# taz.de -- Francois Hollande erobert die Bastille: Historischer Sieg eines Unt… | |
> Sturm auf die Bastille: François Hollande wird Präsident. Zäh und | |
> beharrlich kletterte der sozialistische Karrierepolitiker nach oben. | |
> Dafür hat er wie ein Sportler trainiert. | |
Bild: Anhänger der sozialistischen Partei feiern den neuen Präsidenten Frankr… | |
PARIS taz | Strahlende Gesichter auf dem Place de La Bastille, wo sich die | |
Anhänger der Linken am Sonntagabend versammeln: Zum ersten Mal seit 17 | |
Jahren schafft ein Sozialist wieder den Sprung in den Élyséepalast. | |
François Hollande schlägt den amtierenden Präsidenten Nicolas Sarkozy bei | |
der Stichwahl. Die erste Hochrechnungen zeigen zwischen 52 und 53,3 | |
Prozent. | |
Der Sieger ist ein Politiker, der sich im Verlauf der Wahlkampagne | |
erstaunlich gewandelt hat: Aus einem Parteikämpen, den man bei den | |
Sozialisten bis dahin eher zum zweiten Glied der Prominenz gezählt hatte, | |
ist unversehens ein Staatsmann von der Statur eines Präsidenten geworden. | |
Wie das Hollande geschafft hat, ist fast eine Anleitung für die | |
Karriereplanung des politischen Nachwuchses. | |
Natürlich hatte er – wie so viele Streber in Frankreich – angeblich schon | |
als kleiner Junge gesagt, eines Tages werde er Präsident werden. Nur seine | |
Mutter Nicole Hollande glaubte unentwegt bis zu ihrem Tod vor zwei Jahren | |
daran. In seiner Kindheit in Rouen, wo François und sein Bruder Philippe | |
auf die Welt kamen, sympathisierte die Mutter, eine ehemalige | |
Sozialarbeiterin, heimlich mit der Linken. | |
Schon in seiner Zeit als Gymnasiast in Neuilly-sur-Seine begann sich der | |
junge Hollande für die Politik zu interessieren. Anders als viele | |
Altersgenossen begeisterte er sich nach dem Mai 68 aber nicht für Mao oder | |
Trotzki: Hollande fand im Sozialisten François Mitterrand sein Idol und in | |
der Parteipolitik seine Berufung. Seine akademische Laufbahn ist ein | |
Modellfall für die französische Kaderschmiede: Er besuchte die | |
Elitehandelshochschule HEC, studierte Politische Wissenschaften an der | |
Pariser Sciences Po und ging schließlich an die Verwaltungshochschule ENA. | |
In der ENA lernte er auch seine langjährige Lebensgefährtin Ségolène Royal | |
kennen, mit der er zwei Söhne und zwei Töchter hat. Beide arbeiteten viele | |
Jahre zusammen: Mitterrands Berater Jacques Attali rekrutierte das Paar als | |
Mitarbeiter für die Präsidentschaftskampagne von 1981. | |
## Handwerk vom Gegner gelernt | |
Das Handwerk der Politik aber lernte Hollande von einem Gegner: Jacques | |
Chirac. „Schickt uns einen kleinen linken Chirac“, hatten die lokalen | |
Sozialisten in Tulle für den bevorstehenden Wahlkampf von 1981 nach Paris | |
telegrafiert. | |
26 Jahre alt war Hollande, als er mit seinem Köfferchen im Bahnhof von | |
Tulle aus dem Zug ausstieg, um gegen den Star der Gaullisten in dessen | |
Wahlbastion anzutreten. „Fallschirmspringen“ nennt man in Frankreich eine | |
solche Kandidatur in einem fremden Wahlkreis. Eigentlich war es eher ein | |
politisches Selbstmordkommando: Gegen Chirac, der in diesen Landstrichen | |
jeden Bürgermeister duzte und jeden Bauern samt seinen Kühen kannte, hatte | |
François Hollande zunächst keine Chance. | |
Doch er krallte sich fest. Während Chirac in Paris seine Karriere als | |
Minister, Parteichef der Gaullisten, als Bürgermeister der Hauptstadt, | |
Regierungschef und Staatspräsident fortsetzte, wurde Hollande Gemeinderat, | |
dann Abgeordneter und dann Parteichef der Sozialisten. Bis heute ist er | |
Vorsitzender des Départements Corrèze. Nur Minister wurde er nie. | |
Schon als Parteichef der Sozialisten wirkte er wie eine | |
Verlegenheitslösung. In einem Punkt waren sich seine Freunde und Gegner | |
lange einig: Diesem gewiss intelligenten und sympathischen Politiker fehlte | |
jegliches Charisma, das in Frankreich eine Führungspersönlichkeit | |
auszeichnet. | |
„Flanby“, wie eine Pudding-Marke in Frankreich, nannten ihn in der Partei | |
hämisch interne Rivalen. „Ehrlich, können Sie sich Hollande als Präsidenten | |
vorstellen? Sie träumen wohl“, hatte noch im März vor einem Jahr sein | |
Rivale Laurent Fabius gespottet. Doch bei den Vorwahlen im Jahr 2011 zur | |
Nominierung des Präsidentschaftskandidaten setzte er sich klar durch. | |
## Trainiert wie ein Sportler | |
Noch vor wenigen Wochen versuchten Hollandes Gegner den Wählern einzureden, | |
der Kandidat der Sozialisten sei doch einfach zu „weich“ und schier | |
unfähig, eine Entscheidung zu treffen. Nach der ersten Wahlrunde und vor | |
allem nach dem Fernsehduell gegen Sarkozy musste man sich im Lager der | |
konservativen Regierungspartei eingestehen, dass man diesen Hollande total | |
unterschätzt hatte. Er war nicht mehr derselbe. Wie ein Sportler hatte er | |
seit mehr als einem Jahr für diesen Kampf trainiert. | |
Selbst sein Auftreten ist anders geworden. Er hat 15 Kilo abgespeckt, wirkt | |
energisch. Zu diesem neuen Look hat ihm seine neue Lebensgefährtin, die | |
Fernsehjournalistin Valérie Trierweiler, verholfen. Eine modische Brille, | |
dunkel getönte Haare unterstreichen zusammen mit der durch intensives | |
Coaching getrimmten Sprechweise das neue Selbstbewusstsein des François | |
Hollande. | |
Jenen, die sich über seine neue Selbstsicherheit wunderten, erklärte | |
Hollande, er passe in einen bestimmten „Moment“ der Zeitgeschichte | |
Frankreichs. Die starke persönliche Ablehnung seines Vorgängers hat eine | |
Nachfrage für einen Politiker wie Hollande geschaffen, der als „normaler“ | |
Staatschef in seinem Stil das pure Gegenteil des „Hyperpräsidenten“ Sarkozy | |
sein will. | |
6 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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