Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Entwickler über Spiele und Regeln: Alle Gesetze werden gebrochen
> Was können Gesetzgeber von Brettspielern lernen? Eine Menge, meint
> Spiele-Entwickler Casasola Merkle. Ein Gespräch über Filesharing,
> Florida-Rolf und Grundeinkommen.
Bild: Wie im echten Leben: Spieler machen mit, solange es fair bleibt.
taz: Herr Casasola Merkle, Sie sind quasi seit 15 Jahren in der
Gesetzgebung tätig: Sie schaffen Brettspielwelten und versehen sie mit
Regeln. Was muss man dabei beachten?
Dass die Leute sich frei fühlen. Die Spieler begeben sich ja freiwillig in
ein System von willkürlichen Regeln, die sie akzeptieren müssen, was
erstmal einengt. Es sollte daher möglichst wenige Regeln geben und die
müssen möglichst einfach sein – die Spielwelt aber trotzdem sehr
vielfältig. Du bietest idealerweise nur einen Handlungsrahmen, der schöne
Effekte hat.
Was sind dabei gute Regeln?
Solche, die von den Menschen akzeptiert werden. Die sie verstehen können.
Und die sie auf das Ziel hinleiten, das ich mir vorstelle – ohne die
Spieler zu zwingen. Schlechte Regeln hingegen sind wie mit dem
Vorschlaghammer gemacht. Ein direktes 'Ich sag dir genau, was du zu tun
hast' wirkt immer sehr negativ. Es gibt in Spielen deshalb viele Regeln,
die indirekt wirken.
Was bedeutet das konkret?
Ich habe zum Beispiel gerade ein Spiel gemacht, bei dem ich möchte, dass
sich alle Spieler auf dem Spielbrett ausbreiten und nicht nur in einer Ecke
rumknapsen. Jetzt könnte ich als Regel machen: 'Du musst bei jedem Zug, den
du machst, in die Mitte ziehen'. Ich mache das aber lieber über Anreize. In
der Mitte sind die Rohstoffe günstiger, da kann ich mehr entdecken, da ist
auch noch ein Vulkan – das ist spannender.
Was haben Sie als Spieleentwickler über den Umgang mit diesen Regeln
gelernt?
Eine Regel, die man nicht akzeptiert, weil man sie doof oder seltsam
findet, die wird nicht eingehalten. Das sieht man aktuell beim Filesharing,
wo es einfach noch keine vernünftige Regel gibt, auf die sich alle einigen
können – und deswegen wird das aktuelle Gesetz einfach von der Gesellschaft
gebrochen.
Aber alle Gesetze werden gebrochen.
Stimmt, auch Regeln, die einsichtig sind, werden von einzelnen Menschen
nicht befolgt. Und dann kommen Reaktionen wie: 'Oh Gott, es gibt
Florida-Rolf, wir müssen eine neue Regel machen', anstatt zu sagen: 'Okay,
natürlich gibt es halt einen, der in Florida Hartz IV bezieht, aber damit
können wir leben'. Denn es gibt ja in Gesellschaften immer eine Schwelle,
ab der alle bei Verbotenem mitmachen. Solange unerwünschte Nebeneffekte
eines Gesetzes aber unter dieser Schwelle sind, hat man eigentlich kein
Problem. Mit Grauzonen und Schlupflöchern muss man umgehen können. Und
überhaupt spielen die wenigsten Leute Spiele nach den richtigen Regeln.
Die Leute spielen falsch?
Was ist richtig oder falsch? Was am meisten Spaß macht, ist richtig. Aber
tatsächlich sind Spiele wie Märchen: Da werden die Regeln mündlich
weitergegeben und man spielt halt so, wie man es von seinen Freunden gehört
hat. So gesehen spielen die meisten Leute die Spiele falsch. Spiele müssen
deswegen robust sein: Wenn sich die Leute nicht an die Regeln halten
wollen, sie nicht verstehen oder sie ein wenig ändern, muss es trotzdem
funktionieren. Denn ein Gesetz, bei dem alles zusammenbricht, weil ein paar
Leute nicht mitmachen – das geht nicht.
Worauf kommt es außer auf Regeln noch an?
Gerechtigkeit. Die Leute können ganz gut damit umgehen, wenn mal jemand
zufällig ein Plättchen zieht und was Besseres kriegt, denn die Chance hat
jeder. Aber wenn ein Spieler strukturell immer bevorteilt oder
benachteiligt wird, etwa, weil er als Erster agieren darf – darauf
reagieren die Spieler sehr allergisch. Deswegen versuchen wir solchen
Fallen auszuweichen und zu verhindern, dass es zu Verkrustung kommt.
Verkrustung?
Um bei meinem Beispiel zu bleiben: Angenommen, alle haben die gleichen
Regeln, wer aber zuerst beim Vulkan ankommt, der kriegt dadurch so eine
Übermacht, dass die Anderen gar nicht mehr mitspielen müssen. Das geht
nicht, ist aber bei vielen Spielen so: Sie sind am Anfang reizvoll und
laufen dann auseinander, weil ein Spieler einfach zu mächtig geworden ist.
Dann macht es den Anderen aber keinen Spaß mehr. Man denke an Monopoly.
Wie verhindert man das?
Solange noch Dynamik und Fluss da ist, kann man auch kleinere
Ungerechtigkeiten verschmerzen. Denn die Spieler brauchen immer einen
gewissen Sockel an Selbstwirksamkeit. Wenn ich in einem Spiel oder in der
Gesellschaft hingegen das Gefühl habe, dass das, was ich tue, keine
Auswirkungen hat, dann werde ich einfach frustriert und unproduktiv. Im
Grunde kann man das gut mit der Marktwirtschaft vergleichen.
Das klingt jetzt steil.
Nun: Die Marktwirtschaft ist gewissermaßen auch ein Spielsystem. Solange
alle ungefähr gleich viel besitzen, macht es Spaß, aber mit der Dauer ist
das Einkommen so unterschiedlich verteilt, dass einzelne Teilnehmer einfach
keine Lust mehr haben. Bloß müssen die Leute bei der Marktwirtschaft immer
weiterspielen, bei einem Brettspiel legen sie hingegen die Schachtel weg.
Wir mussten also tatsächlich Marktsysteme erfinden, die funktionieren und
Spaß machen. Und auch noch begreiflich sind, also nicht mit 800 Regeln.
Was gibt es da für Möglichkeiten?
Ein wichtiger Schritt war die Trennung vom Geld, das du im Spiel hast, und
den Siegpunkten, die du am Ende brauchst, um zu gewinnen. Ursprünglich war
es so: Ich bekomme Geld. Das kann ich investieren, um noch mehr Geld zu
kriegen. Und wer am Ende das meiste Geld hat, gewinnt. Die Entkopplung hat
dazu geführt, dass die Spiele auch für die Leute interessant bleiben, die
weiter hinten liegen. Zudem hat man so die Möglichkeit, zu sagen: Jeder
kriegt 50 Goldstücke pro Runde. Und wenn ich schlecht investiert habe, kann
ich trotzdem noch weiterspielen.
Also praktisch ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Genau das! Bei Brettspielen machen wir das seit Jahren. Weil es einfach die
Marktteilnehmer im Spiel hält und denen weiter Spaß bereitet.
5 May 2012
## AUTOREN
Michael Brake
## TAGS
Göttingen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Spieleautorentreffen in Göttingen: Hydra-Herzen und Menschenaffen
Das klassische Gesellschaftsspiel lebt, auch in Zeiten von Online- und
Smartphone-Gaming. Am Wochenende trafen sich rund 200 Autoren zum
Austausch.
„Mensch ärgere Dich nicht“-Jubiläum: Hundert Jahre Schadenfreude
1912 erfand ein Münchner „Mensch ärgere Dich nicht“. Was der Erfolg des
Spiels mit dem Ersten Weltkrieg zu tun hat und warum es im Hirn ähnlich
wirken soll wie Sex.
Norweger gewinnt Monopoly-WM: Der Superkapitalist
Seit 1973 treten bei Monopoly-Weltmeisterschaft Brettspiel-Kapitalisten
gegeneinander an. In diesem Jahr gewinnt ein Norweger, in nur 40 Minuten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.