# taz.de -- Die Eigentumsfrage: Der Kreativgroßhandel: Der Stadtaktivist | |
> Andreas Krüger ist Geschäftsführer des Kreativgroßhandels Modulor. Ohne | |
> ihn sähe Kreuzberg heute anders aus | |
Bild: 1. Mai 2012: Kreuzberg wie es lacht und lebt. | |
Sich mit Andreas Krüger zum Interview zu verabreden, ist, wie auf einen | |
fahrenden ICE aufzuspringen. Krüger, Jahrgang 1965, Tweedsakko, runde | |
Brille, ist so schnell unterwegs, dass man ihn am Ärmel festhalten möchte. | |
Doch zum Innehalten hat der Geschäftsführer des Kreativgroßhandels Modulor | |
und Mitinitiator des Aufbau-Haus-Komplexes am Moritzplatz keine Zeit. | |
Auf dem Weg abwärts von seinem Büro im zweiten Stock hat Krüger | |
Interessenten für die ausgebuchten Ateliers vertröstet. Im Schaufenster der | |
Buchhandlung im Erdgeschoss liegt ein Buch über das Urban-Gardening-Projekt | |
„Prinzessinnengärten“, das er auf die Brache direkt gegenüber vermittelt | |
hat. Gerade will Krüger erzählen, mit wem er derzeit im Gespräch ist, um | |
dem temporären Garten längeres Bleiberecht zu sichern, da klingelt schon | |
wieder das Telefon. Jemand sucht einen Standort für ein Atelierhaus. | |
Natürlich am Moritzplatz. Und natürlich fragt er Krüger. „Ich kriege in | |
letzter Zeit sogar Anfragen von Politikern aus Den Haag und Detroit, die | |
wissen wollen, was sie mit ihren leer stehenden Arealen machen sollen“, | |
sagt der Selfmade-Stadtentwickler. | |
Krüger weiß, wie so etwas geht. Es ist nicht zuletzt seiner Umtriebigkeit | |
geschuldet, dass der ehemalige Unort zwischen Kreuzberg und Mitte zu einer | |
gefragten Location für die Kreativszene wurde. Jeder hier kennt den | |
Modulor-Mann, dessen größtes Talent es ist, die richtigen Leute | |
zusammenzubringen. | |
Als Krüger endlich sitzt, in der Kantine des Co-Working-Spaces Betahaus in | |
der Prinzessinnenstraße – auch hier vermittelte er zwischen der | |
Bürogemeinschaft und dem Vermieter –, erlaubt er sich einen kurzen Moment | |
der Erschöpfung. „Eigentlich bin ich unglaublich fertig von den letzten | |
sechs Jahren“, sagt er. „Aber die gewachsene Verantwortung für den Platz | |
kann man ja nicht so einfach ablegen.“ | |
## Leer stehende Pianofabrik | |
Fünf Jahre ist es her, dass Krüger und seine Partner auf der Suche nach | |
einem neuen Standort die leer stehende Pianofabrik am Moritzplatz | |
entdeckten. Sie fragten den Liegenschaftsfonds, wie man die Immobilie | |
bekommen könne. „Das höchste Gebot zählt“, war die Antwort. Mit einem | |
überzeugenden soziokulturellen und wirtschaftlichen Konzept allerdings gebe | |
es „eine einprozentige Chance“ auf Direktvergabe zum Verkehrswert. „Ein | |
Prozent? Das reicht für einen Versuch“, fanden die Modulor-Leute. Und | |
stellten Krüger ein Jahr lang frei, um ein Konzept zu entwickeln. | |
Krüger schrieb. Und redete, redete, redete. Mit Bezirk, Senat und | |
sämtlichen Verwaltungen. Mit Anwohnern, Ladenbetreibern, Sozialvereinen und | |
der BVG. „Am Ende hatte ich eine Ahnung davon, was dieser Platz brauchen | |
könnte“, sagt Krüger. Das ortssensible Konzept und eine „unermüdliche und | |
immer transparente Kommunikation“ nennt er rückblickend eine | |
Erfolgsstrategie. | |
Ein Jahr später bekam das Unternehmen Modulor, das sich zwischenzeitlich | |
mit dem Besitzer des Aufbau Verlags zusammen getan hatte, den Zuschlag für | |
das 16.000 Quadratmeter große Haus plus Grundstück – zum Verkehrswert von | |
sieben Millionen Euro. Die Idee von einem Kreativhaus mit Kita und Theater | |
hatte Vorrang vor einem Kaufhaus – eine Seltenheit in einem Land mit | |
chronisch klammer Kasse. „Das Aufbau-Haus ist ein Beispiel dafür, dass | |
gelungene Liegenschaftspolitik in Berlin möglich ist“, sagt Krüger. | |
Das aber sei eine Ausnahme. Die Vergabe von Grundstücken erfolge viel zu | |
oft hinter verschlossenen Türen und nach rein monetären Gesichtspunkten. | |
„Wir brauchen einen zentralen Raumbeauftragten, der zwischen Raumnutzern, | |
Politik und Verwaltung, Anwohnern, Eigentümern oder Investoren vermittelt“, | |
findet Krüger. Der Liegenschaftsfonds und die Politik seien zu sehr mit | |
Verwaltungsarbeit belastet, um das zu leisten. | |
## Nichts geht ohne Krüger | |
Er selbst macht diesen Job seit ein paar Jahren recht erfolgreich. Ob bei | |
der Neuausschreibung der Kreuzberger Markthalle, der Entwicklung des | |
Blumengroßmarktquartiers an der Besselstraße oder bei der | |
liegenschaftspolitischen Initiative „Stadt Neudenken“ – nichts geht ohne | |
Krüger. Als echten Stadtplaner sieht er, der in Berkeley Environmental | |
Design studierte, sich dennoch nicht. „Ich bin nur ein Stadtaktivist.“ | |
Was natürlich stark untertrieben ist. Denn Krüger hat ein in der Berliner | |
Stadtplanung ebenso seltenes wie wertvolles Talent: ein Gespür für Orte. | |
Standortentwicklung bedeutet für ihn nicht das Überstülpen eines | |
Masterplans von außen und oben – sondern ein gründliches Hineinhorchen in | |
eine Gegend, das Ermitteln von Bedürfnissen und ein darauf abgestimmtes, | |
langfristiges Konzept. Wie am Moritzplatz. Wo viele erst jetzt das | |
Aufblühen der Gegend sehen, ist für Krüger die erste Sättigung schon wieder | |
erreicht: „Jetzt müssen wir gegensteuern – sonst droht eine | |
Überkreativisierung.“ | |
Es brauche eine Werkstatt Moritzplatz, „einen Beteiligungsprozess, der alle | |
Anwohner aus ihren Löchern holt“. Krüger wird wieder viel reden müssen, mit | |
allen. Gut, dass er ein Zimmer direkt am Moritzplatz hat, wenn es wieder | |
spät wird. Und gut, dass er am Wochenende ins Wendland fahren kann, wo er | |
mit Frau und Kindern einen kreativ-ökologischen Bauernhof betreibt. | |
Allerdings hat er auch dort ein Netzwerk ins Leben gerufen: „Innovation im | |
ländlichen Raum – Grüne Werkstatt Wendland“. Auch auf dem Land braucht es | |
Aktivisten mit Sensibilität. | |
4 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
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