# taz.de -- Theorie zur Wirtschaftskrise: Die Abwärtsspirale | |
> Der Starökonom Richard Koo fordert, Staatsausgaben zu erhöhen. Sparen | |
> hingegen verschärft die Wirtschaftskrise. Das verdeutlicht er am Beispiel | |
> Japan. | |
Bild: Wenn alle sparen, wird das für die Volkswirtschaft schmerzhaft. Die Folg… | |
BERLIN taz | Bei früheren Wirtschaftsabschwüngen stellten sich die Menschen | |
auf eine Durststrecke von drei oder vier Quartalen ein. Einige Firmen | |
gingen pleite, die meisten mussten ihre Belegschaft verkleinern. Aber man | |
konnte sich darauf verlassen, dass es wieder aufwärts gehen würde. Das ist | |
seit der Lehman-Pleite anders. | |
Die Immobilienkrise schwappte auf die Banken über. Sie erfasste die | |
Realwirtschaft, was nun in Form von hohen Schulden die Staaten ruiniert. | |
Das könnte bald wieder die Banken und dann erneut die Realwirtschaft | |
treffen. Mittlerweile zieht sich die miese Stimmung ins vierte Jahr. | |
Mit ihren Erklärungsansätzen scheinen die hiesigen Ökonomen die momentane | |
Entwicklung nicht beschreiben zu können. Außer „Krise“ gibt es nicht einm… | |
eine Bezeichnung. Dabei gibt es Erklärungen. Der taiwanische Ökonom Richard | |
Koo, Chefvolkswirt des renommierten Nomura Research Instituts in Tokio, hat | |
bereits 2003 eine Theorie entwickelt, die die derzeitige Krise exakt zu | |
beschreiben weiß. | |
## Antwort „Bilanzrezession“ | |
Koo hatte sich Japans stagnierende Wirtschaft nach der geplatzten | |
Immobilien- und Aktienblase Ende der 80er Jahre angeschaut und gefragt: | |
Warum ist es für ein Land so schwierig, nach dem Platzen einer gigantischen | |
Vermögensblase die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen? Seine Antwort | |
heißt „Bilanzrezession“ („balance sheet recession“). | |
Ausgangspunkt seiner Überlegung: Die Finanzkrise hat große Teile des | |
Bankensystems an den Rand des Ruins gebracht. Viele Unternehmen und | |
Privatleute sind hoch verschuldet. Also sparen sie. Denn um zu überleben, | |
bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als ihre Bilanzen in Ordnung zu | |
bringen. Wenn aber alle gleichzeitig sparen und keine Kredite für neue | |
Investitionen aufnehmen, dann wird das für eine Volkswirtschaft | |
schmerzhaft. Es kommt zu einer brutalen Abwärtsspirale – der | |
Bilanzrezession. | |
Damit die Wirtschaft nicht kollabiert, bleibt Koo zufolge nur ein Mittel: | |
Der Staat muss einspringen. Und zwar exakt in der Höhe, wie das Geld im | |
Bankensystem verharrt. | |
## Gigantischer Wertverfall | |
Tatsächlich lohnt sich ein genauer Blick auf den Krisenverlauf Japans in | |
den letzten 20 Jahre. Nach dem Platzen der japanischen Vermögensblase | |
fielen die Immobilienpreise um 87 Prozent. Ein gigantischer Wertverfall. | |
Dennoch gelang es Regierung und Zentralbank zunächst, den Wohlstand zu | |
erhalten. Zu keinem Zeitpunkt fiel das Bruttoinlandsprodukt unter den | |
Stand, den es hatte, bevor die Blase geplatzt war. Auch die | |
Arbeitslosigkeit lag nie höher als 5,5 Prozent. Dabei hatten Japans | |
Unternehmen enorme Schulden: Sie beliefen sich auf 10 Prozent der gesamten | |
Wirtschaftsleistung. | |
Warum es kam es dennoch zu keinem Absturz? Weil der Staat genau in dem Maße | |
zusätzlich Geld ausgab, wie Investitionen im Privatsektor wegfielen. | |
Andersfalls wäre die Wirtschaft jährlich um 10 Prozent geschrumpft, binnen | |
weniger Jahre hätte sie sich halbiert. | |
Doch 1997 intervenierte der Internationale Währungsfonds (IWF). Deren | |
Vertreter sahen nur, dass Japans Regierung immer weiter Brücken baute. Aus | |
ihrer Sicht unnütze Projekte, die die Staatsverschuldung in die Höhe | |
trieben. Der IWF drängte Japan zum Sparen. Koo hatte dem damaligen | |
japanischen Ministerpräsidenten Hashimoto geraten, zu diesem Zeitpunkt auf | |
keinen Fall auf die Schuldenbremse zu treten. Aus seiner Sicht hatte sich | |
der Privatsektor nicht ausreichend erholt. | |
Doch die IWF-Meinung setzte sich durch: Hashimoto erhöhte die Steuern und | |
fuhr die Staatsausgaben massiv zurück. Die Folgen: Die Wirtschaft | |
schrumpfte. Die Staatsverschuldung sank nicht, sondern schoss um 68 Prozent | |
in die Höhe. „Hätte Hashimoto damals widerstanden, wäre Japan längst raus | |
aus der Krise“, sagt Koo. | |
## Parallelen zur Eurozone | |
Und er sieht deutliche Parallelen zur Eurozone heute. Auch hier versuchen | |
die Staaten, in der Krise ihre Haushalte zu sanieren. Damit verschlimmern | |
sie aber die Situation, so Koo. | |
Heute ist Japans Privatsektor weitgehend entschuldet, die Bilanzen stimmen | |
wieder. Hätte die Atomkatastrophe von Fukushima vor einem Jahr das Land | |
nicht so sehr in Mitleidenschaft gezogen, wäre der Inselstaat wieder auf | |
Wachstumskurs. Wenn auch nur moderat. Denn Koo sieht ein Folgeproblem: | |
Trotz gesunder Bilanzen halten sich die Unternehmen bei der Aufnahme von | |
Krediten weiterhin zurück. | |
Koos Erklärung: Wer einmal sein Vermögen aufs Spiel gesetzt hat, wird das | |
zu Lebzeiten nicht noch einmal tun. Den Leuten ist die Lust an Krediten | |
verloren gegangen, sagt Koo. Ähnlich sei es nach der großen Depression 1929 | |
in den USA gewesen. Amerikaner galten bis in die späten 60er Jahre als | |
Sparweltmeister. Die Schuldensause startete erst die nächste Generation. | |
Der japanische Privatsektor weist auch heute noch zu hohe Ersparnisse auf. | |
Die Zinsen sind niedrig, aber die Leute haben kein Interesse an neuen | |
Schulden. Sie legen ihr Geld lieber dem Staat in die Hände. Über eine | |
Vermögensabgabe könnte sich Japan umgehend seiner horrenden | |
Staatsverschuldung entledigen. Fürs Wirtschaftswachstum wäre das aber | |
verheerend. | |
In Deutschland hat sich Koos Theorie bislang kaum herumgesprochen. Das ist | |
im angloamerikanischen Raum anders. Dort gilt er unter Ökonomen als Star, | |
seine Rezepte finden Anwendung – ein Vorteil der USA gegenüber der | |
Eurozone. | |
3 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Felix Lee | |
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