# taz.de -- Kommentar Gesine Lötzsch: Wenn das Private politisch wird | |
> Gesine Lötzsch ist als Linken-Chefin zurückgetreten – wegen ihres | |
> erkrankten Ehemannes. Die Entscheidung verdient Respekt, ihr Zeitpunkt | |
> wirft aber ein paar Fragen auf. | |
Bild: Ist der Rücktritt ein machtpolitischer Kompromiss? Und welche Rolle spie… | |
Politische Rücktritte finden in diesem Land normalerweise nicht um 23.16 | |
Uhr statt. Und sie werden eigentlich auch nicht per Email verbreitet. Am | |
Dienstagabend hat Gesine Lötzsch mit dieser Regel gebrochen: „Nach | |
reiflicher Überlegung“, erklärte sie zu später Stunde, habe sie sich | |
entscheiden, „auf Grund der Erkrankung meines Mannes“ das Amt als | |
Vorsitzende der Linkspartei niederzulegen. Die Gesundheit ihres 30 Jahre | |
älteren Ehepartners Ronald, wie Lötzsch Sprachwissenschaftler, lasse „eine | |
häufige Abwesenheit von meinem Wohnort Berlin nicht mehr zu“. Die | |
Linken-Politikerin wolle sich in Zukunft auf ihr Bundestagsmandat | |
konzentrieren. | |
Lötzschs Schritt verdient zuallererst einmal Respekt. Rücksicht auf | |
erkrankte Familienangehörige steht in der Liste der politischen | |
Rücktrittsgründe bisher nicht sehr weit oben. Und wenn Politiker nicht | |
wegen schwerer Fehler oder als Unterlegene in Machtkämpfen ihr Amt | |
niederlegen, sondern aus Gründen, die auf gleiche Weise genauso tiefe | |
Einschnitte in die Biografien von „Normalbürgern“ hinterlassen, kommt einem | |
die Distanz zwischen dem Souverän und seinen parteipolitischen Vertretern | |
für den Moment etwas weniger groß vor. | |
Zumal in Zeiten, in denen viel über die Vereinbarkeit von privater Fürsorge | |
und beruflicher Karriere diskutiert wird; übrigens auch und gerade auf der | |
politischen Bühne: Erst vor ein paar Tagen erntete die SPD-Vizevorsitzende | |
Manuela Schwesig breite Zustimmung unter Kollegen für ihre Kritik, dass | |
Spitzenjobs in Parteien „nicht familienfreundlich“ seien. | |
## Schicksalshafte Landtagswahlen | |
Das ist das eine. Das andere ist die politische Dimension der Entscheidung, | |
die nicht zuletzt durch den Zeitpunkt Brisanz erhält, zu dem sie verkündet | |
wurde. Immerhin wählt die Linkspartei in ein paar Wochen ohnehin eine neue | |
Führung. Wie schon beim ehemaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, der | |
2007 als Minister und Vizekanzler zurücktrat, um seine kranke Ehefrau zu | |
pflegen, wird nun auch Lötzsch mit Fragen konfrontiert werden, ob hinter | |
ihrem Schritt nicht doch andere Gründe stecken als familiäre. | |
Die Linkspartei steht vor zwei für sie geradezu schicksalshaften | |
Landtagswahlen in Umfragen nicht besonders gut da. Um die Chance auf einen | |
Wiedereinzug in die Landtage von Düsseldorf und Kiel zu wahren, hatte sich | |
die Partei eine Auszeit von der seit Monaten schwelenden Personaldebatte | |
verordnet – eine Diskussion, die Lötzsch mit ihrer Wiederkandidatur im | |
vergangenen Herbst erst so richtig ins Rollen gebracht hatte. | |
Dies stieß in der Partei nicht gerade auf große Euphorie, gilt doch die | |
Amtsperiode von Lötzsch und ihrem Ko-Chef Klaus Ernst als Zeit der | |
zunehmenden Krise der Linken. Vor allem die langjährige | |
Bundestagsabgeordnete stand in der Kritik. Abgesehen davon, dass die | |
Vorsitzende mit ihrer Kandidatur auch die eine oder andere taktische | |
Überlegung ihrer Spitzengenossen durchkreuzt haben dürfte. | |
Seit Monaten orakeln Linkspartei und Medien über eine Rückkehr von Oskar | |
Lafontaine in eine bundespolitische Spitzenposition. Die Hoffnung in das | |
Wirken des Saarländers sind ebenso groß wie die Differenzen zwischen ihm | |
und ostdeutschen Landesvorsitzenden sowie Teilen des reformsozialistischen | |
Lagers. So bedeckt sich Lafontaine in der Personaldebatte hielt, so | |
vehement riefen ihn seine innerparteilichen Anhänger herbei. | |
## Baustein eines Kompromisses | |
Dass er selbst nicht mit Lötzsch gemeinsam die Partei führen würde, galt in | |
der Linken als so ausgemacht, wie es aufgrund der Proporz-Anforderungen | |
unmöglich gewesen wäre, dass die Ostberlinerin neben dem Mecklenburger | |
Dietmar Bartsch eine Doppelspitze bildet, der ebenfalls schon seinen Hut in | |
den Ring geworfen hatte. Unlängst hieß es dann, der frühere | |
Bundesgeschäftsführer und Lafontaine hätten ihren Streit beigelegt, auch | |
von einer möglichen Vorentscheidung über das Personaltableau schon nach | |
Ostern war die Rede. | |
So betrachtet erscheint Lötzschs Schritt gar nicht mehr so überraschend und | |
rein privater Natur – eher wie der Baustein eines machtpolitischen | |
Kompromisses, mit dem die Linkspartei in einer für sie schwierigen | |
Situation versucht, ihre vielleicht letzten Chancen zu wahren, vor den | |
Bundestagswahlen in die Offensive zu kommen. | |
Die zurückgetretene Vorsitzende, der in der Öffentlichkeit das Wörtchen | |
„umstrittene“ wie eine reguläre Zusatzbezeichnung anhaftet, hat einen | |
Hinweis in ihrer Rücktrittserklärung hinterlassen. Sie danke „allen | |
Mitgliedern der Partei (...), die mich in meiner Arbeit unterstützt haben“. | |
Es mögen am Ende zu wenig gewesen sein, um Lötzsch davon abzuhalten, bis | |
zum Göttinger Parteitag der Linken im Juni ihre familiäre Sorge noch einmal | |
hinter die Politik zurückzustellen. | |
11 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Tom Strohschneider | |
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