# taz.de -- Die Ausspähmethoden des NSU: „Gutes Objekt und geeigneter Inhabe… | |
> Die Terroristen vom NSU legten Namenslisten an, spionierten | |
> Anschlagsziele aus und markierten Stadtpläne. Zugeschlagen wurde dann | |
> doch woanders. | |
Bild: NSU-Tatort in Hamburg: „Der Ali muss weg“. | |
BERLIN taz | Es ist ein nur mit Mühe durchdringbarer Wust von Daten, | |
Computerausdrucken und Stadtplänen, durch den sich die Spezialisten des | |
Bundeskriminalamts (BKA) seit Wochen wühlen. Allein 1.700 Asservate aus dem | |
abgebrannten Wohnhaus in der Zwickauer Frühlingsstraße, in dem sich der | |
Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zuletzt verschanzt hatte, müssen | |
ausgewertet werden. | |
Eine der Fragen: Wie haben die Terroristen des NSU die Auswahl ihrer Opfer | |
getroffen? Die Überreste aus dem Schutt geben darauf Antworten – aber auch | |
neue Rätsel auf. Aus den Ermittlungsakten ist ersichtlich, dass die | |
Neonazis in drei Stufen vorgingen. Zuerst legten sie eine Datenbank mit | |
rund 10.000 Adressen an. Darin finden sich Abgeordnetenbüros von DKP bis | |
CSU, türkische Kulturvereine und Geschäfte, Flüchtlingseinrichtungen, | |
islamische Verbände und jüdische Gemeinden. | |
Im zweiten Schritt besorgten sich die NSU-Täter Karten von Städten in ganz | |
Deutschland. Zum Teil waren dies handelsübliche Stadtpläne, zum Teil | |
druckten sie sich die Karten und zusätzliche Detailansichten einzelner | |
Stadtteile aus. Auf diese Karten übertrugen die Neonazis dann einzelne | |
ausgesuchte Adressen von ihrer 10.000er-Liste. Politikerbüros markierten | |
sie dabei mit einem roten Stern, türkische und islamische Vereine mit einem | |
gelben und jüdische Einrichtungen mit einem Smiley, das eine Sonnenbrille | |
trägt. | |
## Die Nation „reinhalten“ | |
Im dritten Schritt spähten die NSU-Terroristen gezielt die Städte aus, in | |
denen sie dann auch zuschlugen. Über Nürnberg, München und Dortmund fand | |
die Polizei im Zwickauer Brandschutt entsprechende Notizen. Hier ermordete | |
der NSU sechs seiner zehn Opfer. Deren Namen waren merkwürdigerweise zuvor | |
aber auf keiner der Listen und Karten aufgetaucht. Nur in einem Fall war | |
ein Imbiss eingezeichnet, wo die Mörder denn auch töteten. | |
Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Terroristen ursprünglich einmal | |
öffentliche Einrichtungen oder Politiker als Anschlagsziele im Hinterkopf | |
hatten. Am Ende entschieden sie sich aber für Attentate auf männliche | |
Kleinunternehmer mit Migrationshintergrund im Alter von 21 bis 50 Jahren. | |
Sie wollten die deutsche Nation „reinhalten“ – durch Morde an „Kanacken… | |
„Der Ali muss weg“, hieß es in einem jetzt bekannt gewordenen Videofragment | |
des NSU. | |
Teile der migrantenreichen Dortmunder Nordstadt hätten die Terroristen | |
„zielgerichtet ausbaldowert“, heißt es in einem Vermerk des BKA über das | |
NSU-Kartenmaterial. Zu sechs potenziellen Zielen haben die Neonazis auf | |
einem Ausdruck vom 22. September 2005 konkrete Anmerkungen gemacht. „Guter | |
Sichtschutz. Person gut, aber alt (über 60)“, schrieben sie über einen | |
türkischen Imbiss. Über ein anderes Geschäft in der Uhlandstraße hieß es: | |
„Gutes Objekt und geeigneter Inhaber.“ | |
## In den Notizen nicht erwähnt | |
Als die Neonazis ein halbes Jahr später zum Morden nach Dortmund fuhren, | |
schlugen sie allerdings nicht an jenem Imbiss zu, sondern 500 Meter weiter. | |
In der Mallinckrodtstraße 190 töteten sie den Kioskbesitzer Mehmet Kubasik | |
mit zwei Kopfschüssen. In den Notizen war er zuvor nicht erwähnt. | |
Für einen ihrer Morde in Nürnberg im Juni 2005 hatten sich die Terroristen | |
ebenfalls sechs Ziele ausgeguckt, die sie dann ausspionierten. Über eine | |
Flüchtlingsunterkunft in der Industriestraße in Nürnberg-Sandreuth | |
notierten sie auf der Rückseite eines Kartenausdrucks: „Asylheim, Tür offen | |
ohne Schloss. Keller zugänglich.“ Über ein anderes in Erwägung gezogenes | |
Ziel hieß es: „Problem: Tankstelle nebenan. Türke aus Tankstelle geht in | |
jeder freien Minute zum Reden rüber.“ | |
Auch in Nürnberg schlugen die Terroristen am Ende nicht an einem der sechs | |
Orte zu, über die sie am 26. Mai 2005 am PC Notizen erstellt hatten. Der | |
Mord zwei Wochen später geschah an einem siebten Ort, der auf dem | |
DIN-A4-Blatt erst nach dem Ausdrucken von Hand mit einem Kreuz | |
eingezeichnet wurde. An der markierten Straßenecke hatte Ismail Yasar | |
seinen Dönerstand. | |
Kurz bevor er ermordet wurde, sah eine Zeugin zwei Radfahrer, die einen | |
Stadtplan studierten: Das müssen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gewesen | |
sein. Zwanzig Minuten später töteten sie Yasar mit fünf Schüssen. Warum | |
mussten ausgerechnet sie sterben? Das fragen sich die Angehörigen aller | |
zehn Opfer der NSU-Terroristen seit Jahren. Man weiß heute, dass sie von | |
einer rassistischen Mörderbande getötet wurden. Der Rest bleibt rätselhaft. | |
6 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Wolf Schmidt | |
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