taz | Algerien bereitet sich auf die ersten Wahlen ohne | |
Ausnahmezustand vor. Das neue Parlament, das am 10. Mai gewählt wird, soll | |
die Verfassung überarbeiten. So sieht es der zaghafte Reformplan vor, den | |
Präsident Abdelasis Bouteflika unter dem Eindruck des Arabischen Frühlings | |
erlassen hat. | |
20 Jahre nach dem Wahlsieg der Islamischen Heilsfront (FIS) und dem darauf | |
folgenden Militärputsch tritt erneut ein religiös-politisches Bündnis zum | |
Urnengang an. Drei der wichtigsten islamistischen Parteien haben sich | |
zusammengeschlossen. | |
Mit Blick auf das benachbarte Tunesien und Marokko sowie auf Ägypten hoffen | |
sie auf den Wahlsieg. Die derzeitige Regierung rund um die ehemaligen | |
Einheitspartei FLN macht sich Sorgen um die Wahlbeteiligung. Denn aus der | |
Opposition werden Rufe nach Wahlboykott laut. | |
„Falls die Wahlen sauber sind, gewinnen wir sie“, ist sich der Vorsitzende | |
der Gesellschaftlichen Bewegung für den Frieden (MSP), Bouguera Soltani, | |
sicher. Seine Partei hat sich mit der Ennahda und El Islah zur „Allianz des | |
grünen Algerien“ zusammengeschlossen. | |
## Wahlbetrug befürchtet | |
Der Name nimmt Bezug auf die Farbe des Islam und der algerischen Flagge. | |
„Die islamistische Wählerschaft, die seit 1992 schläft“, werde seinem | |
Bündnis den Sieg bescheren, ist sich Soltani sicher. Die Anhänger der | |
Islamisten werden auf 35 bis 40 Prozent geschätzt. | |
Anders als 1992, als die Armee nach einem Sieg der FIS die Wahlen abbrach | |
und das Land in einem Bürgerkrieg versank, der 200.000 Menschen das Leben | |
kostete, würde ein Sieg der Allianz nicht mehr als Gefahr gesehen, fügt er | |
hinzu. Die internationale Gemeinschaft erkenne die Islamisten nach deren | |
Siegen in anderen Ländern als „nicht in Frage zu stellende Realität“ an. | |
Die Allianz versucht sich als alleiniger Vertreter für religiöse Politik zu | |
etablieren. | |
Doch vier weitere kleinere islamistische Gruppen treten gesondert an. Und | |
die historischen Führer der verbotenen FIS werden ihre Anhänger nicht für | |
Soltani mobilisieren. Abassi Madani, im Exil in Katar, und sein Weggefährte | |
Ali Belhadsch in Algier veröffentlichten einen gemeinsamen Aufruf zum | |
Wahlboykott. „Einen radikalen Wandel des Regimes gibt es nur mit einer | |
breiten Stimmenthaltung bei den Parlamentswahlen“, heißt es da. Die | |
Regierung sei „nicht legitim“, erneuter Wahlbetrug sei zu befürchten. | |
## Weltliche Opposition glaubt nicht an faire Wahlen | |
Dies ist ein Hinweis auf die Rolle der MSP in den vergangenen Jahren. | |
Soltanis Partei saß bisher mit der FLN und deren Abspaltung RND im „Bündnis | |
des Präsidenten“, das seit 2007 die Regierung stellt. Der Versuch der | |
Islamisten, stärkste Fraktion zu werden, dürfte daher mit dem Wohlwollen | |
von Staatschef Bouteflika rechnen. | |
Auch aus der weltlichen Opposition kommt ein Boykottaufruf. Die bei der | |
Berberminderheit verankerte Versammlung für Kultur und Demokratie (RCD) | |
bleibt den Wahlen fern. Sie glaubt nicht an das Versprechen des | |
Präsidenten, dass dieses Mal die Wahlen sauber ablaufen werden. Die | |
Zulassung von über 500 Wahlbeobachtern überzeugen die RCD ebenfalls nicht. | |
Angesichts der Boykottaufrufe und der Wahlmüdigkeit macht sich daher auch | |
die Sorge breit, die Islamisten könnten nicht nur stärkste Fraktion werden, | |
sondern gar die Mehrheit gewinnen und damit der Verfassung ihren Stempel | |
aufdrücken. „Der Islamismus ist Islamismus. Es gibt keinen moderaten | |
Islamismus“, warnt der Vorsitzende einer der Opferverbände des blutigen | |
Jahrzehnts und fordert die Bevölkerung zur massiven Wahlbeteiligung auf. | |
30 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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