# taz.de -- Interview mit Senator Mario Czaja: "Man sollte die Dinge irdisch an… | |
> Der Sozialsenator Mario Czaja (CDU) über sein Engagement für die taz und | |
> die Herausforderungen von Wahlkampf in Mahlsdorf-Kaulsdorf. | |
Bild: Bekennender Katholik: Neu-Senator Mario Czaja. | |
taz: Herr Czaja, wir sind quasi Kollegen – Sie haben ja mal für die taz | |
geschrieben. Erinnern Sie sich noch? | |
Mario Czaja: Natürlich erinnere ich mich. Das war am 9. November 2004, als | |
die Ost-taz von Ostdeutschen produziert wurde. Ich habe einen Artikel | |
geschrieben über die Wahrnehmung von Ost und West durch Touristen am | |
Checkpoint Charlie. | |
Der war gar nicht so schlecht. | |
Oh, danke. | |
Aber Journalist wollten Sie ja nie werden. Stattdessen haben Sie Ihren | |
Vertriebsjob an den Nagel gehängt und den Senatorenposten für Gesundheit | |
und Soziales von zwei linken Senatorinnen übernommen. Härter kann ein | |
politischer Wechsel kaum sein. Wie kommen Ihre Mitarbeiter inzwischen damit | |
zurecht? | |
Beide Abteilungen sitzen ja seit eh und je hier im Haus. Fachlich und | |
historisch betrachtet ist „Gesundheit und Soziales“ ein lange | |
zusammengewachsener Bereich. Die beiden Abteilungsleiter haben vor vielen | |
Jahren zusammen angefangen und stehen jetzt beide vor dem verdienten | |
Ruhestand. So ist es nun mal im realen Leben: Die Verwaltung überdauert | |
meist die politischen Veränderungen. | |
Wollen Sie damit sagen, es ist eigentlich egal, wer den Bereich Gesundheit | |
und Soziales führt? | |
Was ich gerade beschrieben habe, ist die organisatorische Ebene. Aber dann | |
gibt es natürlich die inhaltliche – und da habe ich bereits erste | |
Veränderungen eingeleitet. | |
Bevor Sie Senator wurden, haben Sie in Ihrem Kiez Äpfel an Schichtarbeiter | |
verteilt und mit Abwasserproblemen Wahlkampf gemacht. | |
Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Wir Landtagsabgeordneten machen in | |
unseren Kiezen kommunalen Wahlkampf mit kleinteiligen Themen. Da kann es | |
fast dörflich zugehen: Bei uns in Mahlsdorf-Kaulsdorf sagt man, wir fahren | |
in die Stadt, wenn wir nach Mitte wollen. Ich habe zwölf Jahre lang | |
Wahlkreisarbeit gemacht und werde das auch weiter tun. Ganz bewusst habe | |
ich mein Mandat behalten. Darüber hinaus beschäftige ich mich seit vielen | |
Jahren mit Gesundheitspolitik auf Landesebene und war | |
gesundheitspolitischer Sprecher meiner Fraktion. Den Spagat kannte ich | |
also. Für viele Berliner wird er aber erst jetzt präsent. | |
Mich interessieren vor allem Ihre Ideen für ein soziales Berlin. Wo liegen | |
die Herausforderungen im sozialen Bereich für die kommenden Jahre? | |
Da bin ich gar nicht weit weg von der Gesundheitspolitik, denn eine der | |
größten Herausforderungen der kommenden fünf Jahre liegt im Bereich der | |
Pflege. Angesichts der demografischen Entwicklung ist es notwendig, sich um | |
zukünftige Fachkräfte in diesem Bereich Gedanken zu machen. Der Pflegeberuf | |
muss insgesamt attraktiver werden. Darüber hinaus wollen wir die Qualität | |
der Pflege verbessern. Dafür ist zum einen eine engere Verzahnung zwischen | |
ambulanter und stationärer Versorgung notwendig. Zum anderen arbeiten wir | |
gerade an der Einführung eines neuen Beschwerdesystems, das Angebote wie | |
„Pflege in Not“ ergänzen soll. | |
Angesichts der Skandale, die die Pflegebranche in jüngerer Zeit | |
erschütterten, scheint das bitter nötig. Wird es dafür zusätzliche | |
Kapazitäten geben? | |
Für die Probleme, die es in den Pflegeeinrichtungen gegeben hat, benötigt | |
man zum Teil zusätzliche Kapazitäten. Auch die Verbesserung der | |
Kommunikationswege zwischen den Bezirksämtern und den Pflegekassen ist | |
notwendig. Wir werden eine zentrale Anlaufstelle bei unserer | |
Patientenbeauftragten einrichten. Hier sollen die Beschwerden von | |
Betroffenen gebündelt, weitervermittelt und der Informationsaustausch | |
zwischen den Akteuren verstärkt werden. Die Koordinierungsstelle werden wir | |
personell stärken. | |
Beschwerden besser zu verwalten ist das eine. Wie wollen Sie denn einen | |
Fall wie den der Obdachloseneinrichtung Treberhilfe, bei der wegen Betrugs | |
gegen den einstigen Inhaber ermittelt wird, verhindern? | |
In der Vergangenheit wurden viele soziale Leistungen an externe Träger | |
übergeben. Das Problem dabei ist, dass es in der Verwaltung kein | |
Detailwissen mehr über diese Angebote gibt. Das wiederum macht es | |
schwierig, bei der Kontrolle die richtigen Fragen zu stellen und die vielen | |
guten von den wenigen schlechten Trägern zu unterscheiden. Deshalb müssen | |
wir wieder eigenes Know-how aufbauen. Möglich ist das meist nur bei | |
Neueinstellungen in der Verwaltung, bei denen diese Anforderung | |
berücksichtigt werden kann. Weil in den kommenden Jahren einige Mitarbeiter | |
in den Ruhestand gehen, sehen wir hier eine Chance. | |
Das wird dauern. | |
Natürlich ist das ein langsamer Prozess. Kurzfristig bleibt uns nur die | |
Chance, unabhängigen Sachverstand einzubinden. Das können zum Beispiel | |
Träger aus anderen Bundesländern sein, die ihre Erfahrung bei der Kontrolle | |
unserer Berliner Einrichtungen einbringen. Dafür haben wir 250.000 Euro in | |
den Haushalt eingestellt. | |
Sie werden also stärker kontrollieren? | |
Im Moment können wir das noch nicht, weil die bundesrechtlichen | |
Möglichkeiten fehlen. Eine Bundesratsinitiative, die für mehr Transparenz | |
und Kontrollmöglichkeit sorgen soll, wurde bereits auf den Weg gebracht. | |
Alle Bundesländer unterstützen das Vorhaben. Wir warten nur darauf, dass | |
der Bundestag es schnell umsetzt. | |
Als Ihr Staatssekretär für Soziales seinen Fahrplan für die kommenden fünf | |
Jahre vorgestellt hat, hat er den Bereich Inklusion, also die Teilhabe von | |
Menschen mit Behinderung, beinahe vergessen. Wie wichtig ist Ihnen das | |
Thema? | |
Das Thema Inklusion nimmt bei uns einen wichtigen Platz ein. Der | |
Behindertenbeauftragte gehört zu unserer Verwaltung, insofern haben wir | |
hier auch eine Lenkungsfunktion. Allerdings ist die Umsetzung der | |
UN-Behindertenrechtskonvention eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die | |
Herausforderungen stellen sich in der Bildungs-, Arbeitsmarkt- und | |
Stadtentwicklungspolitik. Ich bin mir sicher, das sehen die Vertreter der | |
großen Behindertenverbände genauso. | |
Sie sehen sich in einer Lenkungsfunktion, aber alle Senatoren in der | |
Pflicht. Warum initiieren Sie dann keine ressortübergreifende Arbeitsgruppe | |
zum Thema Inklusion? | |
Ich bin kein Freund von großen und am Ende unübersichtlichen Gremien. Ich | |
komme aus einem Unternehmen, in dem man die Dinge sehr irdisch angegangen | |
ist und die Leistung am Ende des Tages greifbar war. Auch in der Politik | |
muss man die Aufgaben dosieren und eher kleinen, handlungsfähigen | |
Arbeitsgruppen übertragen. Am Ende sollen möglichst nicht nur schöne Ideen | |
herauskommen, sondern konkrete Ergebnisse auf dem Tisch liegen. Die | |
Landesbehindertenkonferenz ist dafür das richtige Gremium. | |
Vor kurzem haben Sie gesagt, dass Ihnen jeder Euro, der mehr in | |
Sozialausgaben fließt, für Investitionen in die Gesundheitswirtschaft | |
fehlt. Lässt sich das so einfach gegeneinander aufwiegen? | |
Das ist eine sehr verkürzte Darstellung meiner Aussage. Der Satz ist in | |
folgendem Zusammenhang zu verstehen: Es ist das Ziel jedes | |
Sozialpolitikers, dass so wenig Menschen wie möglich von Transferleistungen | |
leben müssen. Dafür sind gute Arbeitsplätze nötig, die es den Menschen | |
ermöglichen, von ihrer eigenen Hände Arbeit zu leben. Aus meiner Sicht ist | |
die Gesundheitswirtschaft eine wesentliche Stellschraube zur | |
wirtschaftlichen Wiederbelebung der Stadt. Und dazu möchte ich, gemeinsam | |
mit der Wirtschaftssenatorin und dem Finanzsenator, meinen Beitrag leisten. | |
Gregor Gysi hat mal über Sie gesagt: „Wenn er keine großen Fehler macht, | |
wird er in der CDU seine Karriere machen.“ Jetzt sind Sie Senator. Haben | |
Sie also keine großen Fehler gemacht? | |
Ich weiß nicht, wann Gregor Gysi das gesagt hat. Ich vermute mal, es war | |
vor 2006 (lacht). Ich habe Fehler gemacht, einige davon sind auch | |
öffentlich nachlesbar. Aber klug ist ja nicht, wer keine Fehler macht, | |
sondern derjenige, der daraus lernt und seine Fehler nicht wiederholt. | |
Es gibt Politiker, die sind über wesentlich kleinere Affären als einen | |
dubiosen Abschluss an einer nicht anerkannten Schweizer Hochschule | |
gestolpert. Warum Sie nicht? | |
Unmittelbar nachdem diese Sache durch die Presse ging, habe ich mich damit | |
öffentlich auseinandergesetzt und eine persönliche Erklärung abgegeben. Da | |
gab es keine Salamitaktik, ich habe reinen Tisch gemacht, mich damals aus | |
dem Wissenschaftsausschuss zurückgezogen und noch einmal neben dem Beruf | |
Betriebswirtschaft studiert. Die Partei stand bei allem hinter mir. | |
Noch ein Zitat, diesmal von einem Christdemokraten: „Mir ist nicht bekannt, | |
dass Herr Czaja mal eindeutig irgendeine christdemokratische Position | |
vertreten hat.“ Wie sehr Christdemokrat sind Sie? | |
Ich komme aus einem katholischen Elternhaus und bin bekennender Katholik. | |
Die Werte, die sich daraus für unser parteipolitisches Programm ableiten, | |
habe ich verinnerlicht. Außerdem bin ich ein Kind der Wiedervereinigung. | |
1989 war ich 14 und gehörte zum ersten Jahrgang, bei dem FDJ und | |
Jugendweihe freiwillig waren. Ich kann sehr glücklich sein, dass ich nicht | |
mehr den Repressalien dieses Systems ausgesetzt war. Ich bringe aber auch | |
Erfahrungen aus der DDR mit, die ich nicht missen möchte. Diese Zeit des | |
Übergangs, der Wiedervereinigung ist für mich klar christdemokratisch | |
geprägt. Ich bin also durch und durch Christdemokrat. | |
Von ungefähr kommen solche Aussagen von Parteikollegen aber nicht. | |
Es mag Einzelne geben, die das so sehen. Diejenigen, die mich so | |
beurteilen, sehen das primär im Zusammenhang mit meinem politischen Wirken | |
in Marzahn-Hellersdorf. Dort war die Durchsetzung von Vorhaben mitunter nur | |
im pragmatischen Verbund mit anderen Parteien möglich. Und in meinem Bezirk | |
ging über viele Jahre eben nichts ohne die Linkspartei. Ich habe Politik so | |
kennengelernt, dass man die Position des anderen verstehen und einbeziehen | |
muss, um Dinge bewirken zu können. | |
Wird dieser Pragmatismus auch Ihren Stil als Senator prägen? | |
Natürlich. Wir haben ja keine 51 Prozent bei der Wahl bekommen – und das | |
erwarte ich auch in naher Zukunft nicht (lacht). | |
18 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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Gebärdensprache | |
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