# taz.de -- Teneriffa nachhaltig: Schöner wohnen für die Forschung | |
> Wer sich im bioklimatischen Dorf auf Teneriffa einquartiert, kommt in den | |
> Genuss von Nachhaltigkeitsstandards im Wohnungsbau. Man erfährt viel über | |
> Erneuerbare. | |
Bild: Die Vivienda El Pueblo, gebaut von den Architekten Kaarina Löfström und… | |
Nach Urlaubsparadies sieht es hier nicht aus. Der Industriepark des | |
Instituto Tecnológico y de Energías Renovables (Iter) in Granadilla im | |
Süden Teneriffas liegt zwar direkt am Meer, doch die in einer Linie | |
stehenden riesigen Windräder verheißen keine paradiesische Ruhe. | |
Auch wenn sich die schleifende Geräuschkulisse der Windräder mit dem | |
Meeresrauschen zu einem undefinierbaren Brummen der Gezeiten mischt. | |
Unterhalb der Werkshallen, mitten in der kargen Landschaft auf dem | |
Industriegelände von Iter, stehen originelle, individuell gestaltete | |
Häuser. Sie wecken Neugierde. | |
In der zerklüfteten Vulkanlandschaft mit dem schwarzen Sand, gesegnet mit | |
Sonne und Wind, haben 24 Architekten aus aller Welt ihre Vorstellung vom | |
bioklimatischen Haus verwirklicht. Aus mehr als 400 Einreichungen wählte | |
ein Jury 25 Entwürfe aus, 24 davon wurden mit den Geldern der | |
Provinzregierung – ein Haus kostete ungefähr 120.000 Euro – errichtet. | |
Sie heißen la Estrella, el Cubo oder el Caminito und sind technischen | |
Koryphäen gewidmet: etwa Doktor Werner Bloss, einem Deutschen, der die | |
Sonnenergie voranbrachte, oder Professor Robert Hill, einem Australier, der | |
Nachhaltigkeit lehrte. Strom und warmes Wasser liefern Wind und Sonne, die | |
Steine der Erde und der Häuser dienen als Temperaturspeicher, der tagsüber | |
Wärme aufnimmt und sie nachts wieder abstrahlt. Süßwasser wird aus der | |
institutseigenen Meerwasserentsalzungsanlage gewonnen. | |
Ingenieure des Energieparks vermessen den Nutzen der Häuser: Fühler in den | |
Wohnräumen melden die Daten an eine Zentrale. Temperatur, Luftfeuchtigkeit | |
und Windgeschwindigkeit werden ausgewertet. Denn das von internationalen | |
Architekten entworfene bioklimatische Dorf auf Teneriffa soll eine Vorlage | |
auch für den sozialen Wohnungsbau der Zukunft bieten. | |
„Es ist als Versuchsprojekt für Architekten und Investoren weltweit | |
gedacht, um sich umfassend über Möglichkeiten des bioklimatischen Bauens zu | |
informieren“, sagt Ricardo Melchior, der Inselpräsident von Teneriffa, beim | |
Gang über die Anlage. „Vielleicht gefällt einer von unseren 24 | |
Lösungsansätzen.“ Das sei nicht nur für Reiche, sondern „jeder kann das | |
machen“. Der freundliche Melchior ist ein Visionär, sein großes Vorbild ist | |
die Weißenhofsiedlung in Stuttgart. Sie wurde 1927 vom Deutschen Werkbund | |
unter der Leitung von Ludwig Mies van der Rohe errichtet. „Sie gilt heute | |
noch als herausragendes Beispiel neuen Bauens“, sagt Melchior. „Wir wollen | |
die Vorreiter des energiesparenden Bauens sein.“ | |
## Kreative Häuser | |
Viele der Architektenentwürfe auf dem Gelände von Iter wirken futuristisch: | |
Häuser mit riesigen Glasfassaden, die die Sonne speichern, Häuser mit | |
bunkergleichen Schießschartenfenstern, Häuser, die fast in der Erde | |
verschwinden. Eine Ansammlung kreativer Entwürfe, die Wohnkomfort und | |
Klimaneutralität miteinander verbinden wollen. Jedes Haus ist besonders und | |
erfüllt doch die Kriterien: „Eine Siedlung, deren Bauten genau auf die | |
Klimaverhältnisse des Standortes zugeschnitten sind“, weiß die | |
Projektkoordinatorin Miren Irarte. Sie ist auch zuständig für die | |
touristische Vermarktung der Häuser. | |
Stolz zeigt sie die Designermöbel in den Häusern – vorzugsweise in Weiß, | |
Braun, Orange und Rot, teilweise aus haltbarer Plaste. Effiziente | |
Hausgeräte und andere Spareinrichtungen zielen auf einen geringen Verbrauch | |
von Energie und Wasser. Moderne Küchen, großzügige Wohnräume lassen die | |
Häuser luxuriös, elegant erscheinen – 120 Quadratmeter Fläche verteilt auf | |
drei bis vier Schlafräume und das Wohnzimmer. | |
Seit 2011 können die Häuser für einen Ferienaufenthalt gemietet werden. Von | |
Familien oder Surfern, die ihr Revier im nahegelegen El Médano haben. Die | |
kleine Stadt im Südosten Teneriffas ist von Bettenburgen verschont | |
geblieben. Der längste und hellste Naturstrand von Teneriffa erstreckt sich | |
sichelförmig über eine Länge von mehreren Kilometern. Feiner Sand | |
eingerahmt von Tuff-Felsen. Im Badeort El Médano warten die Wind- und | |
Kitesurfer auf die perfekte Welle. | |
Um von zum sechs Kilometer entfernten abgelegenen Iter-Gelände zu kommen, | |
braucht man einen Mietwagen oder ein Taxi. „Die Anlage ist natürlich vor | |
allem für Tagungen von Architekten und Ingenieuren gedacht. Doch wenn wir | |
Platz haben, dann ist es sinnvoll, sie touristisch zu nutzen“, sagt | |
Melchior. | |
Fünf Millionen Besucher zählt Teneriffa jedes Jahr. Melchior ist sich | |
sicher, „dass es darunter einige gibt, die sich für Nachhaltigkeit | |
interessieren und die das Gelände und den dortigen Umweltpark mit großem | |
Interesse besuchen.“ Insgesamt drei Windparks sind innerhalb der Anlage | |
entstanden. Was als Pilotprojekt begann, kann mittlerweile als | |
erfolgreiches Unternehmen bezeichnet werden. Der Iter-Windpark ist zu einem | |
kanarischen Vorzeigeobjekt von Weltruf geworden. Derzeit werden in dem Park | |
jährlich 35 Gigawatt Energie erzeugt und in das öffentliche Netz | |
eingespeist. Man experimentiert mit verschiedenen Modellen, um die | |
effektivste Methode zu erforschen. | |
Ein kleiner Umweltpark auf dem Gelände erklärt Sonnenkollektoren und zeigt | |
Modelle der Wasser- und Windenergienutzung im Miniformat. „Wir – der | |
Ingenieur Manolo Cendagorta und ich – sind seit 36 Jahren mit dem Thema | |
regenerative Energien beschäftigt. Und niemand glaubte daran“, erzählt | |
Melchior in bestem Deutsch, er hat unter anderem an der | |
Ingenieurfachhochschule in Aachen studiert. Im modernen Besucherzentrum des | |
Parks zeigt Melchior einen Film über die Entstehung des bioklimatischen | |
Modelldorfes, in dem die Architekten ihre Idee, ihre Häuser vorstellen. | |
## Wohnen im Labor | |
Touristen als Versuchskaninchen für bioklimatische Häuser? „Warum nicht“, | |
sagt Melchior. „Die Leute müssen das erfahren.“ Für Melchior und seinen | |
Mitstreiter, den Ingenieur Manolo Cendagorta, ist das Projekt ein Schritt | |
dazu, die Insel komplett mit regenerativen Energien zu versorgen. „Unser | |
Ziel ist ’Teneriffa 100‘, 100 Prozent regenerative Energie.“ | |
Auf den Kanaren gibt es kein Erdöl, kein Gas, keine Atomenergie. Und die | |
Inseln sind per se ein dezentrales Energiesystem. „Vor 10 Jahren waren wir | |
Träumer, vor 30 Jahren Spinner. Jetzt sind wir angesagt. Ich bin in die | |
Politik gegangen wegen meiner festen Überzeugung vom Nutzen der | |
regenerativen Energien. Denn wir sagten uns: Wenn wir es nicht machen, wer | |
dann?“ | |
Zuerst Teneriffa, aber Melchior hat auch Ideen für Mauretanien, Tschad, | |
Sudan. „Unsere unmittelbaren Nachbarn sind arm, die Region dort ist | |
trocken. Wir können hier für die afrikanischen Länder Technologien | |
entwickeln: Wasserpumpen, Sonnenenergie, Meerwasserentsalzungsanlagen, | |
Biomassesysteme. Man muss vor Ort mit den Energien arbeiten. Das ist die | |
Zukunft.“ | |
Die Erschaffung dieser CO2-armen Zukunft kann der Urlauber im | |
bioklimatischen Dorf hautnah und geräuschvoll erleben. Falls es zu laut | |
wird, bietet der sieben Kilometer lange ökologische Wanderweg, vorbei an | |
Sonnenkollektoren über das bergige Vulkangestein Richtung El Médano, | |
erholsame Stille. | |
5 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
Edith Kresta | |
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