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# taz.de -- Arbeiter klagen gegen Recyclingfirma Envio: Hochgiftig, aber kein G…
> Arbeiter des Envio-Konzerns und ihre Angehörigen weisen extrem hohe
> PCB-Werte im Blut auf. Ob das als Beweis gegen die Konzern-Führung
> ausreicht, ist unklar.
Bild: Protest gegen die Firma Envio vor dem Dortmunder Landgericht.
DORTMUND taz | „PCB ist kein Gift“: Wenn Thomas Kraus, Leiter des Instituts
für Arbeits- und Sozialmedizin der TH Aachen, diesen Satz hört, kann er ein
sarkastisches Lachen nur mit Mühe unterdrücken. „Das mag eine juristische
Definition sein“, sagt der Professor dann – „weil die toxische Wirkung
nicht unmittelbar erkennbar ist.“ Aus medizinischer Sicht seien die
Polychlorierten Biphenyle sehr wohl als hochgiftig anzusehen, sagt er.
Denn Kraus hat die giftige Wirkung der PCB fast täglich vor Augen. Er
leitet das Langzeitprogramm, in dem die Envio-Arbeiter und ihre Angehörigen
betreut werden – über die verseuchte Arbeitskleidung schleppten sie das
Gift mit in ihre Wohnungen, über die Waschmaschinen wurde selbst die
Kleidung der Kinder kontaminiert. „Derzeit betreuen wir 294 Erwachsene und
15 Kinder“, sagt der Mediziner.
„Das sind ehemalige Angestellte von Envio, Leiharbeiter, Mitarbeiter von
benachbarten Firmen, Angehörige – und drei Kleingärtner, die belastetes
Gemüse gegessen haben.“ Sie alle haben PCB im Blut, teilweise mehr als
25.000-mal mehr als normal – nach jahrzehntelangem weltweitem Gebrauch
trägt jeder Mensch PCB-Spuren in sich.
Bei seinen Patienten beobachtet Kraus schon heute „Beeinträchtigungen des
Hormonhaushalts“, „Erkrankungen der Schilddrüse“, „akneähnliche
Hautveränderungen“ und „Pigmentstörungen“, „Störungen des zentralen
Nervensystems“ mit einhergehenden Konzentrationsschwächen,
„Bewegungsstörungen“ – und natürlich Angst. „Viele leiden sehr unter
depressiven Verstimmungen“, sagt Kraus – die Furcht vor Ausbruch einer
schweren Krankheit lähmt sie.
## Polychlorierte Biphenyle sind Gifstoffe
Wie Kraus wertet auch das nordrhein-westfälische Umweltministerium die
Polychlorierten Biphenyle als Giftstoff-Gruppe. Envio-Chef Dirk Neupert
könne sich durchaus „gefährlicher Körperverletzung“ schuldig gemacht hab…
heißt es in einer Eingabe von Beamten des grünen NRW-Umweltministers
Johannes Remmel an die zuständige 35. Große Strafkammer des Dortmunder
Landgerichts, die der taz vorliegt – und verweisen auf Untersuchungen der
weltweit größten staatlichen Umweltbehörde, der Environmental Protection
Agency (EPA) der USA.
Neuperts Anwalt Ralf Neuhaus dagegen wertet die Eingabe des Ministeriums
als „populistische Unverschämtheit“. Minister Remmel habe nicht nur die
„garantierte Unabhängigkeit der Gerichte“ missachtet – die Verletzung der
Gewaltenteilung als „tragendes Verfassungsprinzip“ enthalte „mehr an
Unrecht“, als „die Angeklagten jemals hätten verwirklichen können“,
echauffiert sich der Jurist, der an der Universität Bielefeld lehrt.
Die Dortmunder Staatsanwaltschaft argumentiert deshalb sehr vorsichtig. Es
gebe auch Gutachter, die keinen Zusammenhang zwischen den erhöhten
PCB-Werten im Blut der einstigen Envio-Arbeiter und deren Erkrankungen
sähen, sagt Staatsanwältin Ina Holznagel. Trotzdem stütze sich die Anklage
auf die „etwas waghalsige Konstruktion“, nach der bereits das Vorhandensein
bestimmter PCB-Verbindungen, die nur aus den Envio-Transformatoren stammen
könnten, im Körper in Zukunft eine „Veränderung der Zellstruktur“ bewirk…
könnten – zur Frage, ob der Nachweis erhöhter PCB-Werte allein als
Körperverletzung gewertet werden könne, gebe es „keine Präjudizien“, also
keine einschlägige Rechtsprechung.
Wahrscheinlich sei deshalb ein langwieriges Verfahren durch alle Instanzen,
sagt Holzapfel. Endgültig über Envio entscheiden werde erst der
Bundesgerichtshof, glaubt sie: „Aber sicher.“
10 May 2012
## AUTOREN
Andreas Wyputta
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