# taz.de -- Sachsen spart an der Jugendarbeit: Nazis springen in die Bresche | |
> Die Kürzung des Jugendbudgets verärgert die Projekte, denn ihre Arbeit | |
> sei Nazi-Prävention. In den letzten zwei Jahren fielen mehr als 100 | |
> Stellen weg. | |
Bild: Demonstranten protestieren gegen den Mitte Mai geplanten NPD-Landespartei… | |
DRESDEN taz | „Die Kürzung der Jugendhilfepauschale wirkt sich auf die | |
Präventionsarbeit aus!“, rief der Bautzener Grünen-Stadtrat Claus Gruhl in | |
einer Diskussion der dortigen Stasi-Gedenkstätte zu den Wurzeln des | |
Rechtsextremismus. Nazis würden in die Bresche springen, wenn der Landkreis | |
nur noch die Hälfte seiner Jugendangebote aufrechterhalten kann. | |
Es war nicht die einzige Warnung vor den verheerenden Folgen der | |
sächsischen Haushaltbeschlüsse von 2010. Nach Angaben des Kinder- und | |
Jugendringes Sachsen sind seither bei den freien Trägern der Jugendhilfe | |
mehr als 100 Stellen weggefallen. | |
Durchschnittlich acht Prozent Kürzungen brachte der sächsische | |
Doppelhaushalt 2011/12. Daran musste das sächsische Sozialministerium einen | |
überproportionalen Anteil erbringen. Besonders betroffen waren jene | |
Ausgaben, die über die kommunalen Pflichtaufgaben wie etwa Hilfen zur | |
Erziehung hinausgehen. | |
Die Jugendpauschale, die der Freistaat pro Kopf an die Kommunen überweist | |
und die diese zur Hälfte kofinanzieren müssen, wurde um fast ein Drittel | |
gekürzt. Wollen Kreise und Städte also ihre Angebote im bisherigen Umfang | |
aufrechterhalten, müssen sie diesen Teilrückzug des Landes ausgleichen. | |
## Unter fachlichen Gesichtspunkten nicht zu rechtfertigen | |
Schon ein halbes Jahr nach der Verabschiedung des Sparhaushaltes kündigte | |
im Juni 2011 die sächsische Landjugend ihre Selbstauflösung an. „Auch unter | |
fachlichen Gesichtspunkten ist eine Arbeit unter diesen Bedingungen nicht | |
mehr zu rechtfertigen“, hieß es damals. Die Landjugend erreichte jährlich | |
etwa 12.000 Jugendliche. | |
Im September 2011 verfassten die Dresdner Einrichtungen der Jugendarbeit | |
und Jugendhilfe einen flammenden offenen Brief unter der Überschrift „Vom | |
Sterben der Zukunft“. „Schon jetzt ist ein Großteil der | |
Jugendhilfeeinrichtungen nicht mehr wirkungsvoll arbeitsfähig“, hieß es | |
unter anderem darin. | |
Der Kinder- und Jugendring Sachsen verweist auf die widersprüchlichen | |
Regierungsargumente, im Namen künftiger Generationen den Haushalt | |
gesundzuschrumpfen, die Betreuung dieser Generation aber zugleich sträflich | |
zu vernachlässigen. Und der Bedarf steige, erläutert Geschäftsführerin | |
Wencke Trumpold der taz. „Es gibt viel mehr besondere Fälle, der | |
Familienhalt schwindet.“ Nach einer AOK-Studie wird in Sachsen bereits | |
jedes vierte Kind psychologisch behandelt. | |
Es nutze beispielsweise auch wenig, sagt Wencke Trumpold, wenn unter dem | |
Schock des NSU-Terrors Projektmittel im Landesprogramm „Weltoffenes | |
Sachsen“ um eine Million aufgestockt werden, die regelmäßige | |
Präventionsarbeit gegen Nazi-Einflüsse aber leide. Die Geschäftsführerin | |
beklagt den seit langem in Sachsen herrschenden „defizitären Ansatz“, erst | |
nachzusorgen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. | |
## Ehrenamtler statt Hochschulabsolventen | |
Galten in den neunziger Jahren Hochschulabschlüsse noch als Voraussetzung | |
für qualifizierte Jugendarbeit, legt die Geldnot nun ein Ausweichen auf | |
Ehrenamtler nahe. Besonders in den Landkreisen werden die Kürzungen noch | |
durch das demografische Problem überlagert. Weil durch Abwanderung und | |
Überalterung Heranwachsende fehlen, sinken die Gesamtzuweisungen, | |
bestehende Institutionen geraten in Gefahr. | |
Inzwischen hat sogar der CDU-Landtagsfraktionsvorsitzende Steffen Flath | |
eingeräumt, dass die Mittel der offenen Jugendarbeit nicht ausreichten. „Es | |
geht um lächerliche vier Millionen, um die Jugendpauschale wieder auf 14,30 | |
Euro pro Kopf anzuheben“, sagt Annekatrin Klepsch, jugendpolitische | |
Sprecherin der Linken kopfschüttelnd. | |
Gewisse Hoffnungen richten sich auf den jetzt zur Beratung anstehenden | |
Doppelhaushalt 2013/14, der für den Landtagswahlkampf 2014 Bedeutung hat. | |
Doch ein Sprecher des Sozialministeriums stellt klar, dass eine Rückführung | |
auf das frühere Niveau nicht vorgesehen ist. Die Betroffenen wissen längst, | |
dass es sich um ein vermeintliches Nischen-Thema handelt und dass sie keine | |
Lobby haben. Schmerzhafter Vergleich: Sachsen-Anhalt spart auch, hat aber | |
ein Fachkräfte-Programm für drei Millionen Euro aufgelegt. | |
23 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
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