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# taz.de -- Abholzungen in Indien: Rodungen bedrohen Bergwelt
> Der Wirtschaftsboom frisst eines der wichtigsten Ökosysteme der Erde.
> Eine lokale Organisation will Artenvielfalt und sauberes Grundwasser im
> Alleingang erhalten.
Bild: Wald in den Western Ghats in Indien.
PUNE taz | Lastwagentrosse schieben sich über die Hänge der Northwestern
Ghats, etwa 100 Kilometer östlich von Mumbai gelegen. Sie füttern den
indischen Wirtschaftsboom mit Holz aus der Gebirgskette, die sich entlang
der indischen Westküste erstreckt und eines der vielfältigsten Ökosysteme
der Erde beherbergt.
Wissenschaftler haben errechnet, dass unkontrollierten Abholzungen in der
Region jährlich 3.000 Hektar Regenwald zum Opfer fallen. Die ländliche
Bevölkerung spürt das deutlich, denn die Wälder sind Wasserspeicher für
Haushalte und Ackerbau. Aus akuter Geldnot verkaufen viele Gemeinden ihr
Land trotzdem, Verknappung und Verschmutzung des Grundwassers sind die
Folge.
Der Brunnen von Vashi ist wieder voll. Dafür haben die Einwohner 1998 ein
Versprechen abgeben müssen: Sie durften die 20 Hektar Wald, die ihrer
Gemeinde gehören, für fünf Jahre nicht an Rodungsunternehmen verkaufen. Im
Gegenzug finanzierte eine einheimische Organisation Schulbücher und den
Anstrich des Dorftempels.
„Das ist im Sinne der Bauern“, sagt Jayant Sarnaik, Mitbegründer der
Applied Environmental Research Foundation (AERF). „Die Leute wollen ihr
Land nicht verscherbeln, man muss ihnen nur eine wirtschaftliche
Alternative geben.“
Später erhielten die Bauern Nachhilfe in heimischer Baumkunde. Gleichzeitig
halfen die Umweltschützer der Gemeinde, Vashi für Ökotouristen attraktiv zu
machen. Heute geht es dem Dorf finanziell gut, das Grundwasser ist
reichlich und sauber.
Die Zentrale der AERF liegt am Rand der Industriestadt Pune, eingekeilt
zwischen Wellblechhütten und einem Gewerbegebiet. Ein paar Privatleute
gründeten die Organisation 1996, heute tragen 16 Mitarbeiter ihr
Entwicklungskonzept in die Region: Mit schnellen Hilfen wird Zeit gewonnen,
um verarmten Gemeinden eine nachhaltige Ressourcenverwendung beizubringen.
So konnte die AERF nach eigenen Angaben schon 1.000 Hektar Wald retten.
## Schwache Umweltagenda
Obwohl diese Herangehensweise in Indien einzigartig ist, findet sie keine
politische Anerkennung. „Die Umweltagenda der Regierung ist schwach. Sie
stellt den Ausbau von Infrastrukturen über den Erhalt der Northwestern
Ghats“, sagt Shailly Kedia vom Energy and Resources Institute in Delhi.
Dass Umweltschutz und ökonomisches Wachstum langfristig untrennbar seien,
sei noch nicht angekommen.
„Obwohl die Bäume wichtig für das globale Klima sind, ist die Region
außerdem nicht im Fokus der internationalen Gemeinschaft“, erklärt die
Wissenschaftlerin. Hinzu kommt, dass private Organisationen meist
Korruption und Repressalien ausgesetzt sind.
Sarnaik verbringt trotzdem viel Zeit in den Vorzimmern internationaler
Geldgeber. Das magere Budget seiner Organisation speist sich zu 65 Prozent
aus dem Ausland. Wie ein Bittsteller fühlt er sich aber nicht: „Die
Verantwortung für Klima und Artenschutz endet nicht an nationalen Grenzen.“
Kritik übt er an der deutschen Entwicklungshilfe: „Im Vergleich zu anderen
Ländern arbeiten deutsche Institutionen nicht effizient. Es fehlen klare
Zielsetzungen und transparente Auswahlverfahren für Fördergelder.“ Zuletzt
habe er der Heinrich Böll Stiftung das Konzept seiner Organisation
vorgestellt, eine Antwort sei ausgeblieben. „Ohne Beziehungen ist es sehr
schwierig, Ansprechpartner zu finden.“
Dabei rät er den deutschen Gebern zum Austausch mit erfahrenen
Organisationen vor Ort: „Bei der Verteilung von Finanzmitteln konzentrieren
sich Institute wie die Böll Stiftung viel zu stark auf politische
Kampagnen.“ Das sei in Indien aber zwecklos, stattdessen brauche es mehr
konkrete Projekte, an denen sich die Menschen orientieren könnten.
„Mit unserem Ansatz haben wir eine breite Basis erreicht und bauen diese
weiter aus“, teilt das Institut dazu mit. „Es hat zwar eine Kontaktaufnahme
von Herrn Sarnaik gegeben, allerdings liegt uns kein spezifischer
Förderantrag vor, auf den wir hätten reagieren können.“
Auf der Schnellstraße, die Pune mit dem Regenwald verbindet, lotsen Bauern
einen Laster durch die Zollstelle. Auf dem Hänger prangt der riesige Rumpf
eines Windrades. Sarnaik freut sich: „Die Leute hier beginnen zu verstehen,
dass dauerhafter Wohlstand nur im Einklang mit der Natur möglich ist.“
1 Apr 2012
## AUTOREN
Felix Kartte
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