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# taz.de -- Polizei filmt Demos: Vorsicht, Kamera!
> Die Bereitschaftspolizeien der Länder filmen mit mobilen Kamerawagen
> präventiv Demonstrationen, obwohl das rechtlich nicht erlaubt ist. Die
> Politik sieht bislang keinen Handlungsbedarf.
Bild: Filmt präventiv die Demonstranten: ein Kamerawagen der Polizei, hier bei…
HAMBURG taz | Die Hamburger Polizei filmt rechtswidrig Demonstrationen. Das
hat eine kleine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der GAL-Fraktion,
Antje Möller, an den Hamburger Senat ergeben. „Die Videoüberwachung
friedlicher Demonstrationen ist polizeiliche Praxis geworden“, kritisiert
Möller. „Anlasslos und systematisch – die Praxis muss ein Ende haben.“
Wer in Hamburg von seinem Recht auf Demonstration öfter Gebrauch macht,
kennt sie schon: Die roten oder blauen Kleinbusse mit dem kleinen schwenk-
und zoombaren Kamera-Arm auf dem Dach, der die Versammlung unscheinbar aber
live auf Monitore übertragen, aber auch zwecks Auswertung speichern kann.
Über vier dieser so genannten „Beweissicherungsfahrzeuge“ verfügt die
Hamburger Bereitschaftspolizei. Auch bei anderen Länderpolizeien kommen die
Fahrzeuge in großen Städten oder zuletzt am Wochenende in Lübeck und Plön
zum Einsatz.
Seit April 2010 werden die Gefährte systematisch eingesetzt. Seither wurden
die Observationsfahrzeuge laut Hamburger Senat bei 39 Demonstrationen
eingesetzt. „Darunter waren 30 Anlässe, bei denen aufgrund fehlender
Gefahrenlage auf eine Speicherung des Videomaterials verzichtet wurde“, so
die Senatsantwort – zuletzt bei dem „Stopp ACTA“-Protest und der
norddeutschen Anti-Nazi-Demonstration.
Auch wenn die Aufzeichnungen nicht gespeichert worden sind, war der Einsatz
des Kamerawagens dennoch rechtwidrig. So sieht es zumindest das
Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen in Münster. In einem
ähnlich gelagerten Fall hatten die Richter entschieden, dass das Übertragen
der Bilder auf einen Monitor das „Versammlungsgrundrecht und das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung verletzt“.
Selbst wenn die Bilder nicht gespeichert würden, werde die „grundrechtlich
relevante Eingriffsschwelle überschritten und die innere
Versammlungsfreiheit der Teilnehmer beeinträchtigt“, so die Richter. Bürger
hätten aus Sorge vor staatlicher Überwachung von der Teilnahme an der
Versammlung „abgeschreckt“ werden können, erklärt das OVG Münster.
Den Einwand der Polizei, das Aufzeichnungssystem habe sich lediglich in
einem „jederzeit arbeitsfähigen Zustand“ befinden müssen, falls es zu
Straftaten kommen sollte, ließen die Richter nicht gelten. Ein
„polizeiliches Vorsorgekonzept“ hätte dadurch gewährleistet werden könne…
in dem eine im Stand-by-Modus geschaltete Kamera erkennbar von der
Versammlung abgewendet vorgehalten worden wäre. Die Polizei sei dann in der
Lage gewesen, „innerhalb weniger Sekunden eine Gefahrenlage im Bild
einzufangen, ohne dafür anlasslos durchgehend Bilder der Versammlung auf
einen Monitor zu übertragen“. In einem anderen Fall hatte das
Verwaltungsgericht Berlin ebenso entschieden.
„Die Polizei darf nicht grundlos mit dem Kamerawagen vor einer
Demonstration her fahren“, sagt der Hamburger Verwaltungsrechtler Carsten
Gericke. Beim Filmen unterscheide das Verfassungsgericht nicht in der
Frage, ob die Bilder nur auf einen Monitor übertragen oder gespeichert
werden. „Das kann ein Demonstrationsteilnehmer, der sich abgeschreckt
fühlt, gar nicht erkennen“, sagt Gericke.
So sieht es auch Michael Ebeling vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung
Hannover, der gerade eine Verfassungsklage gegen das neue niedersächsische
Versammlungsgesetz eingereicht hat. Denn auch im neuen Gesetz spielt die
Videoüberwachung eine Rolle. „Ich kenne Leute, die wirklich nicht zu einer
Demo gegangen sind, weil sie Angst vor dem Filmen hatten“, sagt Ebeling.
Für die Hamburger Verwaltungsrechtlerin und Richterin am Hamburgischen
Verfasungsgericht Cornelia Ganten-Lange ist die Rechtslage eindeutig. In
zwei Entscheidungen habe das Bundesverfassungsgericht festgehalten, dass
das Filmen „ohne Ermächtigungsgrundlage“ – also zwecks Beweissicherung b…
Straftaten – ein Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht
sei. „Es gibt eine relativ klare Rechtssprechung“, sagt Ganten-Lange,
„Verstößt die Polizei dagegen, muss die Maßnahme in jedem Einzelfall
gerichtlich angegriffen werden.“
Auf die Frage, der GAL-Politikerin Antje Möller, ob dem Hamburger Senat die
Rechtslage bekannt sei, antwortete dieser nur lapidar: „Die rechtlichen
Vorgaben des Versammlungsgesetzes werden beachtet.“
2 Apr 2012
## AUTOREN
Kai von Appen
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
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Kommentar Videoüberwachung: Rechtsfreie Räume
Den Verantwortlichen bei den Länderpolizeien ist bewusst, dass sie gegen
geltendes Recht verstoßen, wenn sie die mobilen Videokameras prophylaktisch
bei Demos laufen lassen.
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