# taz.de -- Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: Wo Röttgen mal recht hat | |
> Natürlich wird am Sonntag in NRW auch über Merkels Europakurs abgestimmt: | |
> Vom Ergebnis hängt ab, wie weit die Kanzlerin auf die SPD zugehen muss. | |
Bild: Röttgens Wahlergebnis ist auch für die Kanzlerin in Berlin relevant. | |
Norbert Röttgen hat recht. Wie bitte? Ist der Spitzenkandidat der CDU für | |
seinen Hinweis, die Wahl in Nordrhein-Westfalen sei auch eine Abstimmung | |
über den Europakurs der Bundesregierung, nicht völlig zu Recht mit Hohn und | |
Spott bedacht worden? Liegen all die Kommentatoren falsch, die hier einen | |
Versuch sahen, angesichts der herannahenden Niederlage der Union die Schuld | |
vorsorglich auf Angela Merkel abzuwälzen? Und ist Röttgen nicht auch selbst | |
zurückgerudert? | |
Ein begnadeter Wahlkämpfer wird der Umweltminister nach den vielen Patzern | |
der vergangenen Wochen sicher nicht mehr genannt werden. Dass am Sonntag | |
auch über den Europakurs der Kanzlerin abgestimmt wird, ist aber zunächst | |
einmal eine Binsenweisheit. Natürlich spielen bei einer „kleinen | |
Bundestagswahl“, wie die Abstimmung an Rhein und Ruhr traditionell genannt | |
wird, immer auch Berliner Themen eine Rolle. | |
Gerade in Zeiten der großen Krise wird das Wahlverhalten auch von Fragen | |
beeinflusst, über die in Düsseldorf zwar nicht entschieden wird, deren | |
Beantwortung auf die politischen Spielräume einer Landesregierung aber | |
große Auswirkungen hat: Wie geht es weiter mit dem Euro, kommt der | |
Fiskalpakt, in welcher Form? Und welche Folgen hat das? | |
## Spardiktat auch für Nordrhein-Westfalen | |
Das gilt umso mehr, seit bekannt ist, dass mit dem Austeritätsdiktat auf | |
die Bundesländer „eine Konkretisierung ihrer Sparpolitik“ zukommen könnte, | |
wie die Regierung es formuliert – also: dass der Sanierungsdruck noch | |
einmal deutlich wächst. | |
Als Merkel auf europäischer Bühne den Vertrag aushandelte, wurden – ob | |
gewollt oder nicht – offenbar Unterschiede zwischen Fiskalpakt und | |
deutscher Schuldenbremse übersehen, die bei Inkrafttreten des Vertrags noch | |
nicht absehbare Folgen für die Bundesländer und vor allem für die notorisch | |
klammen Kommunen haben könnten. Von denen gibt es gerade in NRW jede Menge. | |
Röttgen hat aber noch in einer anderen Hinsicht recht damit, dass in | |
Nordrhein-Westfalen auch über Merkels Europapolitik abgestimmt wird – | |
allerdings hat das nicht vordergründig mit der Union zu tun, sondern in | |
erster Linie mit den Sozialdemokraten. | |
Der SPD droht in Düsseldorf, was ihr bereits in Saarbrücken und Kiel | |
widerfahren ist: ein herber Rückschlag. Darüber konnte auch alles grimmige | |
Triumphieren von Parteichef Sigmar Gabriel nicht hinwegtäuschen. Im | |
Saarland hoffte die Partei lange auf einen Sieg, bestärkt durch die Zahlen | |
der Demoskopen. Trotzdem muss sich Heiko Maas nun mit der Rolle des | |
CDU-Juniorpartners zufriedengeben. | |
Zwischen den letzten Umfragen und dem tatsächlichen Wahlergebnis klaffte | |
auch in Schleswig-Holstein für die SPD eine ziemlich deutliche und | |
womöglich entscheidende Lücke. „Das war nicht das“, musste der enttäusch… | |
Spitzenkandidat Torsten Albig eingestehen, „was wir euch versprochen | |
hatten.“ Und auch im Bund klebt die Partei unter 30 Prozent. | |
## Mangelnde Bereitschaft zur Attacke | |
Träume von einem rot-grünen Wechsel in Berlin drohen zu zerplatzen, wenn | |
die SPD ihr offenkundiges Mobilisierungsproblem nicht in den Griff bekommt. | |
Immer mehr Sozialdemokraten sehen den Grund für das Dilemma in der | |
mangelnden Bereitschaft zur Attacke auf Bundesebene bei den wirklich | |
wichtigen Fragen. | |
Vor allem der staatstragende Kurs unter Frank-Walter Steinmeier stößt | |
inzwischen auf offenen Widerstand. Erst am Dienstag musste der | |
Fraktionschef eine herbe Niederlage einstecken – die Mehrheit der | |
Abgeordneten folgte seinem Vorschlag nicht, sich bei der Abstimmung über | |
die Ausweitung des Mandats für die Atalanta-Operation nur zu enthalten, | |
statt mit Nein zu votieren, wofür auch die Fachpolitiker plädiert hatten. | |
Es war dabei übrigens nicht allein der linke Flügel der Fraktion, dessen | |
Unmut Steinmeier zu spüren bekam. | |
Für die Antipiratenmission vor Afrika braucht Merkel die Opposition nicht. | |
Um eine „absolut untergeordnete Nebenfrage“, wie Geschäftsführer Thomas | |
Oppermann hernach behauptete, handelte es sich beim Aufbegehren der | |
SPD-Fraktion gegen ihren Vorsitzenden freilich auch nicht. | |
Denn wenn im Juni oder später im Bundestag über den Fiskalpakt abgestimmt | |
wird, geht es ums Ganze – die Kanzlerin wird dann Stimmen der SPD | |
benötigen. Und hier kommt wieder die Wahl in Nordrhein-Westfalen ins Spiel. | |
Welche Ergänzungen oder Änderungen die SPD am Spardiktat im Gegenzug für | |
ein Ja einfordert, ist in der Partei durchaus umstritten. Die SPD-Linke | |
setzt auf Neuverhandlungen, die Gewerkschaften haben vor einigen Wochen | |
einen Aufruf verabschiedet, in dem „die Ablehnung des Fiskalpakts in seiner | |
gegenwärtigen Form“ gefordert wird. | |
Parteichef Sigmar Gabriel wiederum hatte schon früh eine Transaktionssteuer | |
zur Bedingung gemacht, die von vielen öffentlich als Quasi-Junktim | |
interpretiert wurde. Und seit dem Wahlsieg von François Hollande in | |
Frankreich ist die Chance für ergänzende Wachstumsimpulse größer geworden, | |
für die sich bei der Debatte über Merkels Regierungserklärung am Donnerstag | |
auch Steinmeier ausgesprochen hat. | |
## Ergebnis wird Gangart bis zur Bundestagswahl bestimmen | |
All das steht in Nordrhein-Westfalen zwar nicht zur Wahl – wie weit die SPD | |
beim Fiskalpakt zu gehen bereit ist, hängt aber ganz sicher auch am | |
Ergebnis vom Sonntag. Fehlen wegen einer schwachen SPD am Ende Rot-Grün | |
erneut die Stimmen zu einer eigenen Mehrheit, wird der Druck in der Partei | |
wachsen, mit Blick auf die Wahlen 2013 auch bundespolitisch die Gangart | |
gegenüber Merkel zu verschärfen. Die erste Probe aufs Exempel könnten die | |
Verhandlungen zwischen der Kanzlerin und der Opposition über Spardiktat und | |
Rettungsmechanismus ESM sein. | |
Merkel setzt bisher auf „Wachstum durch Strukturreformen“ und lehnt ein | |
„Wachstum auf Pump“ derzeit noch ab. Intern soll die Kanzlerin aber die | |
Linie vorgegeben haben, mit ernsthaften Angeboten an SPD und Grüne in | |
Sachen Fiskalpakt noch bis nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen zu warten. | |
Die CDU-Vorsitzende wird wissen, warum: Das Ergebnis bestimmt den Preis der | |
Zugeständnisse. Man könnte es auch so sagen: An Rhein und Ruhr wird über | |
Merkels Europakurs abgestimmt. | |
13 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Tom Strohschneider | |
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