# taz.de -- Kolumne Über Ball und Welt: Die einsamen Sterne von Liberia | |
> Fußball ist in Liberia Volkssport. Doch die Folgen des Bürgerkriegs und | |
> ein zweifelhafter Landesverband verhindern große Erfolge. So ist das Land | |
> nur ein Talentelieferant. | |
Bild: Die liberianische Fußball-Nationalmannschaft der Amputierten beim Traini… | |
Etwa zwanzig Fußballfans demonstrieren auf einer staubigen Straße. | |
„Redemption of Football in Liberia“ fordern sie auf ihren Transparenten, | |
Erlösung vom zuletzt sehr grottigem Gekicke in dem westafrikanischen Land. | |
Den Präsidenten des liberianischen Fußballverbandes (LFA), Musa Bility, | |
nennen sie „Mister Corruption“; ihr Sprecher sagt: „Bility muss jetzt | |
zurücktreten, damit sich der Fußball entwickeln kann. Wir verlieren unsere | |
Talente.“ | |
Das klingt alles grundsympathisch, und wenn man LFA durch Fifa ersetzte, | |
Bility durch Blatter und Liberia durch, sagen wir: Welt, dann kommt einem | |
das bekannt vor. Doch zeigt der Blick auf Liberia, dass es nicht die | |
Personen sind, die schlechte Fußballpolitik verantworten. Sondern dass der | |
Handlungsspielraum jedes noch so gutwilligen Akteurs zu eng ist, als dass | |
sich der Sport gut entwickeln könnte. | |
Fußball ist in Liberia Volkssport. Das Land hat trotz seiner nur fast vier | |
Millionen Einwohner schon einen Weltfußballer wie George Weah | |
hervorgebracht, der beim AS Monaco, Paris St. Germain und dem AC Mailand | |
gespielt hat. Und der aktuelle Nationalspieler Sekou Oliseh verdient bei | |
ZSKA Moskau sein Geld. Kein Grund also, finden zumindest die Fans, warum | |
ihr Land auf der Fifa-Weltrangliste nur auf Platz 112 platziert ist. | |
Bei der LFA sieht man das anders. Schließlich musste man doch den | |
Spielbetrieb in dem vom Bürgerkrieg der neunziger Jahre zerstörten Land | |
erst wieder an den Weltfußball heranführen. Henry Flomo, Sprecher der LFA, | |
sagt, Präsident Bility habe doch schon zwei ausländische Trainer zum | |
Nationalteam „Lone Stars“ geholt, für eine Flutlichtanlage im | |
Antoinette-Tubman-Stadion in Monrovia gesorgt, ein zweigeschossiges Gebäude | |
für die Verwaltung der LFA angemietet, und mit dem US-Unternehmen Cellcom | |
habe er sogar einen Sponsor für Lone Stars und Erste Liga gewinnen können. | |
Kritiker sagen, dass das Unternehmen gerade mal 3 Millionen Dollar in drei | |
Jahren Geld ausgibt, Peanuts. Doch die LFA versucht die Kritik zu | |
unterbinden. Als liberianische Liga-Vertreter jüngst zusammentrafen, wurde | |
ihnen der Zutritt zum Tubman-Stadion verweigert. Vorher hatte die LFA | |
einige Funktionäre hinausgeworfen, darunter Rochell Woodson, eine der | |
wenigen Frauen im Verband. Der Vorwurf: Sie habe das „Ansehen der | |
Nationalmannschaft beschmutzt“. Als die Fifa Woodson vor zwei Jahren zur | |
Sonderberaterin in Sachen Frauenfußball berief, liefen die männlichen | |
Funktionäre Sturm: Dass Woodson überhaupt bekannt ist, sei ja schon | |
„arglistig“. | |
Jüngst veröffentlichte Robert Mulbah, einer der angesehensten | |
Sportjournalisten des Landes, ein Schreiben, in dem FLA-Präsident Bility | |
auf Verbandsbriefpapier seinem Sohn Sidiki mitteilt, dass dessen Firma | |
bevorzugt behandelt werde. Das sei alles eine Lüge, lässt die LFA | |
verlauten, doch die großen Zeitungen des Landes solidarisieren sich mit | |
Mulbah – bald wird ein Gericht entscheiden. | |
Aber auch nach einem eventuellen Rücktritts Bilitys bleibt der Fußball in | |
Liberia unattraktiv, mitunter tödlich. Als 2008, bei einem | |
WM-Qualifikationsspiel gegen Gambia, gefälschte Tickets verkauft wurden, | |
drängten zu viele Fans hinein: Neun Menschen wurden zerquetscht oder zu | |
Tode getrampelt. | |
Sehr viel hat sich seither nicht geändert. Fußball begeistert nur im | |
Fernsehen, und zwar dann, wenn der FC Barcelona oder Manchester United | |
spielen – und nicht etwa der amtierende Meister Liberia Ship Corporate | |
Registry FC. Die Funktion des liberianischen Fußballs ist – unabhängig | |
davon, wer gerade Präsident ist –, dem Weltmarkt Talente zu liefern. | |
Vielleicht kommt ja ein neuer George Weah, von dem aber gewiss niemand in | |
Liberia profitieren würde. | |
Kaum etwas beschreibt die traurige Situation des Fußballs in Liberia besser | |
als der einzige große Erfolg des Landes: Beim „Amputee African Cup 2011“, | |
der Fußballmeisterschaft der Beinamputierten, konnte das Lone-Star-Team mit | |
seinen Versehrten aus dem Bürgerkrieg das Finale über Ghana 4:2 gewinnen. | |
Das sind die Fußballtalente, die der Weltmarkt in Liberia belässt. | |
12 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Fußball-EM 2024 | |
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