# taz.de -- Katholische Arbeitsuniversität in Peru: Bildung im Ghetto | |
> Perus Hauptstadt Lima ist wie viele andere Metropolen von Elendsvierteln | |
> umgeben. Eines heißt Pachacñtec – und hat eine bemerkenswerte | |
> Bildungsinitiative. | |
Bild: So trist kann Hoffnung aussehen: der Campus mitten in der Wüste am Rande… | |
LIMA taz | Gloria Ramos stellt die Kalkulation für ihr „Karito“ vor. So | |
soll der kleine Buch- und Kopierladen heißen, den sie aufbauen will. Und | |
zwar in einem Pueblo Joven, einem der Stadtviertel Limas, die oftmals über | |
Nacht durch das Besetzen von Land entstehen. | |
Rund um Perus Hauptstadt werden die Pueblo Joven quasi in die Wüste gesetzt | |
– denn die Neun-Millionen-Metropole ist von schmutzig-ockergrauen | |
Sandhügeln umgeben. | |
Gloria Ramos bewirbt sich bei der Stiftung Integrale Entwicklung Neues | |
Pachacñtec um einen Mikrokredit. Eine dreiköpfige Jury hört sich die | |
Kalkulation an. „Gloria hat den Studiengang Verwaltung genauso wie ich an | |
der Arbeitsuniversität abgeschlossen“, flüstert Waldo Zapata. Der junge | |
Mann, 23, arbeitet für die Universidad laboral, die Arbeitsuniversität. | |
Manchmal führt er Besucher über das sandige Areal im Norden Limas. Ein | |
großes Eingangstor aus grauem Beton markiert den Eingang zur etwas anderen | |
Ausbildungsstätte, einem Centro de Estudio y Desarrollo comunitario, dem | |
Gemeinschaftlichen Studien- und Entwicklungszentrum. | |
## Jugendlichen eine Perspektive bieten | |
Die Arbeitsuniversität besteht derzeit aus einem Dutzend Pavillons zwischen | |
Sandhügeln und frisch gesetzten Baumreihen. „Das ist Teil eines | |
Aufforstungsprojekts, das auch zur Bildungsinitiative gehört“, erklärt | |
Zapata. „Die Arbeitsuniversität ist darauf ausgerichtet, Jugendlichen aus | |
Pachacñtec und benachbarten Stadtvierteln eine Perspektive aufzuzeigen. | |
Die Ausbildung hat einen direkten Bezug zum Arbeitsmarkt und gut 93 Prozent | |
unserer Absolventen finden direkt im Anschluss eine Arbeit“, erklärt der | |
junge Mann mit den sorgsam gescheitelten pechschwarzen Haaren und dem | |
Jackett zur Jeans. Er stammt aus dem Viertel, hat hier gelernt zu | |
präsentieren, zu kalkulieren, zu verwalten, und gehört zu den Ersten, die | |
die Arbeitsuniversität abgeschlossen haben. | |
Initiator der Arbeitsuniversität war der damalige Pfarrer von Pachacñtec, | |
Javier del Río. „Ich habe verfolgt, wie rund 50.000 Menschen die Sandhügel | |
hier in Besitz nahmen. Es war eine dieser Besetzungen, die quasi über Nacht | |
stattfinden“, erinnert sich der 54-Jährige. „Die Menschen waren arm, die | |
Zustände verheerend. Da mussten wir etwas unternehmen. Für die Leute hatte | |
die Ausbildung ihrer Kinder Priorität“, sagt del Río, der heute als | |
Erzbischof in Arequipa arbeitet und nur noch gelegentlich in Pachacñtec | |
vorbeischaut. | |
Da die katholische Kirche das Projekt nicht alleine stemmen konnte, ging de | |
Río Klinkenputzen. Zum Beispiel bei Repsol YPF, dem führenden Erdölkonzern | |
im spanischsprachigen Raum. Repsol betreibt wenige Kilometer vor Pachacñtec | |
die größte Raffinerie Perus, La Pampilla. | |
## Sprungbrett aus der Armut | |
„Die brauchen qualifizierten Nachwuchs, wir wollten die Ausbildung auf die | |
Beine stellen. Das war für beide Seiten eine Win-win-Situation und so haben | |
wir begonnen zusammenzuarbeiten“, erklärt der Erzbischof schmunzelnd. Der | |
Kirchenmann konnte die Familie Rizo Patrón überzeugen, dem Projekt den | |
Zement für den Bau der Pavillons zu überlassen. Mehrere Unternehmen wurden | |
als Partner für die Ausbildung gewonnen, um der marginalisierten Jugend | |
Perspektiven aufzuzeigen. | |
„Zum Elektriker, Raffinerieangestellten, Verwaltungsspezialisten, Frisör, | |
Koch und demnächst auch zum Kellner bilden wir aus“, erklärt Waldo Zapato. | |
Für jeden Ausbildungszweig gibt es einen Sponsor. So werden die Elektriker | |
dank der Hilfe des spanischen Stromkonzerns Endesa ausgebildet und sie | |
werden dank der engen Kooperation mit dem Unternehmen in aller Regel auch | |
direkt vermittelt. | |
Erzbischof Javier del Río leitet die Stiftung, die das Projekt trägt. „Ziel | |
ist es, der Welt der Armut zu entrinnen“, erklärt sein Mitarbeiter Miguel | |
Irizar ein wenig pathetisch. Die Realität rund um die Universität, zu der | |
auch eine Grundschule und eine weiterführende Schule gehören, gibt ihm | |
Recht. Derzeit sind 1.039 Schüler aller Altersgruppen eingeschrieben, so | |
Schulleiterin Ximena Longono. | |
## Der Traum vom Schönheitssalon | |
Gut dreihundert dieser Schüler absolvieren ihre Ausbildung von zwei bis | |
drei Jahren in den verschiedenen Ausbildungsgängen. „Bei den Frauen ist der | |
Traum vom eigenen kleinen Schönheitssalon recht ausgeprägt“, erklärt Waldo | |
Zapato, als er die Tür zum Pavillon öffnet, wo mehrere Frauen sitzen und | |
sich geduldig die Haare von den Azubis färben lassen. Insgesamt sind es | |
zwanzig Lehrlinge, die an dem Kurs teilnehmen, der von einer großen | |
Kosmetikfirma mitfinanziert wird. | |
Doch die Ausbildung an der Arbeitsuniversität ist nicht kostenlos, wie die | |
Leiterin der Kochschule Rocío Heredia erklärt. „Im ersten Jahr haben wir | |
den angehenden Köchen alles finanziert, bis zu den eigenen Messern. Das war | |
ein Grund, weshalb nur neun von zwanzig Schülern den Kurs bis zum Ende | |
absolviert haben. Es war zu leicht“, erklärt die agile Frau. Sie ist der | |
verlängerte Arm des peruanischen Starkochs Gastón Acurio. Der wurde im Jahr | |
2007 von Javier del Río angesprochen und war sofort Feuer und Flamme für | |
das Projekt, das bereits einen Ableger in Arequipa hat, wo del Río etwas | |
Ähnliches aufbaut. | |
## Der Sinn des Schulgelds | |
Die Kochschule in Arequipa ist schon eingeweiht worden, denn schließlich | |
lief in Pachacñtec fast alles nach Plan. Im Jahr 2009 wurden die ersten | |
Köche ausgebildet, die heute allesamt in renommierten Restaurants von Lima | |
kochen, und in den Folgejahren waren es jeweils zwanzig Köche und | |
Köchinnen, die den Kurs absolvierten. | |
Rund einhundert Soles, umgerechnet dreißig Euro, kostet er derzeit pro | |
Monat, allerdings gibt es auch ein Stipendiumprogramm. Die eigentlichen | |
Kosten betragen das Zehnfache, aber die Differenz tragen Stiftung und | |
Sponsoren. | |
Die Gebühren haben aber, so Rocío Heredia, für mehr Disziplin und | |
Zielstrebigkeit der Schüler gesorgt. Dafür sorgt auch die Konkurrenz, denn | |
für mehr als 200 Bewerber gibt es nur zwanzig Plätze pro Semester. In den | |
anderen Ausbildungssparten ist das ähnlich. Wer die Ausbildung durchhält, | |
hat exzellente Chancen. | |
## Selbstbewusstsein stärken | |
„Hier hilft man sich gegenseitig“, erklärt Waldo Zapato. Er ist auch | |
Ansprechpartner für Schüler, die Probleme haben. Sei es finanzieller, | |
unterrichtsspezifischer oder psychologischer Natur. „Vor allem am Anfang | |
der Ausbildung ist das Selbstbewusstsein nicht sonderlich ausgeprägt, da | |
brauchen viele Schüler Hilfe.“ Dafür stehen Psychologen, Vertrauenslehrer, | |
aber auch Seelsorger zur Verfügung. Schließlich ist die Arbeitsuniversität | |
eine katholische Einrichtung und folgerichtig steht auch eine Kapelle auf | |
dem Areal. | |
Vorzüge des Ausbildungsprojekts, welches sich vom staatlichen Angebot stark | |
unterscheidet: Es wird gefördert, nicht auf überholte, pädagogische | |
Konzepte gesetzt. „Das ist ein Kernproblem des peruanischen | |
Bildungssystems, es wird kaum evaluiert, kaum investiert und erneuert“, | |
betont Salomón Lerner, ehemaliger Rektor der katholischen Universität von | |
Lima. „Ich begrüße, dass nun auch Privatunternehmen helfen, der Armut mit | |
Bildung zu begegnen.“ | |
Bildungsinitiativen hat auch die seit Juli 2011 agierende Regierung von | |
Ollanta Humala angekündigt, doch die lassen auf sich warten. Folgerichtig | |
agiert die Arbeitsuniversität bisher vollkommen unabhängig von staatlicher | |
Förderung. | |
Das gilt auch für das Kreditprogramm der Stiftung, welches Gloria Ramos | |
durchlaufen wird. Die Jury war angetan von ihrer Idee – Buch- und | |
Kopierläden werden gebraucht, wenn man die Armut bekämpfen will. | |
9 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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