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# taz.de -- Kommentar Selbstmord in Griechenland: Ein Hauch von Zynismus
> Manche Politiker leugnen einen Zusammenhang zwischen dem Suizid eines
> griechischen Rentners und der Wirtschaftkrise. Das könnte Gewaltpotenzial
> freisetzen.
Bild: Protest von Angehörigen eines Suizidopfers vor der Steuerbehörde in Bol…
Um es gleich vorwegzunehmen: Ein Vergleich mit dem politischen Aufstand in
den arabischen Ländern, der 2010 durch den demonstrativen Selbstmord eines
jungen Mannes in Tunesien ausgelöst wurde, erscheint nicht ganz angemessen.
Dies allein schon deswegen, weil der Selbstmord des 77jährigen Mannes am
Mittwoch vor dem griechischen Parlament kein Einzelfall war.
Psychiater und Kriminalexperten weisen darauf hin, dass seit sich seit dem
Ausbruch der Schuldenkrise in Griechenland über 1.500 Menschen das Leben
genommen haben. Damit verzeichnet das Land in den vergangenen drei Jahren
bei Selbstmorden einen Rekordanstieg in Europa.
Gleichwohl dürfte der Freitod des pensionierten Apothekers ein mittleres
politisches Erdbeben auslösen. Denn er hat wieder einmal den Zynismus des
politischen Systems in Griechenland zutage gefördert.
Nur wenige Stunden nach dem tragischen Selbstmord erklärte der ehemalige
Sprecher der mitregierenden sozialistischen Partei PASOK, Panos Beglitis,
in einem TV-Interview, man dürfe nicht willkürlich einen Zusammenhang
zwischen dem Vorfall und der wirtschaftlichen Situation im Land herstellen.
Schließlich wisse man ja nicht, ob der 77jährige für seine Schulden
vielleicht doch selbst verantwortlich sei.
Da glaubten viele Griechen, sich wohl verhört zu haben: Ausgerechnet der
wohlhabende Beglitis, der aus dem Nichts kam und seiner engen Freundschaft
mit Ex-Ministerpräsident Papandreou einen kometenhaften politischen
Aufstieg zu verdanken hat, mutiert zum Richter über einen 77- jährigen, der
vor den Trümmern seiner Existenz stand und seinen Tod als einzigen Ausweg
sah.
Das ist der Stoff, aus dem neues Konflikt- und Gewaltpotential entstehen
könnte. Die spontanen Protestaktionen junger Menschen vor dem Parlament am
Mittwochabend, die leider schon wieder von gewaltsamen Auseinandersetzungen
überschattet wurden, werden wohl in den nächsten Tagen fortgesetzt.
Vertreter aller griechischen Parteien vertreten unterdessen die Ansicht,
man dürfe aus einem Selbstmord kein politisches Kapital schlagen.
Manche von ihnen tun dies hingegen doch: Indem sie etwa erklären, der
Selbstmord des pensionierten Apothekers führe die Ausweglosigkeit der
bisherigen Sparpolitik vor Augen. Und an der seien selbstverständlich nur
„die Anderen“ schuld.
5 Apr 2012
## AUTOREN
Jannis Papadimitriou
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