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# taz.de -- Debatte Liberale und Rechtspopulismus: Freiheit, die wir meinen
> Die politische Linke sollte der FDP alles Gute wünschen. Warum? Ein
> wirtschaftsliberaler Impulsgeber ist das beste Mittel gegen
> rechtspopulistische Strömungen.
Bild: VW auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt/M.
Die Berliner Republik ist das letzte europäische Land mit hohem
Immigrantenanteil, in dem rechtspopulistische Parteien keine bedeutende
Rolle spielen. Dies ist bemerkenswert, da gerade die Zuspitzung von
Zuwanderungsfragen Rechtspopulisten zu großen Wahlerfolgen verholfen haben.
Die Schwäche von Parteien wie der diversen Pro-Bewegungen und die Tatsache,
dass zurzeit zwar immer mal wieder von den Chancen einer
rechtspopulistischen Organisation gesprochen, vor einer tatsächlichen
Neugründung aber zurückgeschreckt wird, hat – entgegen der weit
verbreiteten Meinung – nur wenig mit der NS-Vergangenheit Deutschlands zu
tun.
Entscheidend für die Erfolgschancen rechtspopulistischer Bewegungen sind
vielmehr die Art und Weise, in der Probleme von etablierten Parteien
dargestellt und diskutiert werden. Der FDP kommt dabei eine unverzichtbare
Rolle zu. Setzen die Liberalen ihre Talfahrt bei den anstehenden
Landtagswahlen fort und scheitern sie womöglich sogar an der
Fünfprozenthürde bei den nächsten Bundestagswahlen, würde dies
rechtspopulistische Strömungen enorm begünstigen.
Deren Schwäche hierzulande lässt sich mit zwei Konstanten des
Parteienwettbewerbs erklären: Zum einen haben CDU und CSU in den
vergangenen Jahren mit ihren Positionen in Zuwanderungs- und
Integrationsfragen die Wählernachfrage nach rechtskonservativen Forderungen
weitgehend abgeschöpft.
## Die Rechten kleingehalten
Zweitens, und das ist ebenso wichtig, haben die leidenschaftlich geführten
Auseinandersetzungen der Parteien über soziale Fragen das Bedürfnis nach
rechtspopulistischen Gruppierungen in der Bundesrepublik bisher
außerordentlich klein gehalten. „Die beste Möglichkeit, rechtspopulistische
Parteien empfindlich zu treffen“, hat die norwegische
Politikwissenschaftlerin Elisabeth Ivarsflaten formuliert, „sind
aufgeheizte ökonomische Debatten.“
Dies hat vier Gründe: Erstens verhindert ein ausgewachsener Parteienstreit
über Wirtschaftsfragen, dass konfliktträchtige Immigrations- und
Integrationsdebatten dominant werden. Dies führt zweitens dazu, dass die
politischen Diskurse weniger durch Kontroversen über Identität und
Zuwanderung emotionalisiert werden.
Beides gräbt rechtspopulistischen Parteien das Wasser ab, ihnen wird fast
ausschließlich „Problemlösungskompetenz“ in kulturellen Fragen zugesproch…
– mit denen sie aber, drittens, in Zeiten großer sozialer Streitfragen
nicht oder zumindest weniger punkten können, das heißt: Sie erreichen
weniger Wähler.
Und viertens verhindert eine klare Konfrontation zwischen etablierten
Parteien in sozialen und ökonomischen Fragen, dass sich Rechtspopulisten
als Alternative gegen die „Politiker da oben, die ja alle gleich sind“,
präsentieren. Doch eine solche Konfrontation ist in Deutschland künftig
erschwert. Sinkende Erwerbslosenzahlen lassen die Auseinandersetzung um
Sozialstaatsreformen wie die Agenda 2010 weiter in den Hintergrund treten.
## Größer werdendes Lager der Mitte
Vor allem aber spielt die Sozialdemokratisierung der CDU unter Angela
Merkel eine entscheidende Rolle: In zentralen sozialen Streitfragen
gleichen sich die Positionen zwischen Union und SPD inzwischen fast aufs
Haar. CDU und CSU fallen also als Impulsgeber aus. Auch Grüne und Piraten
gehören mit ihren wirtschafts- und sozialpolitischen Forderungen zum größer
werdenden Lager der Mitte. Allenfalls die Linkspartei besitzt aktuell ein
klar linkes und daher polarisierendes Profil.
Fehlt aber ein Pendant hierzu auf wirtschaftsliberaler Seite, das die
Diskussion ebenfalls befeuert, wird die Dominanz der ökonomischen Dimension
im politischen Ideenwettbewerb kaum zu erhalten sein. Diese Rolle kann die
FDP – und nur die FDP– weiterhin wahrnehmen. Die Annahme, dass eine solche
Partei nicht mehr gesucht würde, ist grundfalsch.
Umfragedaten bestätigen eine stabile Nachfrage nach einer
wirtschaftsliberalen Partei in der Wählerschaft. Stürzt die FDP jedoch
weiter ab und bleibt die Union bei ihrem Kurs in die Mitte, wird sich etwa
ein Zehntel der Wähler in der Bundesrepublik nach einer Partei umsehen, die
drei Schwerpunkte hat: zuspitzende Rhetorik sozialer Probleme,
rechtskonservative Haltung in Immigrationsfragen und Skepsis gegenüber
Umverteilungsmechanismen.
Das liest sich wie eine Blaupause für eine rechtspopulistische Partei, nach
einem Profil, das dem von rechtspopulistischen Bewegungen in anderen
europäischen Ländern gleicht. Wer sich fragt, ob Deutschland eine solche
Partei auf Bundesebene ohne großen Schaden verkraften kann, oder ob man
jene gar einer wirtschaftsliberalen FDP vorziehen sollte, dem sei ein Blick
nach Frankreich oder die Niederlande empfohlen.
## Permanent infrage gestellt
Die bloße Präsenz der Front National hat im Wahlkampf fast alle anderen
Parteien rechtspopulistische Argumente aufgreifen lassen,
wohlfahrtsstaatliche Errungenschaften, das Projekt Europa und vor allem die
liberale Integrations- und Immigrationsgesetzgebung wurden permanent
infrage gestellt. Trotzdem holte Marine Le Pen im ersten Wahlgang fast 18
Prozent.
In den Niederlanden beteiligte sich die rechtspopulistische Partei von
Geert Wilders gar an der Regierung. Der Preis waren harte
Immigrationsgesetze und strikte Sparauflagen in Kultur- und
Integrationsetats – bis die Koalition vor wenigen Tagen scheiterte.
Frankreich und die Niederlande belegen eindrucksvoll, wie zu Beginn
marginale rechtspopulistische Bewegungen binnen weniger Jahre die gesamte
politische Kultur einstmals liberaler und proeuropäischer Staaten
korrumpieren können, wenn die Kommunikationsstrategien etablierter Parteien
deren Durchbruch an der Wahlurne zulassen.
Es mag für die politische Linke in Deutschland wie ein Paradox klingen:
Aber wem am Herzen liegt, hierzulande eine starke rechtspopulistische Kraft
und einen Rechtsruck der gesamten politischen Kultur zu verhindern, der
sollte der kriselnden FDP „alles Gute“ wünschen. Nicht nur mit Blick auf
die anstehenden Landtagswahlen im Mai.
27 Apr 2012
## AUTOREN
Timo Lochocki
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