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# taz.de -- Arbeit: Revolte im Popcornpalast
> Mitarbeiter des Cinemaxx am Potsdamer Platz versuchen seit Monaten, mit
> Warnstreiks höhere Löhne zu erzwingen. Sie sehen nicht ein, warum vom
> satten Gewinn des Unternehmens nichts für sie abfällt.
Bild: Dieses Cinemaxx-Kino steht in Hamburg.
Eigentlich lernt Mira Simon Ergotherapeutin. Um die teure Ausbildung zu
finanzieren, arbeitet sie schon seit Jahren als Teilzeitkraft im
Cinemaxx-Filmpalast Potsdamer Platz. 8,50 Euro verdient sie pro Stunde.
Früher stand sie bei kleinen Projekten mit Freunden selbst hinter der
Kamera, über ihr Faible für bewegte Bilder kam sie zum Kinojob. Heute
streikt Simon: „Weil die Miete für meine Wohnung steigt. Und weil ich will,
dass finanziell anerkannt wird, was wir Servicekräfte leisten.“
Auch Christian Grab arbeitet an diesem Abend nicht. Eigentlich sollte der
Filmvorführer in Saal 3 den grünen Science-Fiction-Helden Hulk über die
Leinwand wüten lassen. Stattdessen begibt er sich auf den Vorplatz des
Kinos, um mit 40 weiteren Kollegen mehr Lohn zu fordern. Mit dabei:
Popcornverkäufer, Kassiererinnen, Einlasser, Putzkräfte. In Ver.di-Tüten
gehüllt und mit Flugblättern, Pfeifen und Bongos bewaffnet, schlagen sie im
Namen der rund 120 Cinemaxx-Beschäftigten Krach.
Die Horde der Streikenden besteht großteils aus studentischen
Teilzeitkräften. Einen Euro mehr pro Stunde fordern sie. Die Cinemaxx AG
lässt das kalt. In einem Schreiben Anfang Mai erhob sie stattdessen
Forderungen nach mehr Arbeitsflexibilität. Für Betriebsrat Veli Hasbolat
ist der Brief schlicht „Klopapier“. Das nächste Mal setzen sich die
Streitenden wieder Ende des Monats an einen Tisch.
Gratis gibt’s den Arbeitskampf nicht: Die Betriebsleiterin des Cinemaxx
Potsdamer Platz – einziger Berliner Standort des Unternehmens – hat den
Streikenden für den Rest ihrer Schicht Hausverbot erteilt. Der Lohn für
diese Zeit wird gestrichen. „Teilzeitkräfte zwingt so etwas in die Knie“,
sagt Betriebsratssprecher Christian Grab. Drinnen an den Popcornschaltern
haben Aushilfskräfte die Arbeit der Streikenden übernommen. „Weil eine
Streikerklärung 48 Stunden vorher dem Arbeitgeber übergeben werden muss,
hat der genug Zeit, Ersatz in Stellung zu bringen“, sagt Veli Hasbolat. Der
Betrieb läuft dank der Aushilfen fast normal – „nur die Schlangen an den
Schaltern sind länger als sonst“, kommentiert Kinobesucher Marc Wiesinger,
der sich schon auf „The Avengers“ in 3-D freut. Auf dem Vorplatz ziehen die
Filmhungrigen schulterzuckend an den Streikenden vorbei.
## Harter Gegner
Der Cinemaxx-Tarifvertrag war zum Jahresende 2011 ausgelaufen. Seitdem hat
es deutschlandweit Warnstreiks gegeben, acht allein in Berlin, auch während
der Berlinale. Die Cinemaxx AG gilt den Gewerkschaftern von Ver.di als
harter Verhandlungsgegner, der letzte Tarifstreit dauerte von 2003 bis
2007. „Diesmal sieht es ähnlich aus“, schildert Ver.di-Sekretär Matthias
von Fintel die Lage. Der Streikorganisator möchte die Streikaktionen vor
allem in Richtung Knabberzeug lenken: „Popcorn ist Geld.“
Davon – vom Geld – hat das Unternehmen eigentlich genug, finden die
Streikenden. Trotz rückläufiger Besucherzahlen hat Vorstand Christian Gisy
es geschafft, das Unternehmen nach 2009 aus den roten Zahlen zu führen.
„Durch geschickte Preispolitik etwa im 3-D-Bereich konnten die
Pro-Kopf-Einnahmen gesteigert werden“, erklärt Cinemaxx-Sprecher Arne
Schmidt. Die Aktien gehören zu 75 Prozent dem Medienmogul Herbert Kloiber,
der auch als stiller Eigentümer hinter RTL2 und anderen Sendern steckt. Im
Jahr 2011 legte die AG eine Rekordbilanz hin, die Firmenzentrale zog aus
dem Hamburger Nordosten an den schicken Gänsemarkt. Vor diesem Hintergrund
„wächst der Unmut der Arbeiter“, wie Betriebsratssprecher Grab sagt.
Cinemaxx-Sprecher Schmidt versteht das nicht: „Wir zahlen Gehälter über dem
Branchendurchschnitt, der unter 8 Euro liegt.“ Tatsächlich haben es
Popcorn- und Ticketverkäufer anderswo noch schwerer. „Kleine Kinos
funktionieren meist durch Selbstausbeutung“, weiß Andreas Heinze,
Filmvorführer im Babylon Mitte. „Im Blauen Stern Pankow verdienen
Kassiererinnen 6,50 Euro.“ Viele Angestellte kleinerer Kinos sind nicht
gewerkschaftlich organisiert. Auch im Vergleich mit anderen Großen befinden
sich die Cinemaxx-Angestellten in keiner schlechten Position. Zwar hat der
andere Player am Potsdamer Platz, Cinestar, im Jahr 2011 zweimal freiwillig
den Lohn erhöht. „An der Kasse werden trotzdem nur etwa 7 Euro gezahlt“,
weiß Vorführer Heinze, der auch im Cinestar in der Kulturbrauerei arbeitet.
Marc Wiesinger, der 12 Euro für die „Avengers“ hingeblättert hat, findet:
„Bei den Preisen haben die Arbeiter mehr verdient.“ Es ist 21 Uhr, vor dem
Kino lösen Mira Simon, Christian Grab und die anderen ihre Versammlung auf.
Sie ziehen die Tüten aus, packen die Flugblätter ein, verabschieden sich.
Drinnen auf der Leinwand schlägt Hulk alles kurz und klein.
22 May 2012
## AUTOREN
Constantin Schöttle
## TAGS
Kino
Tarifstreit
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