# taz.de -- Nachtleben: Rauschendes Fest im Rollstuhl | |
> Am Samstag wurde im "Kater Holzig" eine Party für Menschen mit und ohne | |
> Behinderung gefeiert. | |
Bild: "Club statt miefiger Turnhalle" | |
Auf dem Schotterweg, der zum Club „Kater Holzig“ am Spreeufer führt, sind | |
Reifenspuren zu sehen. Schon über zwanzig Rollstuhlfahrer haben die 200 | |
Meter Richtung Eingang zurückgelegt, um bei „Rock ’n’ Rolli“ dabei zu … | |
der „Party für Leute mit Handicap“ am vergangenen Samstagabend. Die Idee | |
stammt von Annina Zamani, die vor einem Jahr die Organisation „Großer | |
Wagen“ gegründet hat, um Menschen mit und ohne Behinderung | |
zusammenzubringen. Neben Partys organisiert sie auch Reisen für Behinderte. | |
## Helfer lernen Gebärden | |
Alexander Schrodt steht als Helfer am Eingang zum Clubgelände. Der | |
36-Jährige hat extra einige Gebärden gelernt, um auch Gehörlose in ihrer | |
Sprache begrüßen zu können. Als ein Taxi vor ihm hält und Gäste aussteigen, | |
malt er sich mit den Zeigefingern ein Herz auf die Brust und bewegt danach | |
beide Hände mit Schwung in Richtung Partygelände – die Gebärde für | |
„Herzlich willkommen!“ | |
Ganz ohne öffentliche Mittel, dafür mit Hilfe von Spenden und Sponsoren hat | |
Zamani die Party organisiert. „Oft gibt es nur Extra-Partys für Menschen | |
mit Behinderung in miefigen Turnhallen, zu denen andere höchstens aus | |
Mitleid kommen. Deshalb wollte ich die Party in einem der beliebtesten | |
Clubs veranstalten – und zwar am Samstagabend!“, sagt die 35-Jährige. | |
Gegen 19 Uhr erreicht eine Gruppe Blinder den Eingang. „Wo sind unsere | |
Assis?“, fragt Zamani, und schon eilen die jungen Assistenten herbei, die | |
meisten sind Freunde der Veranstalterin. Sie helfen den Gästen, sich | |
zurechtzufinden. Einem Gast fällt eine Bierflasche aus der Hand, knallt mit | |
lauten Gepolter die Treppenstufen vor der Kasse herunter und bleibt vor der | |
untersten Stufe liegen. Eine blinde Partygängerin ist nur noch drei Stufen | |
von der Flasche entfernt. „So was darf auf keinen Fall passieren!“, ruft | |
Zamani und läuft die Treppe hinunter. Sie stellt die Flasche in eine der | |
Kisten, die im Club verteilt sind, damit keine herumliegenden Gegenstände | |
Blinde zu Fall bringen oder sich in den Rädern der Rollstühle verkeilen. | |
Ein wichtiges Ziel der Organisatorin: Empathie und Nachsicht gegenüber | |
Menschen mit Behinderung wecken. „Die kriegt man nur hin, wenn man selbst | |
gespürt hat, wie es sein kann, mit Handicap zu leben“, erklärt Zamani. | |
Deshalb gibt es den Stand „Handicap to go“: Dort kann man ausprobieren, wie | |
es ist, bestimmte Situationen mit einer Behinderung zu bestehen. Katja | |
Kauer pult sich Ohropax aus den Ohren. Ihre Aufgabe: als Schwerhörige mit | |
einem anderen Gast flirten. „Mein Gegenüber musste ganz schön laut | |
schreien, damit ich überhaupt etwas verstehe“, berichtet die 29-Jährige. | |
Gegen halb acht fährt Fred Kutzner mit seinem Elektrorollstuhl auf das | |
Gelände. Er gehört dem Behindertenbeirat von Mitte an und betrachtet das | |
Gelände mit dem Blick des Fachmanns. „Rollstühle, die über die Hinterräder | |
gelenkt werden, brauchen einen Wendekreis von 1,80 Meter“, weiß Kutzner und | |
freut sich über die breite Holzrampe, die extra für die Party aufgebaut | |
wurde. | |
Auch Hildrun Knuth vom Bezirksamt Mitte ist zur Party gekommen. Aus ihrer | |
Arbeit als Behindertenbeauftragte weiß sie, dass Leute mit Handicap in | |
viele Berliner Clubs nicht hineinkommen – gerade die steilen Treppen zu | |
Kellerbars stellen für viele eine Hürde dar. „Hier entspricht zwar nicht | |
alles der barrierefreien Norm, aber ich hoffe, dass der eine oder andere | |
auf den Geschmack kommt und sich traut, auch ohne besondere Partys wie | |
heute mal auszugehen“, sagt Knuth. | |
Steven möchte auf jeden Fall öfter tanzen gehen. Er lässt sich am | |
Glitzerstand schminken. Mit einem weichen Pinsel malt Charisma vom | |
Schminkteam „Dr. Bling and the Glitzersistas“ glitzernde blaue Dreiecke auf | |
seine Schläfen. Das Angebot ist vor allem für Sehbehinderte gedacht, die | |
keine Möglichkeit haben, sich selbst vor dem Spiegel zu schminken. Doch | |
auch viele andere stehen schon Schlange. An anderen Abenden bekommt | |
Charisma Gage dafür, auf Partys Leute zu verschönern – heute arbeitet sie | |
ehrenamtlich, genau wie die Barleute, Garderobenkräfte und Assistenten. | |
„Fertig!“, ruft Charisma und hält Steven den Spiegel hin. Er zieht ihn ganz | |
nah vor sein Gesicht, betrachtet sich und strahlt. „Schön!“ Bei anderen | |
Partys, sagt Charisma, sei es viel schwerer, die Leute zu beeindrucken. | |
„Heute sieht man echte Begeisterung, wenn die Geschminkten in den Spiegel | |
schauen“, sagt sie. | |
Ob die Party in Serie gehen kann, weiß die Veranstalterin noch nicht. Dafür | |
bräuchte sie Sponsoren und Partner, die die Aktion regelmäßig unterstützen. | |
Aber das ist gar nicht ihr wichtigstes Ziel. „Ich hoffe, dass Menschen mit | |
Behinderung durch diese Party feststellen, dass es durchaus Clubs gibt, in | |
denen sie willkommen sind“, sagt Zamani. | |
Auf der Tanzfläche wird es gegen 22 Uhr langsam eng, der DJ spielt „Billy | |
Jean“ von Michael Jackson. Das ist eines der Lieblingslieder von Tristan | |
Meitner. Er sitzt im Rollstuhl und kann sich ohne seinen Sprachcomputer nur | |
durch Nicken und Kopfschütteln mitteilen. Seine Mutter Ulrike tanzt neben | |
ihm. Mit der linken Hand hält sie die Hand ihres Sohnes, mit der rechten | |
drückt sie immer wieder auf den Griff des Rollstuhls, der im Takt zu | |
Michael Jackson wackelt. Tristan tanzt. „Er ist vor ein paar Wochen 18 | |
geworden und heute das erste Mal in der Disko“, sagt seine Mutter. Sie | |
wollen ab jetzt öfter kommen, denn Tristan strahlt vor Begeisterung. | |
Auf einer Holzbank in Sichtweite von Tristan sitzen vier gehörlose | |
Freundinnen, die sich in Gebärdensprache unterhalten. Durch die Rücklehne | |
der Bank spüren sie den wummernden Bass. Gerade tun ihnen die Füße weh, | |
aber gleich wollen sie wieder tanzen – schließlich können sie die Musik | |
fühlen und die Bewegungen der anderen Tanzenden sehen. | |
## Hippes Publikum kommt | |
Gegen 23 Uhr ist die Rock‘n‘Rolli-Party offiziell vorbei, aber viele | |
Besucher bleiben noch. Nach und nach strömt das übliche hippe Publikum in | |
den Club. Gabriela ist mit ihrem Freund gekommen. Sie ist zunächst | |
überrascht, so viele Menschen mit Behinderung zu sehen. Aber ihr gefällt | |
das Konzept der Party. „Endlich geht es mal nicht darum, möglichst cool zu | |
sein“, sagt sie und verschwindet in Richtung der Tanzfläche. Dort lässt ein | |
begeisterter Tänzer mitten im Getümmel die orangefarbenen Rücklichter | |
seines Rollis im Rhythmus der Musik aufleuchten. | |
22 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Kathrin Breer | |
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