# taz.de -- Streit um Sparpolitik: "Wir nehmen kein Geld weg" | |
> Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) findet Einsparungen bei Jugendtreffs | |
> vertretbar, weil es mehr Ganztagsangebote gibt. Weitere Kürzungen | |
> schließt er nicht aus. | |
Bild: Offene Angebote für Kinder im Stadtteil soll es weiter geben, sagt Sozia… | |
Warum kürzen Sie zehn Prozent bei der offenen Kinder- und Jugendarbeit? | |
Detlef Scheele: Wir geben insgesamt deutlich mehr Geld für die Kinder und | |
Jugendhilfe aus als in den Jahren zuvor, denn wir bauen die | |
Ganztagsangebote bei Kitas und Schulen kräftig aus und verbessern so die | |
Angebotsstruktur in der Stadt. Dies bedeutet aber, dass wir innerhalb des | |
Jugendhilfebudgets umsteuern müssen. Künftig erhalten die Bezirke 30,1 | |
Millionen Euro statt 33,6 Millionen Euro als Rahmenzuweisung für die offene | |
Kinder- und Jugendarbeit und die Angebote der Familienförderung. | |
Die Bezirke lehnen das ab. Es hagelt Proteste. Gibt es keinen anderen | |
Spielraum? | |
Nein. Weil wir mit der Einhaltung der Schuldenbremse eine Finanzpolitik der | |
Generationengerechtigkeit verfolgen. Hamburg zahlt derzeit rund 900 | |
Millionen Euro jährlich für Zinsen. Dieses Geld können wir sinnvoller | |
nutzen. | |
Ihr Behörden-Etat beträgt rund 2,4 Milliarden Euro. Sind da die 3,5 | |
Millionen nicht Peanuts? | |
Nein. Auch das ist viel Geld. | |
Aber es gibt im Etat-Entwurf bei den Hilfen zur Erziehung (HzE) und den | |
Kitas hohe Steigerungen von 14 und 39 Millionen Euro. Da passen die 3,5 | |
Millionen gleich mehrfach rein. | |
Auf die Hilfen zur Erziehung haben Familien einen Rechtsanspruch. Da können | |
wir nur durch Steuerung etwas erreichen. Darüber hinaus hat der Krippen- | |
und Kita-Ausbau politische Priorität, weil er für Chancengleichheit sorgt. | |
Hier können wir Kinder aus schwierigen Verhältnissen am besten früh | |
fördern. | |
Sie haben Spielraum. Sie machen das Essen in den Kitas und in Zukunft auch | |
die fünfstündige Betreuung kostenlos. Reiche Eltern brauchen das nicht. | |
Die Linie des Senats ist: „Was versprochen ist, wird gehalten.“ Die Senkung | |
der Kitagebühren und die Abschaffung des Essengeldes kommt allen zugute und | |
macht den Besuch einer Kita attraktiv. Mir ist wichtig, dass der | |
Gesamt-Etat für Kinder und Jugendliche wächst. Wir nehmen hier per Saldo | |
kein Geld weg, im Gegenteil: Von 2011 auf 2013 steigt der | |
Jugendhilfehaushalt sogar um rund 14 Prozent. Zum Vergleich: Der gesamte | |
Hamburger Haushalt wird nur um knapp ein Prozent pro Jahr steigen. | |
Und doch bekommen Jugendclubs, Bauspielplätze und Familienzentren weniger | |
Geld. Zehn Prozent bedeutet bei 281 Häusern rechnerisch, dass 28 schließen. | |
Ein neues Papier aus Ihrem Haus hält nun sogar für ältere Kinder zwei bis | |
fünf Häuser pro Bezirk für ausreichend. Sieht aus, als wollten Sie noch | |
viel mehr kürzen. | |
Das ist Unsinn, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, auch wenn es | |
von manchen jetzt so dargestellt wird. Das Papier beschäftigt sich mit den | |
Veränderungen infolge des Ausbaus der Ganztagsbetreuung. Es zeigt | |
Möglichkeiten auf, wie die Einrichtungen der Jugendarbeit mit Schulen | |
zusammenarbeiten können. Wer will, kann das im Internet nachlesen. | |
Und was passiert, wenn die HzE-Kosten weiter steigen als geplant? Wird das | |
dann von den verbliebenen 30 Millionen Euro der offenen Kinder- und | |
Jugendarbeit weggenommen? | |
Da sprechen Sie ein großes Problem an: Wir müssen die ungeheure Dynamik bei | |
dem Anstieg der gesetzlich garantierten Hilfen zur Erziehung stoppen. Sonst | |
bleibt in Zukunft kein Geld mehr für die freiwilligen Leistungen übrig. Und | |
das betrifft nicht nur die offene Kinder- und Jugendarbeit. | |
Sie sagen nun, die bedrohten Häuser könnten Geld aus dem neuen | |
Zwölf-Millionen-Topf für sozialräumliche Angebote beantragen. Was müssen | |
die dafür tun? | |
Sie müssen ihre Arbeit so ausrichten, dass sie auf Mittel aus dem Programm | |
„Sozialräumliche Angebote“ zugreifen können. Wichtig ist für uns, dass | |
kostspielige Einzelfallhilfen vermieden werden. Nehmen wir ein Kinder- und | |
Familienzentrum, das ein offenes Frühstück für Mütter anbietet. Wenn das | |
jetzt mit dem Jugendamt eine Vereinbarung schließt und sich verpflichtet, | |
für einzelne Familien in einer verbindlichen Zusammenarbeit mit dem | |
Allgemeinen Sozialen Dienst Unterstützung anzubieten, kann es Geld aus | |
diesem Topf erhalten. | |
Aber Sie kürzen jetzt auch bei den Familienzentren. Wer soll denn das | |
Frühstück anbieten, wenn die Stammkräfte wegfallen? | |
Die Familienhilfezentren machen einen guten Job. Ich gehe davon aus, dass | |
dieses auch in den Bezirken so gesehen wird. | |
Ihre Genossen in Eimsbüttel sagen, Sie sollen lieber weniger für diese | |
neuen Hilfen ausgeben und dafür die bewährten Einrichtungen verschonen. | |
So einfach geht es leider nicht. Zum einen, weil wir die neuen | |
Hilfsangebote ja brauchen. Zum anderen sind die HzE-Mittel gesetzliche | |
Leistungen, an deren Vergabe Bedingungen geknüpft sind. | |
Sie haben eine soziale Stadtkarte angekündigt, die einen Überblick über | |
alle sozialen Einrichtungen geben soll. Wird Ihre Karte ein Kürzungsatlas? | |
Das ist Unfug. Man braucht aber eine solide Bestandsaufnahme. | |
Sie waren kürzlich als „Senator vor Ort“ in Steilshoop. Es gab Aufregung, | |
weil Sie vortrugen, die Zahl der Kinder und der Arbeitslosen sei gesunken, | |
da könne es nicht sein, dass man dort alles so lässt, wie es ist. | |
Ich habe Daten des Statistik-Amtes Nord vorgetragen. Die | |
Jugendarbeitslosigkeit ist dort gesunken. | |
In dieser Statistik steht aber auch, dass fast jedes zweite Kind und jeder | |
fünfte Erwachsene in Steilshoop von Hartz IV lebt. Warum haben Sie das | |
nicht erwähnt? | |
Ich wollte nur deutlich machen, dass nicht alles immer schlimmer wird. Die | |
Zahl der Arbeitslosen ist in ganz Hamburg zurückgegangen. Das ist ein | |
Erfolg, auch einer für die Träger von Maßnahmen. Dennoch ist Steilshoop | |
nach wie vor ein Stadtteil, in dem überproportional viele Menschen von | |
staatlicher Unterstützung leben und der besondere Aufmerksamkeit verdient. | |
In anderen Vierteln haben sich die Daten in der Tat verbessert. Aber kann | |
man deshalb Jugendclubs schließen und die Kids ins Einkaufszentrum | |
schicken? | |
Nein. Aber man muss gucken, wie sich die Stadt in positiver oder negativer | |
Weise entwickelt und entsprechend darauf reagieren. | |
Die Zahl der Kinder ist in Hamburg konstant, auch die der armen Kinder. Da | |
ist nichts überflüssig. | |
Das ist ein unzureichender Blick. Wenn wir flächendeckend die ganztägige | |
Betreuung in Krippen, Kitas und Schulen ausbauen, dann wird sich die | |
soziale Landschaft der Stadt verändern. Kinder werden sich dort viel | |
aufhalten. Für die Träger wird es dadurch Veränderungsbedarf geben. | |
Es gibt Kinder, die es einfach nicht aushalten, den ganzen Tag in der | |
Schule zu sein. Die brauchen andere Orte als nur Schule, wo es Zensuren und | |
Leistungsdruck gibt. | |
Die ganztätige Betreuung an Schulen steht nicht unter dem Zeichen von | |
Leistungsdruck und Zensuren, im Gegenteil. Und die offene Kinder- und | |
Jugendarbeit ist eingeladen zu runden Tischen in den Schulen, damit | |
Vielfalt erhalten bleibt. Frankreich macht uns vor, dass Ganztagsschulen | |
funktionieren. | |
Nun leben wir in Deutschland und haben ein Jugendhilfegesetz, wonach Kinder | |
ein Recht auf diese offenen Angebote haben. Und die haben bewusst einen | |
anderen Auftrag als Schule. Zum Beispiel der Bauspielplatz, wo Kinder sich | |
nachmittags austoben und andere Bezugspersonen finden. | |
Diese Angebote sind auch wichtig, es wird sie weiterhin geben. | |
30 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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